Das Schicksal der Öffentlichkeit in der globalen Feedback-Gesellschaft

Das Internet ist prinzipiell ist ein riesiges öffentliches Medium, das von der Jagd nach Aufmerksamkeit beherrscht wird und ein assoziatives Denken hervorbringt. Kunst spielt für den ehemaligen Bildhauer Sugár aus Budapest eine wichtige Rolle bei der Erforschung seiner Möglichkeiten, noch wichtiger aber, so glaubt er, ist eine Umorientierung von Politik und Wirtschaft, um den Zugang zu ihm für alle zu öffnen. Noch bricht sich die große Utopie an den realen Zuständen, und auch die Netzpolitik bewegt sich mit ihren Einsichten und Forderungen in assoziativen Bahnen.

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János Sugàr hat an der Akademie der Bildenden Künste in Budapest Bildhauerei studiert. er ist Gründungsmitglied der Media Research Foundation und richtete an der Akademie der Bildenden Künste mit Miklas Peternek ein intermediales Institut ein. Seit 1994 organisiert er mit Geert Lovink und Diana McCarty die MetaForum-Konferenzen in Budapest.

Die bewußte und effiziente Ausrichtung auf die Öffentlichkeit ist der Imperativ und zugleich das neue Paradigma in der Kommunikationsumwelt, die sich nach dem Zeitalter der Aufklärung ausgebildet hat. Was kennen die meisten? Welche Öffentlichkeit ist größer? Die Einstufung erfolgt durch den Marktwert. Es gibt Botschaften, die ihre wirksamste Form finden müssen, um ihr wirkliches Ziel zu erreichen. Wir müssen das, was wir mitteilen wollen, in einer großen Arena eines riesigen Überflusses an Botschaften verkaufen (=verständlich machen) können. Deswegen wird es entscheidend. genau unsere eigenen Ziele und die Bedingungen des gewählten Mediums zu verstehen. Wir müssen ständig vorausdenken. Es geht um das Design des common sense, um das mediale Bewußtsein, wie man ein breites konsensuelles Verständnis erzielt.

Das ist die eigentliche Ursache des Konflikts zwischen hoher und niedriger Kultur: die Öffentlichkeit (die Bekanntheit einer Idee), die den common sense anspricht, im Unterschied zur klassischen Haltung der Avantgarde, die auf den Feedback (Erfolg, Wahlen, Umfragen) nicht geachtet und ihn abgelehnt hat und zu einem unabhängig vom gegenwärtigen Stand des Verstehens gebildeten Quasi-Wissen über die Zukunft führte.

Die Kunst hat stets die Befindlichkeit und die Grenzen der Aufmerksamkeit erforscht, aber es ging ihr nicht um eine unmittelbar zu erzielende Öffentlichkeit und/oder sie kümmerte sich nicht um den aktuellen Stand des common sense. Ganz ähnlich verhielt sich dies in der Geschichte der Wissenschaften und den wissenschaftlichen Revolutionen. Am Beginn stand nicht die Popularität. Wenn man die Ideen nach außen bringt, die am fragwürdigsten sind und die schwächsten Verbindungen mit der Gegenart besitzen, können wir die Geschwindigkeit steigern, mit der wir in die Zukunft (vom Bekannten zum Unbekannten) reisen. Wir können Antworten herauspressen, wenn wir nur auf den Augenblick achten, an dem die Fragen gestellt werden. Es gibt keine Authentizität - oder Professionalität - in diesem Augenblick, nur Dummheit oder, in anderen Worten, Lobotomie. Der Startpunkt ist immer nebensächlich, alle Ziele bleiben sind dem Moment verhaftet, an dem sie gesetzt worden sind, und veralten folglich im Zuge der Verwirklichung.

Die moralische Datenautobahn

Die neuen technischen Medien müssen sich, weil sie nicht aus einer kulturellen Tradition kommen, erst der Gegenwart schmackhaft machen. Das beginnt mit finanziellen Rechtfertigungen. Man kann auch sagen, daß sie nicht darauf warten können, bis die soziale und kulturelle Evolution sie mit der Zeit, im natürlichen Kontext des Verständnisses, entfaltet. Man muß eine Rolle, eine Funktion für sie finden. Sie müssen erfolgreich sein, damit sie sich weiter entwickeln können. Das bedeutet, sie müssen für die Käufer, die gewissermaßen ihre Stimme abgeben, populär werden. Am Attraktivsten für die Benutzer scheinen die Kommunikationsmöglichkeiten zu sein, weil sie damit ein wenig aus den beengenden sozialen und körperlichen Schranken, aus der Unbekanntheit ausbrechen und in ein Forum allgemeiner Anonymität eintreten können. Es kommt darauf an, daß die Wahl in einem allgemeinen Sinn (und die vorhergehende Werbekampagne) zu einem gesellschaftlichen Medium wird.

Die moralische Datenautobahn resultiert aus den Beziehungen/Netzwerken, welche die Zivilisation (Religion, Familie, Ökonomie) durch bestimmte Vertrauensgrundlagen (Verständnis, Toleranz, Empathie = gesellschaftliche Moral) formen, so daß sie eine höhere Stufe erreichen kann. Die moralischen Gesetze stellen die Grundregeln der Kooperation, die Regeln der Symbiose (der vernetzten Existenz) her, da sie verläßliche Verhaltensstandards erzeugen, den Anderen einschätzbar machen und den Rahmen der Möglichkeiten sicherstellen. Auf der soliden Grundlage der globalen symbiotischen Netze läßt sich der Turm von Babel erbauen. Er ist nicht egoistisch oder dysfunktional, sondern ein Denkmal des Logos.

Die Aufklärung erzwang von der Gesellschaft die Notwendigkeit oder das Bedürfnis, verschiedene Bereiche (Wissenschaft, Ästhetik, Philosophie, Religion) auszubilden. Daraus entstand die säkulare Spezialisierung, die als Hintergrund für den Fortschritt diente. Die nützliche Ausdifferenzierung der Vergangenheit wird aber heute zur Bedrohung. Sie führt zum Risiko der Isolation und der Atrophie des Wissens, das auf den Austausch angewiesen ist. Der Computer ist zunächst das entscheidende Werkzeug für die Spezialisierung geworden. Er hat die Komplexität der Welt zugänglich und verarbeitbar gemacht. Wenn die interdisziplinäre Überprüfung von Daten nicht obligatorisch ist, konzentrieren wir uns mehr und mehr auf Mikroprobleme und werden von ihnen absorbiert. Die Entwicklungsrichtung der Zivilisation ist dann von der Lösung kontextfreier Problemdetails gekennzeichnet, die nirgendwohin führen. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Spezialisierung wurden zu Bestandteilen des Alltagslebens, aber wegen des Fehlens von Querverbindungen entstehen immer ernsthaftere Kommunikationskrisen (z.B. Luftverschmutzung, Kriege, wirtschaftliche Flauten). Da die meisten der unterschiedlichen Informationen in einem einheitlichen digitalen Format gespeichert werden, ermöglicht die Computertechnologie jedoch erneut die Schaffung der fehlenden Matrix der Querverbindungen. Dank der schnellen Datenverarbeitung ist jetzt eine riesige Menge komplexer Daten kontinuierlich verfügbar, die zunehmend benutzerfreundlicher werden.

Am Rande der miteinander verbundenen Netzwerke (Handel, Religionen, Geld, Dienstleistungen, Kommunikationsstrukturen) erscheint die Schicht des Ausgeschlossenen und Unbeachteten, das von der Ökonomie oder dem moralischen Netz ausgeschlossen ist. Hier ist die Ideologie weiterhin tribalistisch. Die Aufklärung zersetzt die Kultur der Ungebildeten (das Gewehr ist die Schreibmaschine des Analphabeten). In armen Gesellschaften verweist die Kalashnikov auf einen verzweifelten psychischen Zustand, auf die "Aggression als Statussymbol". In Somalia gibt es einen bekannten Spruch: "Ich und Somalia gegen die Welt, ich und mein Clan gegen Somalia, ich und meine Familie gegen den Clan, ich und mein Bruder gegen die Familie, ich gegen meinen Bruder."

Die überflüssige Klasse will die Öffentlichkeit erreichen. Weil sie aber über keine Kanäle oder Möglichkeiten verfügt, versucht sie mit einer Geste des Herostrates die Medien anzuziehen (die RAF oder der Unabomber, der die Öffentlichkeit erpreßt hat). Ein neueres Phänomen sind die überschüssigen Länder. Hier wird dasselbe mediale Bewußtsein zum grundlegenden Bestandteil der internationalen Politik. Einzig die Kunst unterstützt diese Aktionen der Piraterie. Sie sublimiert die Handlungen und hebt sie in den Bereich der Kultur, wodurch das Publikum größer wird.

Das Netz oder Übergang vom linearen zum assoziativen Denken

Das Netz verwirklichte den westlichen Mythos des zugänglichen Wissens. Das Netz ist das Medium des Suchens. Es hat die Vorstellung eines idealen geistigen Arbeitsplatzes entstehen lassen. Faust ist ein Hacker in der Bücherei von Babel - das Netz funktioniert als ein endloser Spielautomat für Kontexte. Alles ist erreichbar. Mit einem Fingerdruck können wir bequem unzählige Dokumente aufrufen. Die Komplexität wird einfacher. Die Utopie des linearen Denkens weicht der Realität des assoziativen Denkens. Die direkte Wahrnehmung (Vivisektion, Demontage, Befragung) geht in den interaktiven Dialog über.

Das globale Feedback, die totale selbstreflexive soziale Umwelt nimmt Gestalt an, die von unkontrollierbaren Querverbindungen der Kommunikation durchdrungen ist. Die Wissenschaft der Selektion wird eine vitale Bedeutung erhalten. Die Suchmaschinen schmuggeln Verweise in ein unpersönliches Netzwerk und erzeugen Inhalt durch Selektion.

Globale Datenbanken stellen ein signifikant erweitertes Assozisationsfeld dar, auf dem die Frequenz von zufälligen Ereignissen dichter ist. Die Option von Chancen ist in einem solchen Medium eine persönliche Erfahrung, die durch Unpersönlichkeit charakterisiert ist, wodurch die Möglichkeit einer Metakommunikation gänzlich ausgeschlossen wird. Seit Eisenstein wissen wir, daß zwei unterschiedliche oder zufällige Bilder (oder Informationen), die nebeneinander gestellt werden, eine dritte Assoziationseinheit erzeugen können, die dann wiederum mit einer vierten usw. verbunden werden kann. Die Komplexität, die den Grad der Zufälligkeit erhöht, ist ein Automat für den Inhalt. Der Turm von Babel erreicht den Logos, wenn jeder mit jedem anderen spricht.

Vom Feedback zum Recycling

Das Problem aber ist, ob es Inhalt oder nur Wahlentscheidungen gibt. Warum sollten die traditionellen Anbieter von Inhalten (Kunst, Kultur, Presse, Politik, Markt) einen Platz für unbekannte Anbieter reservieren, wenn sie weiterhin dominant sind?

Die neuen Medien sind ein Ergebnis aus der Kombination des technischen Fortschritts und der wachsenden Spezialisierung. Deswegen haben sie keine Verankerungen in der Kultur der Vergangenheit oder in irgendeiner Geschichte. Die Avantgarde hat die etablierten Medien radikal eingesetzt. Die sogenannte didaktische Botschaft der Avantgarde erschien im Gebrauch der Medien. Man experimentierte mit ihnen und erforschte sie. Die Grenzen zu suchen und zu überschreiten, um einen grenzenlosen Selbstausdruck zu finden, ist die Aufgabe der Avantgarde, die in der Zeit globaler Symbiose und wachsender Komplexität weiterhin gefordert ist. In der mediatisierten Welt wird die Suche, das Browsen und Surfen, zum Symbol der Existenz. Die Subversion wird zum obligatorischen Werkzeug der Wahrnehmung.

Die Kunst im Netz beginnt gerade erst, neue Wege und Möglichkeiten zu eröffnen, und sie versucht auf didaktische Weise, auf bislang nicht genutzte Möglichkeiten hinzuweisen. Auf diese Weise ist sie didaktisch wie die klassische Avantgarde: sie erzieht die kulturelle Wahrnehmung. Die Kultur dient stets als Entwurf für die Informationsgesellschaft: der Kontext ist der Inhalt. Sie vermischt, um eine Wirkung zu erzielen, die Informationen, bis sie den größten Kontrast findet.

Das Netz gleicht einem Magen, einem alles verschlingenden Magen. Es ist die Verkörperung des abstrakten Geistes. Wir können die Bits der Logos mit Hamburgern darstellen, das Feedback in Recycling verwandeln (die Scheiße kommt als Ketchup zurück ...).

Digitaler Glasnost

Die Frage ist, wie das Netzmedium sich verbreiten wird. Ob man online oder offline ist, sollte - ähnlich wie beim Wählen - eine persönliche Entscheidung und keine finanzielle sein. Wenn das Netz nicht vollständig ist, wenn es nicht kontinuierlich ist und Brüche und Löcher aufweist (und überdies so wie die gegenwärtige gesellschaftliche und ökonomische Geographie strukturiert ist), taugt es zu nichts. Dann bleibt das Netz ein elitäres Medium, mit dem nur das Setzen und Erkunden von Trends, die Theorie und das Design verbunden sind - und ein bißchen Web-Folklore.

Es macht nichts, wenn das Netz elitär ist (auch Schreiben, Kunst und Wissenschaften sind elitär). Aber wenn es vom Hintergrund abgeschnitten ist, kann es leicht zu einer Zielscheibe der Ausgeschlossenen, von der Politik mißbraucht werden, um einen perfekten Feind aufzubauen. Obwohl es global ist, kann es durch Aggression beschädigt werden. Nur eine große Masse an Benutzern macht es profitabel und daher sicher.

Die Möglichkeit eines allgemeinen Zugangs erfordert eine neue Rolle des Staates und des wirtschaftlichen Kapitals. Die Netzkultur kann ein wirkliches Geschäft nur dann sein, wenn der Zugang (von der Hardware bis zum Provider) ohne prinzipielle Schwierigkeiten wie beim Telefon erweitert werden kann und eine universelle Dienstleistung darstellt. Man muß in den Benutzer investieren, um der einfachen Wahrheit bewußt zu werden, daß das Netz ohne Benutzer nicht existieren kann. Auch jene Gesellschaftsschichten sollten einbezogen werden, die zwar kein finanzielles Einkommen haben, aber Inhalte bieten können (die Ungebildeten, Arbeitslosen, Minoritäten, Rentner). Wenn die staatliche und ökonomische Haltung sich (hoffentlich) verändern wird, kann niemand mehr wegen seiner Kommunikationsbedürfnisse erpreßt werden, wie dies durch die Benzinpreise hinsichtlich des Mobilitätsbedürfnisses geschieht. Der freie Zugang wird zu einem allgemein genutzten, globalen Angebot, zum Medium der Gesellschaft, während es gleichzeitig, was die Forschung anbelangt, das Spielzeug der Elite bleibt. Jeder, der an der Öffentlichkeit partizipiert, kann seinen eigenen Server besitzen und Zugang als Provider ermöglichen. Der Name des Providers wird so wichtig werden wie der Familienname. Die öffentlichen Institutionen fungieren als Datenbanken. Öffnen wir unsere Home Directories der Öffentlichkeit!

Jeder, der über Informationen verfügt, sollte grundsätzlich darüber nachdenken, was öffentlich ist und was nicht. Die untere Grenze der Elite wird von Memen durchdrungen, der Weg von der Kunst gebahnt. Jeder muß unmittelbar über das Maximum an Öffentlichkeit befinden. Der Besitz von Information lädt automatisch zum Mißbrauch ein, daher kann bereits der Besitz von Information als Verbrechen angesehen werden. Jeder, der einen Inhalt besitzt, muß die maximale Öffentlichkeit definieren, die Schwelle des Vertrauens.

Aber natürlich interessiert sich jeder nur für Geheimnisse. Das ist ganz menschlich.