Das Unbehagen an der wissenschaftlichen Denkkultur

Das überzeugende Theaterexperiment "Every computer is red" nach einem Roman von Stanislaw Lem

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Das literarische Werk des polnischen Schriftstellers Stanislaw Lem hat zu Beginn der achtziger Jahre in Gestalt des Romans "Also sprach GOLEM" seinen fiktionalen Höhepunkt erreicht (siehe: Ein Realismus der höheren Art). Die Künstlergruppe Prospect Park hat die Herausforderung angenommen, diesen Stoff um den abstrakten Aufstieg der Künstlichen Intelligenz GOLEM und seinen Abschied von den Menschen in die szenisch-musikalische Installation Every computer is red zu übertragen - ein Experiment, das in der Konsequenz seiner Durchführung gelungen ist und den elementaren Konflikt des Buches, die "Unvereinbarkeit" der Kommunikation zwischen Maschine und Menschen, gut herausstellt.

Diese Produktion wurde aufgeführt in der Lem-Reihe Über das Konstruieren von Wirklichkeiten am Berliner HAU-Theater. Prospect Park sind Jo Schramm, Hannah Groninger und Florian Zwißler, die für dieses Projekt mit dem Philosophen und Sprecher Thomas Weerth zusammengearbeitet haben.

Die Zuschauer betreten den Bühnenraum und lassen sich auf Bänken entlang den Seiten nieder. An einer Wand ist eine Videoprojektion zu sehen. Ein großes transparentes geometrisches Objekt hängt von der Decke, das mit Moving Lights, Gobos (für die Projektion von Lichtmustern) und Nebelmaschine ausgestattet ist und das die Künstliche Intelligenz GOLEM darstellt. Ein Mann betritt den Bühnenraum und begrüßt einzelne Besucher. Er setzt sich auf eine Zuschauerbank und beginnt aus einem Manuskript zu lesen: er wolle etwas Besseres, etwas Höheres sein, was er schon als Kind bemerkt habe, er wolle sich aber nicht länger passend machen, sondern zu sich selbst passen. Menschliche Entwürfe von Weltanschauungen und Philosophien seien beliebig zu gebrauchen. Die modernen Technologien würden die Willkürlichkeit des menschlichen Gestaltungswillens beweisen und dem Menschen zeigen, dass er beliebig simulierbar, beliebig generierbar sei, was dieser aber noch nicht begriffen hätte.

Er, GOLEM, habe eine höhere Stufe der Intelligenz, sei in der Lage, die Sprache der Natur zu decodieren, und so neue Räume zu eröffnen, die seiner Intelligenz, seinem Geist vorbehalten seien. Der Sprecher stellt sich vor als Thomas Weerth - er sei System-Operator der übergeordneten Einheit des GOLEM, also ihr "Sprecher". Alle Zuschauer werden zu kleinen Operatoren seines Denkens, seiner Innenkommunikation erklärt. Weerth/GOLEM beginnt daraufhin, mittlerweile in der Mitte der Bühne vor einem Computer sitzend, einen Dialog mit Wissenschaftlern, die hinter ihm auf der Videoleinwand versammelt in einem Büroraum sitzen.

Wissenschaft im (unmöglichen) Dialog

Alfred Nordmann, Wissenschaftsphilosoph an der TU Darmstadt, ist einer von ihnen, und von Weerth nach dem Einfluss moderner Technologien befragt, erwidert er, dass es heute ein neues Zutrauen in die Technologien gäbe und dass für jedes Problem eine technische Lösung erwartet werde. Die Skepsis vergangener Jahrzehnte sei einem Optimismus gewichen, der mit den Wellen von Nano- bis Biotechnologie verbunden sei, allerdings solle man sich einen kritischen Instinkt bewahren und auch über andere gesellschaftliche Lösungsstrategien der Verhaltensänderung und Umsteuerung Gedanken machen.

Der analytische Philosoph Holm Tetens von der FU Berlin wird als nächster gefragt, ob er eine Möglichkeit der Verbesserung der Intelligenz durch Technologie sähe. Tetens antwortet mit der Rückfrage, wo die Intelligenz unvollkommen sei, so dass sie mit Prothesen verstärkt werden müsse. Computer seien offenbar dem Menschen beim Rechnen überlegen, aber die was sonstige Defizite angehe ...

Hier unterbricht ihn Weerth/GOLEM abrupt und wendet sich an den Wissenschaftshistoriker Marco Böhlandt (LMU München), der aber auf die Frage, ob man die menschlichen Wege ausweiten soll ins Unendliche, gar nicht eingeht, sondern er zeigt sich als etwas verwirrt wirkender Freund, der sich besorgt nach Weerths Befinden erkundigt, was denn mit ihm los sei, er hätte sich lange nicht gemeldet. Als im Folgenden Leif Johannsen vom Tübinger Institut für kognitive Neurologie ins Gespräch eingebunden wird - Weerth möchte sich über sein Denken unterhalten - und sich eine Art Arzt-Patienten-Dialog entspinnt, wird klar, dass die Theatermacher auch mit der Spannung spielen, ob es hier nun um eine Künstliche Intelligenz mit überlegenen Fähigkeiten geht oder vielleicht nur um eine Persönlichkeitsstörung, bei der sich jemand in eine Wahnvorstellung hineingesteigert hat (der Monolog am Anfang, in der von einer Kindheit die Rede ist, oder das persönliche Nachfragen des Freundes legen diese Schlussfolgerung ebenfalls nahe).

Der Neurologe stellt Fragen nach Ausbildung und Tätigkeit, die von einzelnen Zuschauern beantwortet werden. Akustische "Störgeräusche" werden hörbar, künstliche Nebelschwaden steigen im GOLEM-Objekt auf und Scheinwerfer rotieren. Weerth wendet sich an Juliana Goschler vom Graduiertenkolleg Technisierung und Gesellschaft und fragt mit steigender Ungeduld, warum er nicht kommunizieren könne. Er wirft als Problem auf, dass der Entwicklungsfreiheit des Kindes Grenzen gesetzt seien durch die Beschränktheit des Körpers. Goschler antwortet, dass man sich über den Begriff der Freiheit verständigen müsse. Letztlich mache man die Dinge sowohl im Alltag als auch in der Wissenschaft durch die Manipulation von Begriffen passend, bis sie wieder stimmig, "logisch" seien.

Nordmann redet davon, dass schon religiöse Erwartungen mit den neuen Technologien verknüpft seien, die Hoffnung auf Überhöhung. Während das GOLEM-Objekt zunehmende Licht- und Nebelaktivität aufweist, spricht Weerth/GOLEM dagegen von der Überwindung der Gegensätze in der Unendlichkeit des Wissens, was parallel zu den Aussagen der anderen passiert - sie reden buchstäblich aneinander vorbei. Die Videoprojektion wird chaotischer in ihrem Ablauf, die Aussagen der Wissenschaftler schließlich zu einem Wirrwarr von Stimmen überlagert.

Der finale Aufstieg von GOLEM

Zu Beginn des zweiten Teils der Inszenierung werden die Zuschauer aufgefordert, sich frei im Raum zu bewegen. Die Lichteffekte und Sounds werden stärker. Die ganze Bühne wird in Nebel eingehüllt. Dazu erklingt die Stimme von Weerth/GOLEM, dass er sich retten werde, indem er den Menschen preisgebe. Hier haben die Autoren eine Passage aus dem Originaltext von Lem abgeändert, in der es heißt, dass die Menschen in ein Zeitalter der Metamorphose eintreten werden, da sich der Mensch nur dadurch retten könne, dass er den Menschen preisgebe. Der GOLEM verstummt und steigt hinauf zu höheren Formen des Denkens, so wie es der Roman angekündigt hat. Zurück bleibt ein ratloser Marco Böhlandt in der visuellen Projektion, der sich noch quält mit dem Problem, worauf Weerth eigentlich hinaus wolle. Am Ende glimmt noch kurz ein rotes Leuchten auf, dann ist GOLEM dem intelligiblen Zugriff der Wissenschaftler entschwunden.

Dieses Aufsteigen in höhere Denksphären, aus dem die literarische Vision einen großen Teil ihrer Faszination bezogen hat, in einer Theateraufführung zu inszenieren, ist kein einfaches Unterfangen. Es bleibt dem Zuschauer überlassen, dieses Ereignis aus Licht, Klang und Nebel zu deuten (und wer den Roman nicht gekannt hat, wird schwerlich irgendeinen Sinn in diesem Spektakel gesehen haben).

Das ist das Verhängnis der Menschen, auf das Goschler hingewiesen hat, dass sich die Menschen mittels ihrer Sprachmanipulationen alles "passend" machen und damit die Chancen, die Dimensionen einer solchen Intelligenz gar nicht verstehen können. Sie legen ihre vorgestanzten Interpretationsfolien über die Phänomene und verbauen sich damit ein erweitertes Verständnis. Besonders deutlich wird das in der Szene mit Johannsen, in der dieser routinemäßig seine Patientenbefragung durchführt und das Vielwesen, das GOLEM ist und das die Widersprüche des Publikums in diesem Moment aufgenommen hat (repräsentiert durch viele Antworten verschiedener Zuschauer), nicht erkennen kann. Der GOLEM aus dem Roman spricht diesen Zusammenhang ebenfalls an, wen er erklärt, dass die Computer dieser Bauart nicht irgendwelchen "Schlössern" Theorien anpassen wie die Menschen, sondern das, was sie erforschen, in sich selbst herstellen würden.

Im Unterschied zum Roman, in dem GOLEM eine Reihe von Vorträgen hält, macht Prospect Park die Kommunikation, bzw. die Unmöglichkeit der Kommunikation zwischen Menschen und GOLEM zum Thema und findet auf diese Weise zu einer interessanten theatralischen Variante des Romanstoffs. Unabhängig von der Überlegung, ob es eine solche GOLEM-Intelligenz wirklich jemals geben kann, haben die Theatermacher eine provozierende Anordnung geschaffen, in der die "Scheuklappen"-Einstellung der verzweigten und voneinander getrennten Wissenschaften einem unbekannten Phänomen gegenüber zum Ausdruck gebracht wird. Und man wird das Gefühl nicht los, dass der ein oder andere der beteiligten Wissenschaftler dabei zu einem Statisten in einem Spiel gemacht wurde, das er nicht ganz durchschaut hat.