Das amerikanische Ezine WORD wird geschlossen

Word wird wortkarg

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Neues vom Club der toten Web-Sites

Und wieder kann der Friedhof für verstorbene Websites einen Neuzugang verzeichnen: Bei www.word.com wird in Zukunft kein Wort mehr fallen, weil der bisherige Sponsor Icon CTM nicht mehr für das unprofitable Ezine bezahlen will. Der New Yorker ISP Icon will sich in Zukunft ganz auf die Profitmaximierung konzentrieren, und unter anderem auf dem japanischen Markt neue Geschäftsfelder erobern. Ein prestigeträchtiges, aber unprofitables Ezine ist daher kein Schmuck der Corporate Culture mehr.

Icon versucht weiterhin, Word an ein anderes Internet-Unternehmen zu verkaufen. Aber die Redaktion von Word hat bereits in der vergangenen Woche ihre Büros in Manhattan räumen müssen und bis auf weiteres wird kein neuer Inhalt mehr produziert. Auf der Homepage von "Word" findet sich bisher kein Heinweis auf die Schließung.

Word ist ein weiteres Opfer der Epidemie, die zur Zeit eine Web-Site nach der anderen dahinrafft, die vor drei, vier Jahren von Online-Pionieren während der ersten Internet-Euphorie gegründet wurden. Bereits im vergangenen Jahr wurden in den USA Urban Desires und der Hotwired-Ableger Pop versiegelt, also nicht weiter mit Content bestückt, und sind nun nur noch als Archiv im Netz zu besichtigen; in Deutschland erwischte es Wildpark und die Internationale Stadt.

In diesem Jahr sind bereits Adaweb, Total New York, Spanker und Charged dem Club der toten Websites beigetreten - und es ist gerade mal März!

Gleichzeitig haben eine Reihe anderer Ezines bekannt gegeben, daß sie in Zukunft für ihre Site Abonnementgebühren verlagen werden: Microsofts Online-Magazin Slate verlangt seit einigen Wochen 20 Dollar Jahresgebühr von Surfern, die mehr als nur die Titelseite der Site besichtigen wollen; auch Salon hat angekündigt, demnächst Mitgliedsgebühren für seinen schöngeistigen Content zu verlagen.

Doch während die beiden Online-Magazine mit grossen Autorennamen und einer professionellen Redaktion auftrumpfen können, setzte man bei Word auf innovative Nobodies und literarisch inspirierte Experimente mit Hypertext. Word-Chefredakteurin Marsia Bowe (39) hatte ihre ersten Netzerfahrungen in der Mailbox Echo gemacht, einer Art New Yorker Gegenstück zu der kalifornischen Online-Community Well. Mit Word versuchte sie 1995 den Pioniergeist dieser frühen Tage ins WorldWideWeb zu überführen.

Word enthielt darum nicht nur die Werke von abgebrochenen Kunststudenten und anderen US-Bohemiens. Die wahre Stärke des Ezines waren Oral-History-Stücke aus dem amerikanischen Alltag, unter anderem Lebensberichte von Lastwagenfahrern und Vertretern. Im Many-to-many-Medium Internet wollte die Redaktion Leute zur Wort kommen lassen, die in den traditionellen Medien kein Rolle spielen.

Die Zukunft könnte nun professionellen Sites wie Feed und Slate gehören, die sich an genau definierte Zielgruppen richten, die für die werbetreibende Industrie interessant sind. Den traditionellen, halb-professionell betriebenen Ezines scheinen dagegen rauhe Zeiten bevorzustehen. Zwar existieren immer noch selbst-gemachte Zines wie Rewired oder Pushing the Obvious als Beweis dafür, dass im Internet nach wie vor jeder sein eigener Verleger werden kann. Aber wenn sie keine Werbeeinnahmen generieren können und keinen Sponsor finden, bleibt ihnen nur die Hobby-Produktion.

Das Online-Magazin Stim hat so den Abgang des Hauptsponsor überlebt: Nachdem Prodigy die Zahlungen für das Ezine einstellte, betreibt Chef-Redakteurin Mikki Halpin die Site nun nach Feierabend weiter.

Korrektur: Urban Desires wird doch nicht eingestellt!. Lesen Sie den Artikel über den Relaunch des Magazins.