Eine Kombination aus nuklearen und nicht-nuklearen Angriffs- und Verteidigungsmöglichkeiten

Pentagon äußert sich zum Geheimbericht und bestätigt indirekt die bekannt gewordenen brisanten Inhalte

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Nach dem Artikel in der LA Times, der die geheimen Pläne des Pentagon für die Entwicklung und den Einsatz von Nuklearwaffen offen legte (Pentagon plant Nuklearkrieg und den Einsatz taktischer Nuklearwaffen), äußerte sich nun doch auch das Verteidigungsministerium. Allerdings hält man sich wie üblich bedeckt und werde nicht die geheimen Einzelheiten der militärischen Planung diskutieren.

Gegenüber den brisanten Inhalten des geheimen Teils des Nuclear Posture Review Report, der "rechtzeitig" vor der Reise des Vizepräsidenten Cheney in den Mittleren Osten bekannt geworden sind, ist die Bekanntgabe der Einzelheiten über den Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan durch den PDS-Abgeordnete Wolfgang Gehrcke ein kleiner Fisch. Sicher, er hat die ausdrücklich vertraulich gemachten Mitteilungen prompt an die Öffentlichkeit gebracht, um gegen die Informationspolitik der Bundesregierung zu protestieren. Verteidigungsminister Scharping habe bestätigt, dass das Kommando Spezialkräfte (KSK) unter amerikanischem Kommando tatsächlich an militärischen Aktionen beteiligt ist. Das hätte zwar auch die Bundesregierung mitteilen können, ohne hier irgendetwas Besonders zu verraten und nur klar zu stellen, was viele sowieso schon vermutet hatten. Doch Scharping scheint die Geheimniskrämerei aus unbekannten Gründen zu gefallen. Man werde weiterhin Art, Umfang, Ort und Zeit des Einsatzes geheim halten, teilte eine Sprecherin des Ministeriums mit.

Das US-Verteidigungsministerium ist durch das Bekanntwerden des geheimen Berichts schon schwerer getroffen, denn die von einer unbekannten Quelle übergebenen Dokumente könnten nicht nur den Nahost-Konflikt noch weiter schüren, sondern insgesamt zu einer Destabiliserung der Welt und vor allem zu einem Abbröckeln der nur mühsam zusammen gehaltenen Allianz gegen den Terrorismus führen. Wenn das Verteidigungsministerium nicht klar und deutlich Stellung bezieht, dürften Bemühungen zur nuklearen Abrüstung weitaus schwieriger werden, während die von den USA so bezeichneten Schurkenstaaten, aber auch Russland und China, zum erklärten Ziel von Nuklearangriffen geworden, nun einen Grund zur weiteren Aufrüstung hätten. Mit der geplanten Entwicklung von taktischen Nuklearwaffen für einen begrenzten Einsatz würde das Pentagon überdies die Schwelle zum Einsatz von Atomwaffen bedenklich heruntersetzen. Damit wäre endgültig das Ende der Abschreckung eingeleitet.

Das Pentagon aber hält sich vorerst wie üblich bedeckt und will zu den geheimen Plänen nichts weiter ausführen, also die nun bekannt gewordenen Einzelheiten weder bestätigen noch abstreiten. Gesagt wird lediglich, dass der Nuclear Posture Review Report, der am 9. Januar dem Kongress übergeben wurde, ein vom Gesetz verlangter Bericht sei und keine "operationale Anleitung für nukleare Ziele und Planung" seien.

Man werde sich weiterhin auf ein "breites Spektrum von Entwicklungen und unvorhergesehenen Bedrohungen der USA und ihrer Verbündeten" vorbereiten: "Das machen wir, um primär solche Angriffe abzuwehren."

"Primär" heißt natürlich, dass man auch andere Absichten verfolgt. Dem will man aber offenbar nicht weiter nachgehen und betont stattdessen den von Präsident Bush verfolgten Plan, mit Russland zusammen die nuklearen Sprengköpfe um zwei Drittel abzubauen. Nach dem Kalten Krieg, bei dem es im wesentlichen nur einen Gegner, die Sowjetunion, gegeben hat, sei man nun möglicherweise mit mehreren feindlichen Staaten und unterschiedlichen Konfliktursachen konfrontiert. Daher benötige man auch unterschiedliche Optionen zur Abwehr der Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen: "Das ist der Grund, warum die Regierung die Raketenabwehr, modernere konventionelle Waffen und verbesserte Aufklärungskapazitäten" realisieren will. Aber zum Schluss der Mitteilung kommt dann doch noch die Bestätigung der bekannt gewordenen bedenklichen Pläne:

"Eine Kombination aus offensiven und defensiven sowie nuklearen und nicht-nuklearen Möglichkeiten ist entscheidend dafür, die Erfordernisse der Abschreckung im 21. Jahrhundert erfüllen zu können."

Schon im Vorwort zum Nuclear Posture Review Report hatte Verteidigungsminister Rumsfeld betont, dass es hier um eine "große Veränderung" in der Rolle der nuklearen Offensivwaffen gehe und die "Neue Triade" aus nuklearen und konventionellen Offensivwaffen, aktiven und passiven Verteidigungsmöglichkeiten und einer neuen "Verteidigungsinfrastruktur" zur Bekämpfung neuer Gefahren gehe. Allerdings sprach er hier noch davon, dass dieses neue Konzept die "Abhängigkeit" der Verteidigung von Nuklearwaffen verringern könne, während die "konventionellen Angriffs- und Informationsoperationen" verstärkt würden. Die alte Triade aus Interkontinentalraketen sowie Atomraketen, die von Bombern oder U-Booten abgeschossen werden können, würden jetzt zu einem Teil der "Neuen Triade", mit der man die neuen Feinde, die auch über nukleare, biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen sowie über Möglichkeiten verfügen, sie über lange Strecken ans Ziel bringen, abschrecken könne. Dass aber das neue Konzept über die eine größere Flexibilität hinaus auch den begrenzten Einsatz von Nuklearwaffen und die Entwicklung von Waffen mit kleineren Nuklearsprengköpfen vorsieht, um unterirdische Bunker zu zerstören oder "Kollateralschaden" zu vermindern, ließ Rumsfeld im Januar lieber nicht deutlich werden.

Jetzt wird man erst einmal sehen, welchen Auswirkungen das Bekanntwerden des Berichts auf die Staaten der "Achse des Bösen", auf die Konfliktparteien des Nahostkonflikts sowie auf die Beziehungen der USA zu China und vor allem zu Russland haben wird. Die amerikanischen Vermittlungsbemühungen im Nahostkonflikt werden dadurch nicht leichter werden, und ob Vizepräsident Cheney bei seinem Besuch von arabischen Staaten sein Ziel erreicht, das er vermutlich hat, nämlich einen Angriff auf den Irak vorzubereiten, ist auch höchst fraglich geworden.

Allerdings versuchte sich etwa Außenminister Powell in einer Schadensbegrenzung. Die bekannt gewordenen Pläne seien nichts weiter als normale militärische Überlegungen und kein Hinweis auf eine bevorstehende Aktion: "Wir überprüfen stets unsere Optionen." Solche Planungen seien vernünftig und würden auch von der US-Regierung erwartet. Der Bericht würde nur beinhalten, dass eine Reihe von Staaten wie Iran, Irak, Syrien und Nordkorea Massenvernichtungswaffen entwickeln, "was uns alle beunruhigen sollte". Man dürfe nicht glauben, dass "die USA planen, Nuklearwaffen in irgendeinem Fall einsetzen werden, der in der nächsten Zukunft entsteht". Ganz stritt Powell in dem CBS-Interview ab, dass die US-Regierung "neue Nuklearwaffen" entwickeln oder Atomwaffentests durchführen wolle. Man habe das Pentagon lediglich gebeten zu prüfen, ob man einige der vorhandenen Waffensysteme verändern oder erneuern sollte. Was den Irak als mögliches Angriffsziel angeht, so sagte Powell, dass man nicht nach einem Krieg suche. Man würde sich zwar, sollte es zu einer Konfrontation mit dem Irak kommen, alle Optionen vorbehalten, aber der Einsatz von Nuklearwaffen sei höchst unwahrscheinlich.

Auch die Sicherheitsberaterin des Präsidenten, Condoleezza Rice, versuchte in einem NBC-Interview zu versichern, dass der Bericht keine Änderung der US-Politik hinsichtlich von Nuklearwaffen bedeute. In ihm werde sehr viel ausführlicher darüber diskutiert, wie man den Einsatz von Nuklearwaffen unwahrscheinlicher machen könne. Wie Powell hebt auch Rice hervor, dass man die Atomwaffen zusammen mit Russland reduzieren wolle, da die Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs zur Zeit viel unwahrscheinlicher als jemals zuvor sei.