Das Präsidentschaftswahljahr in den USA hat begonnen

Trotz massiver Werbung gibt es in den USA weitaus mehr Kleinaktionäre als am Wahlkampf interessierte Menschen und aktive Wähler

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Als klare Sieger gingen in der Nacht zum Dienstag im Bundesstaat Iowa die "front runner" aus den sog. caucus"-Wahlen für die Nominierung der Präsidentschaftskandidaten hervor. Registrierte Mitglieder der Republikaner und der Demokraten aus dem Staat im Mittleren Westen stimmten in 2143 örtlichen Parteiversammlungen mit 41 Prozent für den texanischen Gouverneur George W. Bush und für Vizepräsident Al Gore, der weit über 60 Prozent erhielt. Überraschend nahe rückte der Multimillionär Steve Forbes mit 30 Prozent der Republikaner-Stimmen an Bush heran. Dessen wichtigster Gegenkandidat, Senator John McCain aus Arizona, hatte in Iowa auf den Wahlkampf verzichtet. Der Demokrat Bill Bradley, Ex-Senator aus New Jersey, blieb mit 35 Prozent weiterhin hinter Gore im Rennen.

Nur Augenblicke nach der Stimmenauszählung in Iowa eilten die Kandidaten an die Ostküste in den Bundesstaat New Hampshire, um dort ihre Wähler für die "primaries", die Vorwahlen, am kommenden Montag zu begeistern. Wie in jedem Präsidentschaftswahljahr standen die Iowa-Wahlen tagelang im Zentrum der Berichterstattung der amerikanischen Medien. Die Kandidaten hatten Millionen von US-Dollars für Wahlwerbung ausgegeben. Der Nachrichtensender CNN war am Montagabend mit 200 Angestellten vertreten.

"Caucus"-Wahlen wie die in Iowa waren als Bürgerbeteiligung für den Nominierungsprozess der Präsidentschaftskandidaten gedacht und ursprünglich eine Reaktion auf die demokratische Protestbewegung Ende der 60er Jahre. Doch Iowa ist nicht repräsentativ für den Durchschnitt der amerikanischen Wähler. Der Bundesstaat ist mit über 95 Prozent von Amerikanern europäischer Herkunft, "Weißen", bewohnt. Darüber hinaus ist hier die christlich-religiöse, konservative Rechte stärker als anderswo. So bemühten die Kandidaten bei ihren Auftritten wiederholt christliche Symbolik und lobten religiöse Werte. Die rechten Republikaner Steve Forbes, Alan Keyes und Gary Bauer, die ihrem Parteikollegen Bush eine "weiche Haltung" in der Abtreibungsfrage vorhielten, kamen deshalb zusammengenommen sogar auf mehr Stimmen als Bush.

Zudem lässt das geringe Wählerinteresse kaum den Schluss zu, es ginge um die Wahl zwischen echten Alternativen. Gemessen am riesigen Medienecho, das Iowa hervorrief, entsteht allenfalls der Eindruck eines virtuellen Politzirkus. So blieb die Wahlbeteiligung in beiden Parteien unter 15 Prozent. Aber CNN entsandte beispielsweise 200 Journalisten nach Iowa, und die Parteiversammlungen waren auf mindestens 12 Webseiten im Internet mitzuverfolgen, teilweise live (www.dmregister.com oder www.iowa2000.com).

Nach Iowa allgemeine Schlüsse auf das Wählerverhalten zu ziehen, gehört traditionell ebenso zur amerikanischen Politfolklore wie das opportunistische Bemühen der aussichtsreichen Kandidaten, sich nur durch die Imagebildung voneinander abzugrenzen. Die Wählerschaft, deren Gunst sie erheischen, liegt in der diffusen "politischen Mitte". Deshalb beziehen die Kandidaten nur ungern klare Positionen. Bei den Wählern seien "parteiübergreifende, ja post-politische Dimensionen" feststellbar, hieß es kürzlich in der New York Times. Und Unterschiede zwischen den Präsidentschaftskandidaten seien kaum auszumachen: "Sie alle sind für die Beibehaltung, wenn nicht Erhöhung der Militärausgaben. Sie sind gegen Steuererhöhungen. Sie wollen einen ausgeglichenen Haushalt. Sie befürworten Freihandel. Sie unterstützen die Todesstrafe".

Was sich wiederum als politische Apathie im gesamten Land ausdrückt. An den letzten Kongresswahlen beteiligten sich nur 36 Prozent der Wahlberechtigten. Zwei wissenschaftlichen Umfragen zufolge (Our Virtual Primaries: The political professionals are having a grand time; the public has tuned out) finden 60 Prozent der Öffentlichkeit den derzeitigen Wahlkampf "langweilig". Nur 12 Prozent verfolgen ihn "aufmerksam" oder "ein wenig" mit. Dagegen finden angesichts des ungebrochenen Wirtschaftsbooms die Bewegungen an der Wall Street ein umso größeres Interesse. In den USA gibt es inzwischen weitaus mehr Kleinaktionäre als aktive Wähler.