Das Unmögliche überdenken - warum nicht?!

Seite 2: Rössler und der CERN-Konter

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Bereits Anfang des Jahres 2008, noch Monate vor dem ersten Testlauf des LHC-Experiments, wandte sich der deutsche Chemiker Otto E. Rössler http://www.uni-tuebingen.de/Chemie/Chemie/PC/Profs/roessler.html vom Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Universität Tübingen verstärkt an die Öffentlichkeit und warnte explizit vor den kaum kalkulierbaren Gefahren und Folgen eines derartigen Versuchs. Nach der Kollision von Protonen, die in dem 27 Kilometer langen, unterirdischen Röhrenring auf beinahe Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden, könnte am LHC die Versuchsreihe völlig außer Kontrolle geraten; dabei könnte ein stabiles und gefräßiges Schwarzes Mini-Loch in die Welt gesetzt werden, dem unser gesamter Planet binnen weniger Jahre, mit Glück erst nach 50 Jahren vollends zum Opfer fallen würde. Seinen Standpunkt präzisierte Rössler in der englischen Tageszeitung "The Telegraph" am 30. August 2008:

Meine eigenen Rechnungen haben ergeben, dass es ziemlich plausibel ist, dass diese kleinen Schwarzen Löchern überleben und exponentiell anwachsen und den Planeten von innen auffressen werden. Ich habe CERN darum gebeten, eine Sicherheitskonferenz abzuhalten, die prüfen soll, ob meine Schlussforderungen falsch sind, aber sie waren nicht bereit dazu. […] Wir haben unseren Antrag auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht, weil wir nicht glauben, dass die CERN-Wissenschaftler alle erforderlichen Schutzmaßnahmen ergriffen haben, um die Menschheit zu schützen.

Otto Rössler
Simulierte Herstellung eines Schwarzen Lochs in Atlas. Bild: Cern

Erwartungsgemäß quittierte das Gros der Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten Rösslers zugegebenermaßen höchst gewöhnungsbedürftige Theorie mit Kopfschütteln und großer Skepsis, zumal dieser den LHC-Start an anderer Stelle als das "größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte" bezeichnete.

Viele schmunzelten über seine Thesen, stilisierten ihn zum Fantasten, stempelten ihn als Spinner ab, während andere sich über seine angeblich kruden und wissenschaftlich schlichtweg falschen Berechnungen mokierten. Noch am freundlichsten wiesen seine Behauptungen Teilchenphysiker von 26 Universitäten in einer gemeinsamen Stellungnahme apodiktisch zurück. In dem Papier warfen die Autoren Rössler vor, von "falschen und widerlegten Annahmen" auszugehen. Falls entgegen den Erwartungen vieler Physiker mikroskopisch kleine Schwarze Löcher am LHC nachgewiesen werden sollten, würden diese "unter keinen Umständen" gefährlich sein. "Dies ist in zahlreichen Untersuchungen unabhängiger Experten nachgewiesen worden."

Rössler interpretiere die Allgemeine Relativitätstheorie schlichtweg falsch und negiere die Grundlagen der Physik. Ohnehin hätten die vermeintlichen Schwarzen Löcher am LHC, über die Rössler spekuliere, nichts mit den kosmischen Schwarzen Löchern gemein. Denn letztere seien mindestens mehrere Sonnenmassen schwer, die Schwarzen Löcher am LHC hingegen wären leichter als ein Milliardstel eines Milliardstel Gramms. Stephen Hawkings Folgerung spiegele den aktuellen Forschungsstand wider. Schwarze Löcher im Miniaturformat zerstrahlen innerhalb kürzester Zeit. Zahlreiche Experimente und Beobachtungen hätten bestätigt, dass das LHC sicher sei. Das in der Verlautbarung zu lesende Resümee der Forscher ist unmissverständlich:

Wir wissen zum Beispiel, dass in jeder Sekunde ungefähr 100000 Protonen der LHC-Energie (und höher) als Teil der natürlichen kosmischen Strahlung auf die Erde einfallen und ‚Mini Schwarze Löcher’ produzieren könnten. Wären diese Mini Schwarzen Löcher gefährlich, würde die Erde eventuell gar nicht mehr existieren. Viel öfter trifft die kosmische Strahlung auf die Sonne und andere größere Himmelskörper. Aus den kosmischen Beobachtungen folgt, dass von den eventuell am LHC produzierten Schwarzen Löchern keine Gefahr ausgeht.

Stellungnahme von Teilchenphysikern

Risikoeinschätzungen dieser Machart sind nicht neu in diesem Genre. Bereits 1999 diskutierten einige CERN-Forscher in der angesehenen Wissenschaftspublikation Physical Letters B über eine andere Gefahr, die von Teilchenbeschleuniger-Experimenten ausgehen könnte. Bei dieser stehen sogenannte Strangelets (Kompositum aus den englischen Wörtern "strange matter") im Mittelpunkt. Sie könnten sich aus Quarks herausschälen und zu einem extrem dichten neuen Gebilde verdichten, das zwar kleiner als ein Atom ist, dafür aber alles, was mit ihm in Berührung kommt, in eine neue Materieart transformiert. Doch in ihrer Studie verwiesen die CERN-Physiker auch die Strangelet-Theorie ins Reich der Spekulation, weil ihre Rechnungen ergaben, dass bei einem Partikelexperiment mit zehnjähriger Laufzeit das Risiko einer totalen Katastrophe nicht höher sei als 1 zu 50 Millionen.