Das flüssige Auge des Architekten

Niederländische Shootingstars im Rausch bildgewordener Raumbedürfnisse

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Wie kaum ein anderes Architektenbüro hat MVRDV in letzter Zeit für Furore gesorgt. Die Erfolgsgeschichte der Holländer liest sich wie der rasante Aufstieg einer Online-Broker-Agentur: Junge, umtriebige Köpfe, vermeintlich revolutionäre Konzepte und rasche, radikale Expansion. Vor nur wenigen Jahren haben sie mit weniger als einer Handvoll angefangen. Nun ist ihr mehr als 30 Mitarbeiter zählendes Büro für den holländischen Pavillion auf der Expo in Hannover zuständig. Ihre urbanistischen Visionen tragen nicht nur den digitalen Glanz konsensfähiger Namen, wie Metacity-Datatown, sie entstehen auch im Cyberspace: Demonstrativ favorisieren die Amsterdamer den Komputer als Entwurfsmedium.

Mittel, oder Zweck? Neue Technologien für Architekten und Planer

Ein Hochhaus, gerade mal 40 Meter hoch. Die fünf Etagen haben jeweils Landschaften huckepack geladen. Im unteren Bereich erstreckt sich eine Grotten-und Dünenlandschaft. Die weiteren Ebenen thematisieren Wasser, Regen, und Landwirtschaft. Windräder stehen auf dem Dach. Im dritten Stock ist ein Wald. Das ist der niederländische Beitrag zur Expo 2000.

MVRDV's Beitrag zur EXPO2000

"Große, reine Daten" haben hier Gestalt angenommen, bilden das atemberaubend absurde Resultat statistischer Architektur. MVRDV ist dafür bekannt, Faktoren in den Entwurfsprozess miteinzubeziehen, die sonst übersehen werden. Mit Überbevölkerung als Filter fordern sie optimale Raumnutzung. Die Warnung vor Müll, Globalitätsbekundungen und Naturschutz-Parolen schließen den statistischen Architekturdiskurs mit Welthilfeorganisationen kurz, die komplexe, nationenübergreifende Entwicklungen nur noch anhand von Hochrechnungen zu fassen vermögen. Doch auch mit Statistiken und Diagrammen qualifiziertes Planen und Entwerfen, (wie einst von van Eesterens und Christopher Alexander betrieben), macht die damit verbundenen Forderungen, wie etwa nach multidimensionalem Städtebau, nicht per se akzeptabel. Wer will schon an unterirdischen labyrinthischen Straßenschluchten entlangspazieren, oder in isolierten Sauerstoff-Hochhäusern leben?

Datenfetischismus könnte man dem Kollektiv vorwerfen. Denn viel zur Legitimation des Computers hatte auch Stefan Witteman von MVRDV, der Ende Juni zur Konferenz space99 geladen war, nicht beigetragen. Daß neue Technologien trotzallem auch entscheidende Werkzeuge für Architekten sein können, ließen wiederum andere Referenten dieser Konferenz nicht einfach so im Raum stehen. Neben kollektiven Entwurfs- und Selektionsprozessen, wie von Prof. Dr. Gerhard Schmitt von der ETH Zürich vorgestellt, ist natürlich die mit dem Namen von Frank O. Ghery assoziierte Software Catia zu nennen. Allgemein wird jedoch neben den neuen Entwurfsmöglichkeiten, großes Interesse dem ungekannten Potential Architektur zu kommunizieren entgegengebracht. Die Holländer sind davon nicht auszunehmen.

Mehr als Architektur

Eine malerische Galaxis voller VR-Effekte.

A.Kroker

Vier Projektionsleinwände sind zu einem Kubus zusammengestellt. Die Innenwände werden mit einem kontinuierlichen Fluss von computergenerierten Bildern ausgeleuchtet. Im Radius von 360Grad bahnen sich gigantische Bitmassen ihren Weg über die Köpfe der BetrachterInnen hinweg. Auf flachen rechteckigen Arealen verteilen sich unzählige Mengen von Bäumen, Hühnern, oder Häusern, wie auf einem Schachbrett. Die monumentalen Weiten erinnern an sozialistisches Umweltdesign.

Thema der Installation Metacity-Datatown ist eine aus puren Informationen zusammengesetzte Idealstadt: Die USA, zumindest von der Größe der Bevölkerung her, als eine einzige autarke Stadt zu denken, war die Ausgangsidee von Winy de Maas, einem der Mitbegründer von MVRDV. Diese geballte Portion von ästhetisierter Analyse wird in einer Art Chill Out Lounge präsentiert. Einem Lautsprecher entströmen Klänge von Ambient Musik, eine Mischung aus Aphex Twin und FSOL. Der den Kubus umgebende Ausstellungsraum der Galerie Aedes East, Berlin-Mitte, ist in Dunkelheit getaucht. Das ist keine herkömmliche Präsentation eines Architektenbüros; die Exponate wollen mehr sein als Architekturmodelle: das schmeckt nach Medienkunst.

In der Tat haben sich die Architekten von MVRDV früh auf eine Praxis verlegt, ihre Architektur zu kommunizieren, die einen gewissen Selbstzweck nicht verbergen kann. Die Ausstellungsbeteiligungen, Buchprojekte, Vorträge, Magazinfeatures, und sonstige Auftritte in der medialen Öffentlichkeit, wozu auch eine aufwendig designte Homepage gehört, zielen darauf, das Architektenbüro in verschiedenen Kontexten zu etablieren. Ihre Popularität im Bereich von Kunst, Neue Medien und Architektur hat viel mit dem Reiz der Modelle und Illustrationen ihrer Architektur zu tun. Sie zeugen von MVRDVs ausgesprochenem Interesse an Images zu arbeiten. Kollagen, die unübliche materielle Strukturen, wie, um ein Beispiel aus der Musik zu bemühen, analog und digital miteinander kombinieren, suggerieren nicht nur andere Welten. Sie legen nahe, daß es da um mehr, als bloße Bauprozesse geht. Mit diesem Anspruch traten auch Architekten wie Stefan Braunfels, Coop Himmelb(l)au, Zaha Hadid, oder Daniel Libeskind an die Öffentlichkeit. Sie hatten Erfolg damit, und das, ohne jemals etwas gebaut zu haben...

Flüssige Räume: Ikonen des urbanen Strukturwandels

Jeder hat sicherlich mal einen Zauberwürfel, einen Rubik's Cube, in den Händen gehalten. Man sollte sich also vorstellen können, daß die Drehbewegungen in zeitrafferhafter Geschwindigkeit vom Nullpunkt des inneren Koordinatensystems mit einem Fischauge aufgenommen, ähnlich aussehen, wie aus Techno und Clubzusammenhängen bekannte 'Video-Drugs': Raumdarstellungen, psychedelisch, hypnotisch, wie 3D gewordene Op-Art, flimmerten zu pochenden Beats auf Monitoren oder Projektionsleinwänden, wurden aber auch privat konsumiert. In invertierter Form macht diese Ästhetik wieder von sich reden. Denn sie ist visuellen Reproduktionen (Fotos, Computersimulationen, Kollagen) von dekonstruktivistischen Baukörpern eingeschrieben. Als Fatamorgana, Flashback, als schlechten Trip, stellt bezeichnenderweise ein Times-Cartoon Daniel Libeskinds Architektur dar. Zu sehen sind zwei Teenager. Joints in der Hand, stehen sie vor The Spiral, der Erweiterung des Victoria-Albert Museums, dem Zig-Zag, wie es die Londoner Presse liebevoll-ablehnend zu referieren pflegt. Der eine, mit der etwas gedrungeneren Haltung zum anderen: "Man, what are we on!?"

Krachende, stürzende, splitternde Architekurformen erfreuen sich in Zonen urbaner Strukturwandel einer besonderen Nachfrage. Im Zuge dessen kolonialisieren Bilder von flüssigem, wie bei einer Luftspiegelung, zerklüftendem, als Materie augenscheinlich formbaren Raum die Medien. Ein Raumbegriff gewinnt damit an Boden, der sich auf ein Außen hat reduzieren lassen. Modifzierbar erscheint, nicht, wie bei The Matrix, der gesamte Lebensraum, sondern lediglich die Benutzeroberfläche der Stadt. Zwei künstlerische Projekte sorgen zunächst für Transparenz und Raumgefühl. Der Berliner Techno-Künstler Daniel Pflumm etwa organisiert die Fragmentierung und Ordnung des Raums mit abstrahierten, gemorphten Logos, Schriftzügen, und Icons, die die Corporate-Ästhetiken der großen Stadtinvestoren und Medienkonzerne in sich aufgenommen haben. Adam Page und Eva Hertzschs Ikonen der Sicherheitsarchitektur werden ebenfalls im Stil einer professionellen Werbesimulation präsentiert. Ein Clip zeigt die modularen Securoprods - ein Empfangstresen, und der daraus zusammenbaubare Verhörraum - in Metamorphose-Loops verfangen. In beiden Fällen erinnern die rotierenden Schleifen an weltraumgestützte Bilder einer auf die Erdkugel gerichteten Satelitenvideokamera.

Selbst wenn man beide Arbeiten als kritisch gegenüber besagter Ästhetik wertet, ist vor allem eine sich daraus ergebende Denkbewegung nur mit Vorsicht zu genießen: Die Medialisierung von Raumbildern und deren Konsum im Kontext stadtpolitischer Umwelzungen kann (und muß) man auf eine Diskussionsebene mit der Architektur stellen. So wie MVRDVs Architekten dies mit ihrer Strategie forcieren, geht das allerdings nicht. Mit ihrem utopistischen Idealismus taugen ihre Baukörper als urbane Ikonen nichts. Ihr Beitrag zur zeitgenössischen Architektur ist ein anderer. Ironischerweise ist es im besten Fall die allenthalben herbeigeredete, aber letztenendes im medialen Rummel in Vergessenheit geratene Loslösung von einem Raumdenken/empfinden in Bildern. Jeder, der beim Betreten des von ihnen erbauten Woon-Zorg-Complex, Amsterdam, von einem rauschhaften Erlebnis spricht, macht MVRDV ein Kompliment. Oft mit einer Schrankwand voller aufgezogener Schubladen verglichen, macht die Fassade auf Abbildungen keinen Sinn, verwirrt, entfalltet geradezu eine surreale Wirkung. Kritiker sprechen sogar von einer Störung des Gleichgwichts. Das Gebäude hingegen, mit seinen bunten Plexiglas-Balkonen und 13 an die Außenwand einfach dazugehängten Wohnungen, scheint den Nutzeranforderungen in jeglicher Hinsicht zu entsprechen.