Das Verschwinden der Insekten von der Oberfläche des Kapitals
- Das Verschwinden der Insekten von der Oberfläche des Kapitals
- "Die Bauern wirtschaften falsch, die Kunden konsumieren falsch!"
- Eine Gesetzesänderung war das Ziel der Initiative, nicht die grundsätzliche Lösung des Problems
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Das in Bayern durchgeführte Volksbegehren "Rettet die Bienen" und dessen Erfolg nährt Hoffnungen, die bei genauerem Hinsehen Zweifel aufkommen lassen
In Bayern wurde erfolgreich ein Volksbegehren durchgeführt. Es firmierte unter dem Titel "Volksbegehren Artenvielfalt", warb um Teilnahme mit dem Slogan "Rettet die Bienen!" und war eine Reaktion auf die in den letzten Jahren massiv zurückgegangene Vielfalt und Masse der Insekten im allgemeinen, mancher Bienenarten im besonderen und einer diesen tierischen Verlusten vorausgegangenen Verarmung der bisherigen Pflanzenvielfalt.
Es ging darin also - anders als der zentrale Slogan vermuten ließ - gar nicht ausschließlich um die Bienen, sondern um den Rückgang tierischer und damit auch pflanzlicher Artenvielfalt und vor allem auch um das Insektensterben. Die Bienen mit ihrem hohen gesellschaftlichen Symbolwert wurden der Aktion als Aufhänger vorangestellt, obwohl deren Bestand - abgesehen von den Wildbienen - unter Obhut der Imker weit besser abgesichert sein dürfte, als der zahlreicher sonstiger und weniger symbolträchtiger Insektenarten.
Grundlage für Volksbegehren und Volksentscheide sind folgende Artikel der Verfassung des Freistaates Bayern: Artikel 71 regelt die Gesetzesinitiative: "Die Gesetzesvorlagen werden vom Ministerpräsidenten namens der Staatsregierung, aus der Mitte des Landtags, vom Senat oder vom Volk (Volksbegehren) eingebracht." Artikel 72, Absatz (1) behandelt die Beschlussfassung: "Die Gesetze werden vom Landtag oder vom Volk (Volksentscheid) beschlossen."
In Artikel 73 wird beschieden, dass über den Staatshaushalt kein Volksentscheid stattfinden darf, und Artikel 74 regelt in drei Absätzen die Verfahrensweise. "Meist ist (das Volksbegehren) die Vorstufe zu einem Volksentscheid. Nimmt der Landtag eine so eingereichte Gesetzesvorlage nicht an, wird vom Volk über das Gesetz abgestimmt." War das Volksbegehren erfolgreich, "ist der Landtag am Zug. Der hat mehrere Möglichkeiten: Entweder er nimmt den Gesetzentwurf des Volksbegehrens unverändert an. Oder er lehnt ihn einfach ab - dann darf die Bevölkerung bei einem Volksentscheid darüber abstimmen. Oder der Landtag stellt dem Volksbegehren einen eigenen Gesetzentwurf entgegen - dann werden bei einem Volksentscheid beide Gesetzentwürfe zur Abstimmung gestellt."
Freier Wille unter Gewährungsvorbehalt
Volksbegehren und Volksentscheid sind Instrumente der direkten Demokratie. In ihnen äußert sich ein organisierter Bürgerwille, der auf die Einführung eines neuen Gesetzes abzielt. Um die Bedeutung des Bürgerwillens als staatlich lizensiertes Grundrecht besser verstehen zu können, nachfolgend ein paar Erläuterungen zu dessen Eigenschaft als staatlich geschütztes Freiheitsrecht.
Frei ist der Bürgerwille insofern, als ihm diese Eigenschaft grundgesetzlich in Artikel 2, Absatz (1) zugestanden wird: "Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt." (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Berlin 2017, S. 16) Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit schließt den freien Willen mit ein, denn ohne freien Willen keine Persönlichkeitsentfaltung. Dass der von Natur aus freie Wille überhaupt einer rechtlichen Regelung unterworfen werden muss, sollte zu denken geben, denn ein freier Wille, der gewährt wird, unterliegt einem Gewährungsvorbehalt, und was gewährt wird, kann auch wieder entzogen werden.
Die Verrechtlichung des freien Willens verwandelt dass Wollen in ein Wollen-Dürfen! Wenn also eine von Natur aus gegebene Eigenschaft des menschlichen Willens - nämlich frei zu sein - einer rechtlichen Regelung unterzogen wird, kann der Grund dafür nur darin zu finden sein, daß dessen praktische Ausübung Folgen zeitigt, die eine solche erforderlich machen.
Der freie Wille zeichnet sich dadurch aus, daß er im Verlauf seiner Ausübung auf "die Rechte anderer" Individuen trifft, die sich ebenfalls ihres freien Willens bedienen, und die deshalb - und das ist die im Grundgesetz Artikel 2, Absatz (1) verzeichnete Forderung - als Beschränkung ins eigene Handlungskalkül mit einzubeziehen sind. Der freie Wille ist deshalb frei - d.h. unbedingt - nur als abstrakt freier Wille, der losgelöst ist von den Mitteln seiner Verwirklichung, die ihm zu Gebote stehen: der Wunsch von Nachbarn beispielsweise, der Landwirt möge doch von seinen Giftspritzorgien ablassen, bleibt unerfüllt, wenn der solchermaßen behandelte Acker Eigentum des Bauern ist.
Die Kluft zwischen Wollen und Können, die zur Alltagserfahrung der allermeisten Bürger gehört, hat der Begeisterung, welche die der abstrakten Willensfreiheit entgegenbringen, bisher allerdings keinen Abbruch getan. Von dem Moment an, in dem sich der freie Wille praktisch zu betätigen beginnt, unterliegt er dem staatlichen Rechtssystem, welches ihm die Rahmenbedingungen seines Handelns vorgibt.
Dieser Sachverhalt macht sich schließlich auch im Akt eines Volksbegehrens bzw. Volksentscheids geltend: Der organisierte Wille einer großen Zahl von Bürgern ist bedingungslos frei nur als abstrakter freier Wille, indem ihm staatlicherseits zugestanden wird, sich als solcher überhaupt zu konstituieren. Geht dieser Wille daran, sich praktisch zu betätigen, darf er sich allerdings ausschließlich in rechtskonformer Art und Weise Geltung verschaffen, was wiederum bedeutet, daß ein organisierter Bürgerwille nur innerhalb des staatlichen Aufsichts- und Gewährleistungsregimes seiner Zweckrealisierung nachgehen darf.
Der Grund dafür liegt im besonderen Charakter der staatlichen Anerkennung des freien Willens begründet: Letzterer bedarf der staatlichen Beaufsichtigung nämlich deshalb, weil er bei der Verwirklichung seiner Zwecksetzungen gegnerischen, d.h. konkurrierenden Interessen in die Quere kommt. Deren Berücksichtigung bei der Verfolgung der eigenen Zwecke schreibt der Staat zwingend vor. "Die staatlich aufgeherrschte Verpflichtung zur wechselseitigen Respektierung der rechtlich geschützten gegnerischen Belange schafft ja die Interessengegensätze nicht aus der Welt. Sondern umgekehrt legt der Staat die Bahnen fest, in denen die gegeneinander gerichtete Interessenverfolgung stattfindet."1
Konkurrierende Interessen werden manifest, wenn das Privateigentum ins Spiel kommt, auf das sich Grundgesetz Artikel 14, Absatz (1) bezieht: "Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. (...)" (Grundgesetz a.a.O., S. 23). In der ausschließenden Verfügungsgewalt des freien Willens über sein Eigentum liegt der Gegensatz begründet, der private Zwecksetzungen zu konkurrierenden Interessen werden läßt, die es gegen andere durchzusetzen gilt. Damit sich diese wechselseitigen Durchsetzungsbemühungen nicht in gewaltsamer Form betätigen, bedarf es einer übergeordneten Gewalt, die die gegnerischen Interessen in friedliche Bahnen zwingt: Um konkurrierende Gewalt zu unterbinden, ist eine übergeordnete Gewalt vonnöten. Ohne Gewalt geht es also nicht beim gesellschaftlichen Konkurrieren!
"Dann sind die Traktoren gekommen …"
Das Volksbegehren Artenvielfalt hat interessierte Bürger zu einer gemeinschaftlichen Willensbekundung aufgefordert, der diese in beträchtlicher Anzahl nachgekommen sind. Als Hauptverursacher des Insekten- und Artensterbens ist von den Initiatoren und Fachleuten die Landwirtschaft dingfest gemacht worden: "Seit den 50er und 60er Jahren wird mit Pflanzenschutzmitteln und Flurbereinigung gearbeitet. Aber die Effekte, die in der Landschaft auftreten, sind erst in den letzten Jahren oder Jahrzehnten so deutlich sichtbar geworden - eine offenbar verzögerte Reaktion der Natur auf die Technisierung der Landwirtschaft."2
Der Einsatz von als Pflanzenschutz(!)mittel deklarierten Insekten- und Unkrautvernichtungsgiften einerseits und die Anpassung der Felder an die Erfordernisse ihrer maschinellen Bearbeitung (verharmlosend: Flurbereinigung genannt) andererseits hat die Voraussetzungen für die Industrialisierung der Landwirtschaft geschaffen: "... dann sind die Traktoren nach Deutschland gekommen. Das hat dann eine neue Landschaft gebraucht mit größeren Flächen. Und es hat eine Intensivierung der Landwirtschaft begonnen, die einfach kaum mehr Blüten zugelassen hat."3
Das Volksbegehren richtet sich also überwiegend gegen die Interessen der Landwirte an einer profitabel zu bearbeitenden Landschaft, in der Insekten und (Un)Kräuter letztlich nur als Schädlinge wahrgenommen werden. Die Landwirte sehen sich hierdurch an den Pranger gestellt, denn sie wähnen sich in ihrer eigenen Wahrnehmung ja nicht als Zerstörer, sondern als Bewahrer der Artenvielfalt: Mit dem Volksbegehren lasse "man ausgerechnet diejenigen im Regen stehen, die mit ihrer täglichen Arbeit den Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere zu erhalten versuchen" und unterschlage damit, was von "Landwirte(n) bereits in Sachen Umwelt- und Naturschutz geleistet wird", erklärte Georg Wimmer, Generalsekretär des Bayerischen Bauernverbandes.
Womit sicherlich nicht gemeint ist, dass die Leistungen der Landwirte in Sachen Umwelt- und Naturschutz gerade darin zu liegen scheinen, die Voraussetzungen für dessen fortgesetztes Scheitern herzustellen. Mit in der Verantwortung stünden laut Wimmer auch die Gesellschaft und deren Bürger: "Maßnahmen gegen immer mehr Beton und Teer, gegen Mähroboter und Steinwüsten im Garten, gegen grelle Beleuchtung und Freizeitaktivitäten auch im entlegensten Eck Bayerns sucht man im Gesetzesentwurf (...) vergeblich."
Den Bürgern wird darüber hinaus von den Landwirten auch insofern eine direkte Mitverantwortung am Artensterben vorgeworfen, als nach deren Vorstellung die Entscheidung darüber, ob die landwirtschaftlichen Anbauflächen mit mehr oder weniger Rücksicht auf das darin vorkommende pflanzliche und tierische Leben bewirtschaftet werden können, von den Verbrauchern selbst mit gefällt wird, nämlich an den Kassen des Lebensmittelhandels, wo es ans Bezahlen geht: "Die Landwirte, die freiwillig nachhaltig arbeiten, sind am Ende die Dummen, weil die konventionellen Bauern die höheren Profite einfahren"4 und ihre Erzeugnisse dadurch preisgünstiger in den Handel und somit an den Verbraucher gebracht werden können.
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