Das Völkerrecht gilt auch für deutsche Reeder
Das Ausschiffen von geretteten Geflüchteten in Libyen ist nach deutschen Gesetzbüchern strafbar, auch für Handelsschiffe. Dies belegt ein Bundestags-Gutachten. Das Auswärtige Amt und die Staatsanwaltschaften verschleppen jedoch die Verfolgung von Kapitänen und Schiffseignern
Das zentrale Mittelmeer gehört vermutlich zu den besten überwachten Seegebieten der Welt. Die Grenzagentur Frontex betreibt dort die grenzpolizeiliche Operation "Themis", der Auswärtige Dienst ist für die militärische Operation "EUNAVFOR MED" zuständig. Neben großen und kleinen Flugzeugen sowie Schiffen werden U-Boote, Drohnen und Satellitenaufklärung genutzt. Zusätzlich ist auch die NATO mit der Mission "Sea Guardian" zur sicherheitspolitischen Beobachtung im Mittelmeer stationiert. An allen Einsätzen ist deutsches Personal von Bundespolizei bzw. Bundeswehr beteiligt.
Werden im Rahmen der staatlichen Missionen Boote in Seenot festgestellt, müssen diese umgehend gerettet werden, dies gilt selbstredend auch für Geflüchtete in meist seeuntüchtigen Schlauchbooten. So regelt es das Seevölkerrecht, etwa im Internationalen Übereinkommen von 1974 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See. Die Geretteten müssen anschließend in einen sicheren Hafen gebracht werden. Libyen kann jedoch für Geflüchtete nicht als sicher gelten, das Land verfügt über kein Asylsystem, die dortigen Milizen sind für Misshandlungen, Folter und Morde an Schutzsuchenden bekannt.
Verbot der Zurückweisung von Schutzsuchenden
Den Schiffen der EU-Mitgliedstaaten und der NATO ist es deshalb untersagt, Geflüchtete wieder nach Libyen zu bringen. Solche "Push backs" sind im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention oder der Genfer Flüchtlingskonvention verboten. Beide Verträge betonen den Grundsatz der Nichtzurückweisung ("Non-refoulement-Gebot"), der eine Rückführung von Personen in Staaten untersagt, in denen ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.
Die Europäische Kommission in Brüssel rüstet und bildet seit Jahren die sogenannte Küstenwache in Libyen aus, um die Boote auf Hoher See abzufangen und die Insassen nach Nordafrika zurückzuholen. Die libyschen Behörden dürfen aus Seenot gerettete Schutzsuchende bedenkenlos im eigenen Hoheitsgebiet ausschiffen, das Land hat auch keine der beiden genannten Konventionen unterzeichnet.
Seenotrettungsorganisationen kritisieren diese Praxis als "Push backs by proxy", also das Umgehen des Verbots der Zurückschiebung, indem die EU andere Akteure damit beauftragt. Zuständig für die Koordinierung der Einsätze ist eine Leitstelle zur Seenotrettung, die mit EU-Mitteln in Tripolis errichtet werden sollte. Mehrmals hat unter anderem die libysche Küstenwache in der Vergangenheit Schiffe der Hamburger Reederei Opielok, die mit insgesamt acht Schiffen zur Versorgung von Ölplattformen im Geschäft ist, zur Bergung von Menschen in Seenot aufgefordert. Die Kapitäne der "Panther" oder "Jaguar" wurden dabei angewiesen zu warten, bis die libysche Küstenwache die Geflüchteten übernimmt oder diese am besten selbst nach Libyen bringen. Diesen Anweisungen hätten die Kapitäne der deutsch beflaggten Schiffe "notgedrungen" Folge geleistet, sagte der Inhaber der Reederei, Christopher Opielok im vergangenen Jahr im Interview mit der ZEIT.
Völkerrecht gilt auch für Handelsschiffe
Dahinter steht die Annahme, dass die Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention nur für staatliche Schiffe gelten, nicht aber für private Handelsschiffe, Gerettete also ohne Furcht vor gerichtlicher Verfolgung nach Libyen gebracht werden könnten.
Diese Auslegung ist jedoch falsch, bestätigt ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste im Bundestag in aller Deutlichkeit. Den Anweisungen einer libyschen Behörde darf demnach nicht gefolgt werden, "wenn damit unweigerlich die Rückführung der Geretteten nach Libyen […] verbunden ist". Diese aus dem Völkerrecht stammende Vorgabe muss von nationalen Gesetzen berücksichtigt werden, wie es auch in Deutschland der Fall ist. Denn für die deutsch beflaggten Schiffe gilt deutsches Strafrecht, und das verbietet eine "Aussetzung" von Schutzsuchenden nach § 221 StGB.
Dazu befragt, ob sie selbst einen Anfangsverdacht beobachtet und strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet hat, antwortet das Auswärtige Amt auffällig einsilbig und schreibt, man setze sich gegenüber "relevanten Akteurinnen und Akteuren mit Nachdruck für die Einhaltung geltenden Völkerrechts ein". Danach war aber gar nicht gefragt, sondern nach der Strafbarkeit gemäß deutschen Gesetzbüchern.
Erste Verhandlung in Italien
Lange wird sich die Bundesregierung in der Frage nicht mehr zurückhalten können, denn auch in anderen Ländern werden die Verstöße nun verfolgt. Die Staatsanwaltschaft Neapel will dem Kapitän und dem Schiffsbetreiber des italienische beflaggten Schiffs Handelsschiffs "Asso Ventotto", das im Juli 2018 mehr als 100 Gerettete nach Tripolis gebracht und dort der libyschen Küstenwache übergeben hat, den Prozess machen.
Ähnliche Aufregung verursachte kürzlich die deutsche, aber unter portugiesischer Flagge fahrende "MS Anne", deren Besatzung Ende Mai - in diesem Fall auf Geheiß der Seenotleitstelle Malta - ebenfalls rund 100 Geflüchtete nach Libyen ausgeschifft hatte. Die portugiesische Europaabgeordnete Isabel Santos befragt hierzu jetzt die EU-Kommission, Parlamentarier und Nichtregierungsorganisationen des Landes setzen den Fall des deutschen Schiffes auf die politische Tagesordnung.
Noch kein deutscher Präzedenzfall
Die Eigner deutscher Handelsschiffe schließen sich im Verband Deutscher Reeder zusammen. Seit 2015 macht die Organisation richtigerweise darauf aufmerksam, dass die Privaten nicht für die europäische Abschottungspolitik im Mittelmeer verantwortlich gemacht werden können und fordert staatliche Anstrengungen zur Seenotrettung. Dennoch müssen sich deutsche Reeder und Kapitäne nicht nur an das Völkerrecht, sondern auch das deutsche Strafrecht halten, das völkerrechtliche Vorgaben (etwa die Pflicht zur Seenotrettung) umsetzt.
Es ist nicht bekannt, ob deutsche Verantwortliche jemals wegen eines Verstoßes gegen § 221 StGB angezeigt oder gar verurteilt worden sind, hier braucht es wohl wie in Italien einen Präzedenzfall. Gegen geltendes Recht verstoßen aber auch hiesige Staatsanwaltschaften, wenn sie beim Anfangsverdacht wegen "Aussetzung" keine Ermittlungen gegen deutsche Reeder und Kapitäne aufnehmen. Deutsche Justizbehörden ignorieren also das Völkerrecht und die damit zusammenhängenden strafrechtlichen Normen des StGB, damit die Festung Europa keine Risse erhält.
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