Nebel vor dem Krieg

Geheimdienste, Ministerien und Medien gefallen sich im Verbreiten von (Des)Information und Gerüchten

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Wie immer vor einem Krieg mehren sich Informationen, Gerüchte und Vermutungen. Gründe für einen Krieg werden gesucht, manchmal konstruiert oder auch tatsächlich gefunden. Der Nebel an (Dis)Informationen ist von Außenstehenden kaum zu durchdringen. Klar scheinen jedoch die Drohgebärden der US-Regierung zu sein, zur Not jede Kleinigkeit auszunutzen (Null-Toleranz), um losschlagen und hinter dem Vorwand oder mit dem Tatbestand eines Bruchs der UN-Resolution den eigentlich anvisierten "Regimewechsel" durchzuführen.

Wie schon im ersten Golfkrieg, so droht auch dieses Mal die US-Regierung dem Irak indirekt mit dem Einsatz von Atomwaffen. Nachdem bekannt wurde, dass der Irak angeblich große Mengen an Atropin, das als Schutz vor Nervengasen eingesetzt werden kann, vornehmlich in der Türkei bestellt habe, wurde behauptet, Hussein habe möglicherweise vor, damit seine Truppen zu schützen, um chemische Waffen einsetzen zu können (Nervengas und Atropin). Allerdings bestehen Zweifel, ob die Information stimmt. Auch Außenminister Powell bestätigte, es gebe keine Beweise, ob der Irak die Atropinlieferung tatsächlich in Auftrag gegeben habe. Übrigens führen die US-Soldaten Atropin mit sich, um sich vor chemischen Waffen schützen können.

Drohung mit der atomaren Keule?

Möglicherweise handele es sich auch nur um eine gezielte Desinformation der Iraker, sagte der Außenminister. Das könnte natürlich auch andersherum der Fall sein, da Angehörige der US-Regierung wie ausgerechnet auch der Richard Boucher, der Sprecher des Außenministeriums, das Gerücht gerne aufgegriffen haben. Boucher sagte, dass jede Bestellung von Atropin, die über das notwenige Maß hinausginge, auf die Absicht hinweise, chemische Waffen einzusetzen.

Auf den Vorfall befragt, warnte Powell dennoch Hussein in einem Interview: "Ich glaube, die Botschaft vor einigen Jahren ist noch immer eine ziemlich zutreffende Botschaft, und ich denke, sie haben verstanden, dass der Einsatz von solchen Waffen auf die ernsthaftestes Weise beantwortet würde."

George Bush sen. hatte angeblich in einem Brief an Saddam Hussein während der Operation Desert Storm 1991 indirekt, aber unmissverständlich mit dem Einsatz von Kernwaffen - mit dem "stärksten möglichen Gegenschlag" - gedroht, wenn dieser biologische oder chemische Waffen einsetzen sollte. Darauf scheint sich Powell zu beziehen. Er sagte allerdings nicht explizit, dass im Zuge eines Gegenschlags auch Atomwaffen eingesetzt werden, da die Regierung nicht zum Gebrauch einer bestimmten Waffe neige. Man habe jedoch "die notwendigen militärischen Kapazitäten, um auf alle Bedrohungen zu antworten". Zu diesen Kapazitäten gehören auch schon existierende Mini-Nukes, um tief unter der Erde gelegene Bunker oder Waffenlager zu vernichten (Mini-Nukes gegen Schurkenstaaten). Anfang des Jahres kamen überdies geheime Teile des Nuclear Posture Review an die Öffentlichkeit (Eine Kombination aus nuklearen und nicht-nuklearen Angriffs- und Verteidigungsmöglichkeiten). Wie das Pentagon bestätigte, sieht die amerikanische Verteidigungsstrategie "eine Kombination aus offensiven und defensiven sowie nuklearen und nicht-nuklearen Möglichkeiten" vor.

Geheimdienste wissen es

Noch hat Saddam Hussein bis Freitag Zeit, der neuen US-Resolution zuzustimmen, die vom irakischen Parlament abgelehnt wurde. Sollte er, wie zu erwarten, zustimmen, könnte es Monate dauern, bis der Bericht der Waffeninspektionen fertiggestellt und damit Hussein womöglich eine Verletzung nachzuweisen wäre. Den Vorgang scheinen manche Angehörige der US-Administration etwas beschleunigen zu wollen.

So wurde angeblich aus Geheimdienstkreisen bekannt, dass die irakische Regierung ihre Diplomaten angewiesen haben soll, US-Einrichtungen zu beobachten, womöglich um nach Möglichkeiten für Terroranschlägen zu suchen. Das sei bislang nicht der Fall gewesen. So hätten irakische Diplomaten beispielsweise eine Wohnung in Amman gemietet, von wo aus man einen Blick auf die US-Botschaft habe. In Helsinki sei ein Mann, der die US-Botschaft mit einem Video aufgenommen habe, in einem Auto mit einen Kennzeichen der irakischen Vertretung gesehen worden.

Auch der amerikanische Stützpunkt im spanischen Rota sowie der in Bahrein werde beobachtet. In Manila hatte man eine Veranstaltung abgesagt, nachdem dort zuvor ein irakischer Botschaftsangehöriger das Gelände gefilmt hatte. Die USA selbst haben seit dem Golfkrieg keine diplomatischen Beziehungen mit dem Irak. Es halten sich daher nur in New York die Mitglieder der irakischen Botschaft an der UN auf. Im Juni wurde ein Vertreter ausgewiesen, weil er angeblich Amerikaner anzuwerben versuchte. Und überhaupt soll der Irak eng mit al-Qaida zusammenarbeiten, wofür allerdings, trotz weiderholter Behauptung, noch immer kein Beweis vorgelegt wurde (Sturz Husseins durch Oppositionelle unwahrscheinlich).

Ein Schlupfloch für eine Kriegsbegründung?

In der UN-Resolution 1441 findet sich ein Passus, der einige Möglichkeiten bietet, wie offenbar bereits überlegt wird:

"8. Decides further that Iraq shall not take or threaten hostile acts directed against any representative or personnel of the United Nations or the IAEA or of any Member State taking action to uphold any Council resolution."

Wie berichtet wird, denkt man in der US-Regierung etwa darüber nach, ob nicht auch der Beschuss von amerikanischen und britischen Flugzeugen, die die vom Hussein-Regime nicht anerkannten Flugverbotszonen im Süden und Norden Iraks kontrollieren, als feindliche Akte gegenüber Personen von UN-Mitgliedsländern gewertet werden könnten. Mit den Flügen wurde 1991 begonnen, um den Irak daran zu hindern, weiter die kurdischen und schiitischen Minderheiten anzugreifen. Für das Pentagon gilt das Abschießen von Boden-Luft-Raketen auf die Flugzeuge der Alliierten als Beweis für den Bruch von UN-Resolutionen.

Das Pentagon hat bereits seit einiger Zeit begonnen, mehr Einsätze über den Flugverbotszonen zu fliegen. Angeblich habe der Beschuss aus irakischen Stellungen zugenommen. Gleichzeitig sollen die Soldaten wohl damit auch Flugabwehrstellungen und Radarposten zerstören und das Land kennenlernen. Wie bekannt wurde, nutzen die Piloten die Kontrollflüge auch zum Üben (Infowar im Luftkrieg). Überdies wurden erstmals auch Bunker Buster, eine tiefer in die Erde eindringende Version der Joint Direct Attack Munition (JDAM), auf eine Kommando- und Kontrollzentrale in der Nähe von Tallil abgeworfen, die einige Meter unter der Erde liegt.