Das Spiel mit dem Recht
Die US-Regierung hält sich verschiedene Optionen offen, um militärisch einen Regimewechsel im Irak auch ohne Autorisierung durch den Sicherheitsrat und Nachweis durch die Inspekteure legitimieren zu können
Die US-Regierung testet weiterhin aus, wie weit sie die UN unter Druck setzen kann und welche Chancen im Sicherheitsrat bestehen, den Beschuss von britischen und amerikanischen Kampfflugzeugen über den Flugverbotszonen in Irak als Bruch der Resolution zu werten. Gleichzeitig beginnen die USA, die geplante Invasion weiter vorzubereiten und bei befreundeten Staaten um Soldaten und Kriegsgerät nachzufragen.
Schon kurz nach dem 11.9. hatte sich Präsident Bush letztlich dafür entschieden, seinen Krieg gegen den internationalen Terrorismus auf Staaten auszudehnen und als erstes das Hussein-Regime im Irak zu kippen. Da seitdem ein großer Teile seiner Außenpolitik um dieses Thema kreist, ist kaum vorstellbar, dass Bush sich jemals mit Ergebnissen der Waffeninspektionen zufrieden geben würde, die den eigenen politischen Interessen nicht entgegen kommen würden. Die Hoffnung, dass die Waffeninspektionen und ein williger Saddam Hussein das Ziel der Entwaffnung ohne Militärschlag (und damit einen Regimewechsel) realisieren könnten, wie viele hoffen, ist wohl angesichts der amerikanischen Entschlossenheit mitsamt den Versuchen, das Ansehen der Waffeninspektoren und die Bedeutung der UN zu untergraben, eher Ausdruck des Verdrängens.
Auf der Suche nach Mitstreitern
Auch auf der Nato-Tagung wird es wesentlich um die Obsession von Bush gehen, den von den USA einst selbst unterstützten und mit Waffen, auch chemischen und biologischen, versorgten Diktator zu stürzen. Wie die Washington Post berichtet, wurden jetzt auch bereits die Botschaften von 50 Ländern kontaktiert, um bei ihren Regierungen Auskunft über die Bereitschaft einzuholen, bei einer militärischen Aktion gegen den Irak mitzuwirken und Soldaten sowie Kriegsgerät beizusteuern. Man müsse, so die Begründung, den Druck auf Hussein glaubhaft aufrecht erhalten. In Prag machte Bush denn auch wieder deutlich, ohne direkt auf einen Beschluss des Sicherheitsrates zu verweisen, dass die Bereitschaft, in den Krieg zu ziehen, hoch ist: "Wenn er sich weigert, sich zu entwaffnen, dann werden wir eine Koalition der Willigen anführen und ihn entwaffnen."
Bush gibt damit auch deutlich zu erkennen, dass es sich nicht um eine Allianz von Gleichwertigen handelt. Militärisch dürfte die Rolle der kriegswilligen Alliierten wohl vornehmlich darin bestehen, wie in Afghanistan mit Spezialtruppen nach den Angriffen aus der Luft noch verbliebene "Widerstandsnester" zu bekämpfen und vor allem den Frieden nach der Invasion zu sichern. Aber überhaupt auch schon irgendein Beitrag, der an sich kaum ernstzunehmen wäre, würde Bush politisch helfen, eben jene "Koalition" unter seiner Führung zu schmieden, auf die er stets verwiesen hat, um zu demonstrieren, dass die USA nicht allein handeln.
Kofi Annan: Keine Verletzung der Resolution
Schon gleich nach der einstimmigen Billigung der neuen UN-Resolution im Sicherheitsrat wurde von Seiten der US-Regierung erwogen, Angriffe auf die britischen Flugzeuge, die - ohne Autorisierung durch den Sicherheitsrat und ohne eine Resolution - die nördlichen und südlichen Flugverbotszonen kontrollieren, als schwerwiegenden Bruch mit der Resolution und damit als Legitimation für ein militärisches Vorgehen zu betrachten (Nebel vor dem Krieg; Was ist ein Verstoß gegen die Irak-Resolution?). Artikel 8 der Resolution könnte dafür eine Begründung sein, da hier dem Irak jede Bedrohung von UN-Mitarbeitern und auch Beauftragten von Staaten, die an der Durchsetzung der UN-Resolution beteiligt sind, untersagt werden.
Das rechtliche Problem ist nur, dass die Kontrollflüge niemals vom Sicherheitsrat beschlossen und autorisiert wurden und so weder einen Bruch mit den früheren Resolutionen noch mit der neuen darstellen können. Es ist natürlich auch kaum nachzuprüfen, ob zuerst irakisches Militär Flugzeuge beschossen oder diese zuerst irakische Abwehrstellungen angegriffen haben, wie der Irak natürlich nie müde wird zu betonen.
UN-Generalsekretär Kofi Annan hat jetzt explizit auf eine Frage in einer Pressekonferenz im Kosovo noch einmal klar gemacht, dass er nicht bereit ist, der US-Regierung hier eine Eingriffsmöglichkeit zu geben: "Ich denke nicht, dass der Rat sagen wird, dass dies ein Verstoß gegen die Resolution des Sicherheitsrats ist."
Das erfreute offenbar Verteidigungsminister Rumsfeld nicht, der Annans Position gleich herunter zu spielen versuchte, da der Generalsekretär nicht jeder Zeit "im Schwerkraftzentrum des Sicherheitsrats" stünde. Rumsfeld gönnerhaft-despektierlich gegenüber Annan und der UN:
"Er ist sicherlich der Generalsekretär, und er hat eine Stimme und eine Rolle. Andererseits war die UN, bis Präsident Bush vor die UN getreten ist, ganz zufrieden mit dem damaligen Stand der Dinge."
Die Entscheidung, ob der Beschuss vom Kampflugzeugen einen Bruch mit der Resolution darstellt, verwies Rumsfeld aber auf den Sicherheitsrat und die einzelnen Staaten. Gleichwohl drohte er auch der UN, da man nicht nur den Irak beobachte, ob er die Resolution einhalte, sondern auch Vereinten Nationen: "Die UN saß jahrlang mit 16 Resolutionen herum, die verletzt wurden. Genau wie wir ein Verhaltensmuster auf der Seite von Saddam Hussein gesehen haben, haben wir auch ein Verhaltensmuster auf Seiten der Vereinten Nationen gesehen. Nur die Zeit wird zeigen können, was daraus wird."
Rumsfeld hatte schon zuvor gesagt, dass der Beschuss von US-Flugzeugen, die eine UN-Resolution überwachen, "inakzeptabel" sei. Sie seien gegen die "Arbeit der Koalition" gerichtet, die die UN-Resolution unterstützen. Hier gebe in der neuen UN-Resolution eben auch den entsprechenden Wortlaut.
Angeblich hat das irakische Militär in vier von fünf Tagen nach der Annahme der Resolution durch die Regierung US-Flugzeuge beschossen, die daraufhin in Selbstverteidigung zurückgechossen hätten. Das Pentagon hat schon seit Monaten den Einsatz der Kampfflieger ausgeweitet. Rumsfeld kündete an, dass man entschlossen sei, dieses Spiel von Angriff und Gegenangriff fortzsetzen: "Sie können absolut sicher sein, dass wir nicht zulassen werden, dass unsere Flugzeug straflos beschossen werden können. Wir haben die Absicht zurückzuschlagen."
Mobile Labors, unglaubwürdige Inspekteure, Waffen in Moscheen ...
Die Falken in der US-Regierung setzen nicht nur auf den Beschuss der Kontrollflugzeuge als Bruch mit der Resolution, sondern etwa auch darauf, die Glaubwürdigkeit von Hans Blix, dem Leiter der UN-Waffeninspekteure, in Frage zu stellen (US-Geheimdienste weisen auf geheime Anthrax-Vorräte im Irak hin). Darüber hinaus werden immer neue Vermutungen angestellt, wie Hussein Waffen dem Zugriff der Inspekteure entziehen könnte, auch wenn diese viele neue technische Mittel zur Kontrolle und Überwachung besitzen.
Beispielsweise soll Hussein, wie amerikanische Geheimdienste berichten, eine Flotte von Lastwagen besitzen, in denen biologische Labors versteckt sein könnten. Die Lastwagen würden quer übers Land und durch die Städte fahren und seien nicht von anderen Fahrzeugen zu unterscheiden. Daher sei es eine der schwierigsten Aufgaben der Inspekteure, diese zu finden. Blieben sie unentdeckt, könnten treue Hussein-Anhänger mit den biologischen Waffen auch im Ausland Anschläge verüben oder sie an Terroristen oder andere Staaten verkaufen. Man wisse, dass es diese mobilen Labors gebe (davon hätten aus dem Irak geflohene Regierungsangehörige berichtet), sagte ein Geheimdienstangehöriger, aber nicht, wie viele es gebe, wie die Lastwagen aussehen und was sie mitführen. Das sind also keine sehr genauen Informationen.
Andere irakische Dissidenten hätten berichtet, dass Hussein Dokumente und chemische und biologische Waffen auch in Moscheen, Schulen oder Krankenhäuser verstecke. Überdies würden nach Geheimdienstberichten gut ausgebildete Reinigungstruppe alle Lagerstätten säubern, bevor die Inspekteure dort verdächtige Spuren finden können. Einige Wissenschaftler seien schon mit falschen Pässen außer Landes geschafft worden, um zu verhindern, dass sie befragt werden können.
An Möglichkeiten dürfte es sicherlich nicht mangeln, Hussein Betrug vorzuwerfen, gerade wenn sich dies nicht wirklich nachweisen lässt. Und ob diese Geheimdienstberichte und Dissidenteninformationen stimmen oder nicht, dürfte sich nur schwer herausbekommen lassen, zumal das Regime ja auch reichlich Katz und Maus mit den früheren Inspekteuren gespielt hat und lange etwa das biologische Waffenprogramm verbergen konnte. Noch heikler sind allerdings die Entscheidungen, welche der in aller Regel Dual-use-Substanzen denn auch tatsächlich zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen und nicht anderen Zwecken dienen.