Das Verschwinden der Insekten von der Oberfläche des Kapitals

Das in Bayern durchgeführte Volksbegehren "Rettet die Bienen" und dessen Erfolg nährt Hoffnungen, die bei genauerem Hinsehen Zweifel aufkommen lassen

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In Bayern wurde erfolgreich ein Volksbegehren durchgeführt. Es firmierte unter dem Titel "Volksbegehren Artenvielfalt", warb um Teilnahme mit dem Slogan "Rettet die Bienen!" und war eine Reaktion auf die in den letzten Jahren massiv zurückgegangene Vielfalt und Masse der Insekten im allgemeinen, mancher Bienenarten im besonderen und einer diesen tierischen Verlusten vorausgegangenen Verarmung der bisherigen Pflanzenvielfalt.

Es ging darin also - anders als der zentrale Slogan vermuten ließ - gar nicht ausschließlich um die Bienen, sondern um den Rückgang tierischer und damit auch pflanzlicher Artenvielfalt und vor allem auch um das Insektensterben. Die Bienen mit ihrem hohen gesellschaftlichen Symbolwert wurden der Aktion als Aufhänger vorangestellt, obwohl deren Bestand - abgesehen von den Wildbienen - unter Obhut der Imker weit besser abgesichert sein dürfte, als der zahlreicher sonstiger und weniger symbolträchtiger Insektenarten.

Grundlage für Volksbegehren und Volksentscheide sind folgende Artikel der Verfassung des Freistaates Bayern: Artikel 71 regelt die Gesetzesinitiative: "Die Gesetzesvorlagen werden vom Ministerpräsidenten namens der Staatsregierung, aus der Mitte des Landtags, vom Senat oder vom Volk (Volksbegehren) eingebracht." Artikel 72, Absatz (1) behandelt die Beschlussfassung: "Die Gesetze werden vom Landtag oder vom Volk (Volksentscheid) beschlossen."

In Artikel 73 wird beschieden, dass über den Staatshaushalt kein Volksentscheid stattfinden darf, und Artikel 74 regelt in drei Absätzen die Verfahrensweise. "Meist ist (das Volksbegehren) die Vorstufe zu einem Volksentscheid. Nimmt der Landtag eine so eingereichte Gesetzesvorlage nicht an, wird vom Volk über das Gesetz abgestimmt." War das Volksbegehren erfolgreich, "ist der Landtag am Zug. Der hat mehrere Möglichkeiten: Entweder er nimmt den Gesetzentwurf des Volksbegehrens unverändert an. Oder er lehnt ihn einfach ab - dann darf die Bevölkerung bei einem Volksentscheid darüber abstimmen. Oder der Landtag stellt dem Volksbegehren einen eigenen Gesetzentwurf entgegen - dann werden bei einem Volksentscheid beide Gesetzentwürfe zur Abstimmung gestellt."

Freier Wille unter Gewährungsvorbehalt

Volksbegehren und Volksentscheid sind Instrumente der direkten Demokratie. In ihnen äußert sich ein organisierter Bürgerwille, der auf die Einführung eines neuen Gesetzes abzielt. Um die Bedeutung des Bürgerwillens als staatlich lizensiertes Grundrecht besser verstehen zu können, nachfolgend ein paar Erläuterungen zu dessen Eigenschaft als staatlich geschütztes Freiheitsrecht.

Frei ist der Bürgerwille insofern, als ihm diese Eigenschaft grundgesetzlich in Artikel 2, Absatz (1) zugestanden wird: "Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt." (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Berlin 2017, S. 16) Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit schließt den freien Willen mit ein, denn ohne freien Willen keine Persönlichkeitsentfaltung. Dass der von Natur aus freie Wille überhaupt einer rechtlichen Regelung unterworfen werden muss, sollte zu denken geben, denn ein freier Wille, der gewährt wird, unterliegt einem Gewährungsvorbehalt, und was gewährt wird, kann auch wieder entzogen werden.

Die Verrechtlichung des freien Willens verwandelt dass Wollen in ein Wollen-Dürfen! Wenn also eine von Natur aus gegebene Eigenschaft des menschlichen Willens - nämlich frei zu sein - einer rechtlichen Regelung unterzogen wird, kann der Grund dafür nur darin zu finden sein, daß dessen praktische Ausübung Folgen zeitigt, die eine solche erforderlich machen.

Der freie Wille zeichnet sich dadurch aus, daß er im Verlauf seiner Ausübung auf "die Rechte anderer" Individuen trifft, die sich ebenfalls ihres freien Willens bedienen, und die deshalb - und das ist die im Grundgesetz Artikel 2, Absatz (1) verzeichnete Forderung - als Beschränkung ins eigene Handlungskalkül mit einzubeziehen sind. Der freie Wille ist deshalb frei - d.h. unbedingt - nur als abstrakt freier Wille, der losgelöst ist von den Mitteln seiner Verwirklichung, die ihm zu Gebote stehen: der Wunsch von Nachbarn beispielsweise, der Landwirt möge doch von seinen Giftspritzorgien ablassen, bleibt unerfüllt, wenn der solchermaßen behandelte Acker Eigentum des Bauern ist.

Die Kluft zwischen Wollen und Können, die zur Alltagserfahrung der allermeisten Bürger gehört, hat der Begeisterung, welche die der abstrakten Willensfreiheit entgegenbringen, bisher allerdings keinen Abbruch getan. Von dem Moment an, in dem sich der freie Wille praktisch zu betätigen beginnt, unterliegt er dem staatlichen Rechtssystem, welches ihm die Rahmenbedingungen seines Handelns vorgibt.

Dieser Sachverhalt macht sich schließlich auch im Akt eines Volksbegehrens bzw. Volksentscheids geltend: Der organisierte Wille einer großen Zahl von Bürgern ist bedingungslos frei nur als abstrakter freier Wille, indem ihm staatlicherseits zugestanden wird, sich als solcher überhaupt zu konstituieren. Geht dieser Wille daran, sich praktisch zu betätigen, darf er sich allerdings ausschließlich in rechtskonformer Art und Weise Geltung verschaffen, was wiederum bedeutet, daß ein organisierter Bürgerwille nur innerhalb des staatlichen Aufsichts- und Gewährleistungsregimes seiner Zweckrealisierung nachgehen darf.

Der Grund dafür liegt im besonderen Charakter der staatlichen Anerkennung des freien Willens begründet: Letzterer bedarf der staatlichen Beaufsichtigung nämlich deshalb, weil er bei der Verwirklichung seiner Zwecksetzungen gegnerischen, d.h. konkurrierenden Interessen in die Quere kommt. Deren Berücksichtigung bei der Verfolgung der eigenen Zwecke schreibt der Staat zwingend vor. "Die staatlich aufgeherrschte Verpflichtung zur wechselseitigen Respektierung der rechtlich geschützten gegnerischen Belange schafft ja die Interessengegensätze nicht aus der Welt. Sondern umgekehrt legt der Staat die Bahnen fest, in denen die gegeneinander gerichtete Interessenverfolgung stattfindet."1

Konkurrierende Interessen werden manifest, wenn das Privateigentum ins Spiel kommt, auf das sich Grundgesetz Artikel 14, Absatz (1) bezieht: "Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. (...)" (Grundgesetz a.a.O., S. 23). In der ausschließenden Verfügungsgewalt des freien Willens über sein Eigentum liegt der Gegensatz begründet, der private Zwecksetzungen zu konkurrierenden Interessen werden läßt, die es gegen andere durchzusetzen gilt. Damit sich diese wechselseitigen Durchsetzungsbemühungen nicht in gewaltsamer Form betätigen, bedarf es einer übergeordneten Gewalt, die die gegnerischen Interessen in friedliche Bahnen zwingt: Um konkurrierende Gewalt zu unterbinden, ist eine übergeordnete Gewalt vonnöten. Ohne Gewalt geht es also nicht beim gesellschaftlichen Konkurrieren!

"Dann sind die Traktoren gekommen …"

Das Volksbegehren Artenvielfalt hat interessierte Bürger zu einer gemeinschaftlichen Willensbekundung aufgefordert, der diese in beträchtlicher Anzahl nachgekommen sind. Als Hauptverursacher des Insekten- und Artensterbens ist von den Initiatoren und Fachleuten die Landwirtschaft dingfest gemacht worden: "Seit den 50er und 60er Jahren wird mit Pflanzenschutzmitteln und Flurbereinigung gearbeitet. Aber die Effekte, die in der Landschaft auftreten, sind erst in den letzten Jahren oder Jahrzehnten so deutlich sichtbar geworden - eine offenbar verzögerte Reaktion der Natur auf die Technisierung der Landwirtschaft."2

Der Einsatz von als Pflanzenschutz(!)mittel deklarierten Insekten- und Unkrautvernichtungsgiften einerseits und die Anpassung der Felder an die Erfordernisse ihrer maschinellen Bearbeitung (verharmlosend: Flurbereinigung genannt) andererseits hat die Voraussetzungen für die Industrialisierung der Landwirtschaft geschaffen: "... dann sind die Traktoren nach Deutschland gekommen. Das hat dann eine neue Landschaft gebraucht mit größeren Flächen. Und es hat eine Intensivierung der Landwirtschaft begonnen, die einfach kaum mehr Blüten zugelassen hat."3

Das Volksbegehren richtet sich also überwiegend gegen die Interessen der Landwirte an einer profitabel zu bearbeitenden Landschaft, in der Insekten und (Un)Kräuter letztlich nur als Schädlinge wahrgenommen werden. Die Landwirte sehen sich hierdurch an den Pranger gestellt, denn sie wähnen sich in ihrer eigenen Wahrnehmung ja nicht als Zerstörer, sondern als Bewahrer der Artenvielfalt: Mit dem Volksbegehren lasse "man ausgerechnet diejenigen im Regen stehen, die mit ihrer täglichen Arbeit den Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere zu erhalten versuchen" und unterschlage damit, was von "Landwirte(n) bereits in Sachen Umwelt- und Naturschutz geleistet wird", erklärte Georg Wimmer, Generalsekretär des Bayerischen Bauernverbandes.

Womit sicherlich nicht gemeint ist, dass die Leistungen der Landwirte in Sachen Umwelt- und Naturschutz gerade darin zu liegen scheinen, die Voraussetzungen für dessen fortgesetztes Scheitern herzustellen. Mit in der Verantwortung stünden laut Wimmer auch die Gesellschaft und deren Bürger: "Maßnahmen gegen immer mehr Beton und Teer, gegen Mähroboter und Steinwüsten im Garten, gegen grelle Beleuchtung und Freizeitaktivitäten auch im entlegensten Eck Bayerns sucht man im Gesetzesentwurf (...) vergeblich."

Den Bürgern wird darüber hinaus von den Landwirten auch insofern eine direkte Mitverantwortung am Artensterben vorgeworfen, als nach deren Vorstellung die Entscheidung darüber, ob die landwirtschaftlichen Anbauflächen mit mehr oder weniger Rücksicht auf das darin vorkommende pflanzliche und tierische Leben bewirtschaftet werden können, von den Verbrauchern selbst mit gefällt wird, nämlich an den Kassen des Lebensmittelhandels, wo es ans Bezahlen geht: "Die Landwirte, die freiwillig nachhaltig arbeiten, sind am Ende die Dummen, weil die konventionellen Bauern die höheren Profite einfahren"4 und ihre Erzeugnisse dadurch preisgünstiger in den Handel und somit an den Verbraucher gebracht werden können.

"Die Bauern wirtschaften falsch, die Kunden konsumieren falsch!"

Die Landwirte fühlen sich insofern zu Unrecht an den Pranger gestellt, weil sie ihre landwirtschaftlichen Betriebe nach exakt den von der Politik vorgeschriebenen Methoden betreiben, die von ihnen erwartet werden, nämlich nach industriellen Maßstäben und in Konkurrenz gegeneinander. Das aber sehen sie gar nicht als Problem, das es zu beseitigen gäbe: Sie können und wollen es sich gar nicht anders vorstellen! Sie betätigen sich zwar als Exekutoren des ihnen staatlich aufgeherrschten Konkurrenzzwangs, beklagen darüber hinaus auch fortwährend die Härten, denen sie bei dieser Form des Wirtschaftens ausgesetzt sind, stellen diese aber grundsätzlich überhaupt nicht in Frage.

Auf der anderen, der Konsumentenseite herrscht spiegelbildlich die gleiche Ignoranz gegenüber den ökonomischen Voraussetzungen, denen die Landwirte zu gehorchen haben und wollen. Man deckt sich gegenseitig mit Vorwürfen ein: Die Bauern wirtschafteten falsch, die Kunden konsumierten falsch! Auf diese Art und Weise agieren und argumentieren beide Seiten zielsicher aneinander vorbei und verfehlen dadurch beide die Ursache der Misere, ohne in deren Beurteilung und Lösung auch nur einen Schritt weiter zu kommen. Die sowohl von den Betreibern des Volksbegehrens als auch der Politik ventilierten Lösungsperspektiven klammern das Konkurrenzproblem vollkommen aus und tragen dadurch dazu bei, daß sich sowohl die ökologische Misere der Landschaft als auch die ökonomische der Landwirte trotz aller gegenteiligen Bemühungen immer mehr vergrößert!

Die kapitalistische Geschäftsgrundlage als Ursache notwendig rücksichtslosen Agierens steht nicht zur Disposition

Der bayerische Ministerpräsident Söder will an einem "Runden Tisch", an dem sich sowohl die Vertreter des Volkswillens als auch dessen Gegner zusammensetzen, beraten, wie das Volksbegehren unter Berücksichtigung der sich widersprechenden Interessen praktisch umgesetzt werden kann. Das erste Treffen fand gestern statt. Um das landwirtschaftliche Agieren unter Konkurrenzbedingungen wird es dabei aber garantiert nicht (!) gehen, allenfalls um die Folgekosten desselben und deren wie auch immer geartete Bewältigung!

"Bayerns Ministerpräsident will einen alternativen Gesetzesvorschlag zum Volksbegehren vorlegen", schreibt die SZ. (...) Söders Ziel ist ein Gesetzesvorschlag für den Erhalt der Artenvielfalt, der nicht nur den des Volksbegehrens toppt. Sondern der gleichzeitig die Kritik des Bauernverbands (BBV) und seines Präsidenten Walter Heidl an dem Volksbegehren aufnimmt. So wie es Söder griffig in seinem Motto 'Rettet die Bienen und die Bauern' formuliert."

Interessant an dieser Aussage ist, dass der Ministerpräsident nicht nur die Bienen, sondern anscheinend auch die Bauern als gefährdete Art betrachtet und deshalb Handlungsbedarf sieht. Es ist dies allerdings nicht weniger als das wohl unbeabsichtigte Eingeständnis, daß die von der CSU bisher betriebene Landwirtschaftspolitik nicht wenige Bauern anscheinend vor grundlegende existenzielle Probleme stellt. Dass deren Not nicht von den Naturschützern und ihren Forderungen hervorgerufen wurde und wird, liegt auf der Hand, denn die sind noch überhaupt nicht durchgesetzt worden. Zudem hat kein Naturschützer ein Interesse daran, den Landwirten zu schaden.

Als vom Wahlvolk zum Regieren und somit auch zum Gesetzemachen ermächtigt, lässt es sich der Ministerpräsident natürlich nicht nehmen, seinen hervorgehobenen Status in der demokratischen Entscheidungshierarchie auch dann wahrzunehmen, wenn sich der Souverän - das Volk - höchstselbst einmal zum Gesetzemachen berufen fühlt. Sein Vorschlag eines "Runden Tisches" ist also nichts anderes als die Klarstellung den Initiatoren des Volksbegehrens gegenüber, dass natürlich er selbst in seiner Funktion als Ministerpräsident der von Rechts wegen vorgesehene oberste Zuständige für's Gesetzemachen ist und dass er gewillt ist, diese ihm zustehende Rolle auch im Zusammenhang des Volksbegehrens wahrzunehmen. Er will einen Kompromiss zwischen den gegensätzlichen Interessen herbei verhandeln, der von allen Seiten Abstriche verlangt, sonst wär's ja keiner. Um Korrekturen - und nicht mehr - geht es auch der Gegenseite: "Die Initiatoren, darunter die ÖDP, wollen mehrere Änderungen im bayerischen Naturschutzgesetz durchsetzen. Beispielsweise sollen Biotope besser vernetzt, Uferrandstreifen stärker geschützt und der ökologische Anbau im Freistaat gezielt ausgebaut werden. Von 2030 an sollen mindestens 30 Prozent der Anbauflächen in Bayern ökologisch bewirtschaftet werden."5

Die kapitalistische Geschäftsgrundlage als Ursache notwendig rücksichtslosen Agierens gegenüber den ökologischen Voraussetzungen ihres Tuns steht für die Landwirte nicht zur Disposition, darf auch gar nicht zur Disposition stehen, denn dies beträfe dann ja das Eigentumsprinzip als Kernbestandteil ihres konkurrenzhaften Handelns selbst. Als landwirtschaftliche Unternehmer mit ausschließlicher Verfügungsmacht über ihr Eigentum stehen sie in Konkurrenz zu allen anderen landwirtschaftlichen Eigentümern und suchen ihren Vorteil gegen die gleichlautenden Bemühungen aller anderen durchzusetzen.

Da sich Konkurrenzerfolge am ehesten mit zunehmender Betriebsgröße einzustellen pflegen, weil dann eben in größerem Maßstab produziert werden kann und sich Investitionen in teure Maschinen eher rentieren, setzen sich bei diesem fortwährenden Kampf um Marktanteile durch Senkung der Betriebskosten je Produkteinheit diejenigen durch, die über das hierfür nötige Kapital verfügen. Diejenigen, die in diesem Wettlauf nicht mithalten können, bleiben irgendwann auf der Strecke und geben auf.

Der bäuerliche Existenzverlust durch konkurrenzbedingtes Ausscheiden aus dem Wettlauf um Marktanteile vollzieht sich schon seit Jahrzehnten, war und ist schon immer Resultat der Landwirtschaftspolitik der CSU, ohne daß dieser Sachverhalt die Landwirte je zu einer Abkehr von ihrer politischen Orientierung an eben dieser Partei veranlaßt hätte. Das alles folgt lupenrein marktwirtschaftlichen Gesetzen. Die an diesem ökonomischen Wettbewerb teilnehmenden Landwirte, die sich in Unkenntnis der tieferen politökonomischen Notwendigkeiten, denen sie sich ausgesetzt sehen, die Voraussetzungen ihres geschäftlichen Überlebens selbst mit zunichte machen, richten durch ihr unreflektiertes Weiterso lieber ihre Gesundheit und ihre Existenz zugrunde, als den Sinn ihres Handelns einmal grundsätzlich in Frage zu stellen.

Und das hat dann schon eine geradezu absurd-tragische Seite an sich: Lieber verlieren diese unermüdlichen Einzelkämpfer ihre gesamte Existenz, als über ein Landwirtschaften unter konkurrenzfreien und kooperativen Bedingungen wenigstens einmal ansatzweise nachdenken zu wollen! Entlastend muss ihnen andererseits attestiert werden, daß allein der gedankliche Übergang von einem ans Privateigentum von Grund und Boden gebundenen Landwirtschaften unter Konkurrenzbedingungen zu einem kooperativen und konkurrenzfreien Produzieren in einem derart strikten Gegensatz zu ihrem bisherigen Agieren steht, dass es schon fast ein Wunder wäre, wenn sie von selbst auf diese Idee kämen!

Eine Gesetzesänderung war das Ziel der Initiative, nicht die grundsätzliche Lösung des Problems

Was die volksbegehrende Bürgerseite betrifft, so ist festzuhalten: Ursachenforschung, die ihr Anliegen wirklich ernst nimmt, kommt zu einem Befund, der sich aus der Erkenntnis der einer Entwicklung zugrundeliegenden Notwendigkeiten ergibt, um daraus dann folgerichtige Schlüsse für die Beseitigung des Problems zu ziehen. Die Initiatoren des Volksbegehrens aber hatten sich - bevor das Problem überhaupt in seinem gesamten Umfang entschlüsselt worden war - von vornherein auf einen Verfahrensweg festzulegen, der mit dem Problem erst einmal überhaupt nichts zu tun hat, dafür aber den möglichen Lösungsansätzen ihre inhaltliche Bestimmung bereits wesentlich mit vorgab, nämlich nur unter Wahrung der rechtlich vorgeschriebenen Teilnahmebedingungen am Gesetzgebungsverfahren Einfluss auf den Wortlaut der Gesetze nehmen zu können, die einer Änderung unterzogen werden sollen.

Nicht das Problem und dessen mögliche Lösung stand also im Vordergrund, sondern der gesetzlich vorgezeichnete Verfahrensweg zur Bearbeitung des Problems: Eine Gesetzesänderung war das Ziel, nicht die grundsätzliche Lösung des Problems. Und das ist keine Spitzfindigkeit: die gesetzliche Fixierung der Regeln, unter denen konkurrierendes Wirtschaften erlaubt ist, sorgt dafür, dass das wechselseitige Schädigen beim Konkurrieren unter ökonomie- und staatsdienlichen Bedingungen vonstatten geht und das Konkurrenzwesen dabei prinzipiell unangetastet bleibt.

Das Verfahren, dem das Bürgerbegehren unterworfen ist, macht überhaupt nur Sinn, weil der Staat als regulierende Instanz es sich vorbehält, zwischen die Kontrahenten mit ihren sich widerstreitenden Interessen zu treten und auf Akzeptanz seiner regulativen Rolle zu bestehen. Auch im Fall des vorliegenden Bürgerbegehrens zeigt sich: Wenn sich Bürger, die ein allgemeines Anliegen verfolgen, der gesetzlich erlaubten Mittel zur Durchsetzung ihres Willens bedienen, haben sie sich von vornherein damit abzufinden, dass sich ihr Wille an konkurrierenden Interessen und an den staatlichen Eingriffsbefugnissen zu relativieren hat. Das haben auch die Veranstalter des Volksbegehrens begriffen.

Dazu erklärte die ÖDP-Politikerin Agnes Becker: "Wir werden am runden Tisch verhandeln mit der Gewissheit, dass so viele Menschen hinter uns stehen, und hoffen, dass der große Wurf des Herrn Söder nicht nur ein kleines Würflein wird." Wer die Bereitschaft zum Verhandeln mitbringt, geht bereits davon aus, dass die eigenen Interessen nicht gänzlich durchgesetzt werden können und bezieht diese Erwartung in seine Forderungen mit ein.

Die Vorstellung eines großen Wurfes blamiert sich im vorliegenden Fall allerdings bereits am Inhalt des von den Initiatoren vorgelegten Gesetzänderungsentwurfs, denn dieser hat an den grundlegenden Geschäftsbedingungen, unter denen Landwirtschaft hierzulande stattzufinden hat, überhaupt nichts auszusetzen, weiß aber eine ganze Reihe flankierender Maßnahmen einzubringen, die von vornherein an eben jenen ökonomischen Voraussetzungen Maß genommen haben, an denen sie sich mit ihren Vorschlägen abmühen und die auf keinen Fall zur Disposition stehen dürfen.

Dass die durch ein Volksbegehren einzubringenden Vorschläge dem gesetzlich abgesicherten normalen Regierungsbetrieb auch garantiert nicht in die Quere kommen - dafür sorgt eine besondere Vorschrift, die es in sich hat: "Es gibt bei Volksbegehren das sogenannte Kopplungsverbot, das bedeutet, dass man nur ein Gesetz ändern darf." Wäre ja noch schöner, wenn Bürger auf die Idee und auch noch damit durch kämen, sämtliche sie schädigenden Gesetze in einem Aufwasch aus dem Weg zu räumen!

Gegen den in diesem Zusammenhang mit Sicherheit auftauchenden Einwand, dass nichts tun alles doch nur noch verschlimmern würde, bleibt anzumerken: Gegen Bemühungen zum Schutz der natürlichen Umwelt in allen ihren Facetten ist überhaupt nichts einzuwenden! Wenn eben diese Bemühungen hingegen einfach nicht so richtig von der Stelle kommen wollen und die Schädigungen immer gravierendere Ausmaße anzunehmen drohen, dann drängt sich die Frage nach den tieferen Ursachen dieser Entwicklung doch geradezu zwangsläufig auf!

Dass hier die sogenannten Marktmechanismen am Wirken sind, deutet sich in manchen Antworten von Fachleuten zum Thema ja durchaus an: "Nicht die Bauern sind das Problem, sondern das System: Landwirte, die produzieren, was man von ihnen verlangt, und natürlich die Politik."6 Daraus allerdings die richtigen analytischen Schlüsse zu ziehen, die anstehenden Probleme in ihrer Folgerichtigkeit überhaupt erst einmal konsequent zu durchdenken, statt immer nur die Verbraucher als die letztendlich Verantwortlichen vorzuschieben - das grenzt schon an Absicht und macht nur deutlich, dass "das System" als Ganzes eben nicht in Frage gestellt werden soll und darf!

Würden sich darüber hinaus diejenigen, die mit viel persönlichem Einsatz versuchen, die immer verheerender sich auswirkenden Folgen kapitalistischen Wirtschaftens abzumildern, sich gleichzeitig mit derselben Inbrunst den eigentlichen Ursachen des Übels, nämlich der ökonomischen Profitmacherei entgegenstellen, wären wir schon ein großes Stück weiter! So aber bewegen sich sämtliche Beteiligten immer nur im eigenen Hamsterrad und wundern sich, daß sie dabei nicht von der Stelle kommen!

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