Das geplante Referendum als Scheitelpunkt der Krise

Seite 3: Zwischenfälle auf der Krim

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Seit dem 28. Februar haben die russischen Truppen die Zugänge zur Halbinsel in Armjansk und Tschongar blockiert und das Gelände vermint. Die Telefonverbindungen wurden unterbrochen, der Flugverkehr eingestellt. Damit ist die Halbinsel komplett abgeriegelt. Dennoch kam es vor den ukrainischen Kasernen und Militärobjekten wiederholt zu kritischen Zwischenfällen, da die russischen Okkupanten die ukrainischen Kasernen durch Blockaden aushungern und so kampflos erobern wollen:

  • Am 28. Februar besetzten russische Soldaten die beiden Flughäfen von Sewastopol und Simferopol.
  • Am 2. März begannen rund 1000 Soldaten der russischen Truppen mit der Blockade der 36. Motorisierten Brigade der Küstenverteidigungstruppen in Perewalne. Der stellvertretende Brigadekommandeur Valeri Bojko gab sich entschlossen: "Wir haben nicht vor, den Stützpunkt aufzugeben. Wir sind zu seiner Verteidigung bereit."
  • Ebenfalls am 1. März begannen russische Soldaten mit der Belagerung des Quartiers des 1. Bataillons der Marineinfanterie in Feodossija.
  • Vermutlich am 1. März konnten sich drei Schiffe der ukrainischen Küstenwache ("Grigori Kuropiatnikov", "Mikolaiv" und "Krim") von ihrer Basis Balaklava auf der Krim nach Odessa absetzen.
  • Am 3. März versuchte die russische Marine mit vier Schiffen das ukrainische Führungsschiff "Slavutych" und die Korvette "Ternopil" in Sewastopol zu blockieren. Der "Slavutych" gelang am folgenden Tag die Flucht nach Odessa, wie Vitaliy Zvyahintsev, Kommandeur der Überwasserschiffsbrigade, berichtete.
  • Am 4. März gaben russische Soldaten Warnschüsse ab, als rund 100 ukrainische Luftwaffensoldaten der 204. Taktischen Luftbrigade (45 Mig-29 und 4 L-39) unter Führung von Oberst Juli Mamtschur mit ukrainischer und sowjetischer Truppenfahne zu ihrem Fliegerhorst Belbek zurückkehren wollten.
  • In der Nacht zum 6. März versenkte die russische Marine ihren ausgemusterten Kreuzer "Ochakov" (Kara-Klasse) in der Hafeneinfahrt zur "Südlichen Marinebasis" in Novooserne und seinem Stadtteil Jevpatoria, um den dort vor Anker liegenden Schiffen der ukrainischen Marine den Zugang zum offenen Meer zu versperren.
  • Am 7. März wollten russische Kosaken vergeblich in die Kaserne der 2355. Flugabwehreinheit bei Sewastopol eindringen. Ausländische Journalisten, die Zeugen des Vorfalles wurden, wurden von den Angreifern zusammengeschlagen, der Fernsehreporter Andrei Tsaplienko zumindest zeitweise entführt.
  • Am 8. März berichtete die Nachrichtenagentur Reuters, mittlerweile sei jedes dritte Kriegsschiff der ukrainischen Marine bewegungsunfähig, nachdem russische Einheiten die einzige Verbindung zwischen deren Ankerplätzen und dem Schwarzen Meer versperrt haben - zwei alte Kähne sollen dort versenkt worden sein.
  • Am 8. März wurde ein ukrainisches Aufklärungsflugzeug über der Krim mit terrestrischem Luftabwehrfeuer beschossen. Daraufhin drehte die Maschine ab.

Längerfristige Folgen

Die ukrainischen Streitkräfte sind heute noch so disloziert, wie einst die sowjetischen Streitkräfte: Die Masse der Verbände ist konzentriert im Westteil des Landes, in der alten Stoßrichtung nach Westeuropa; demgegenüber sind die Streitkräfte im russisch-dominierten Ostteil und auf der Krim unterrepräsentiert.

Mit der Zerschlagung der ukrainischen Streitkräfte auf der Krim würde die Ukraine dennoch einen erheblichen Teil ihres Militärpotentials verlieren. Das Heer (Sukhoputni Viys’ka - ZSU) wäre kaum betroffen, da es nur einzelne Einheiten auf der Krim disloziert hat, z.B. die Pioniereinheit 3835 in Bachtschisaraj. Die Luftwaffe verlöre immerhin ein Jagdfliegergeschwader, die beiden Fliegerhorste in Belbek und Gwardejsk, drei FlaRak-Regiementer, das Versorgungszentrum in Simferopol und das Manövergebiet Chauda.

Besonders betroffen wäre die Marine, da sie den Großteil ihres Schiffsbestandes auf der Krim in den Marinestützpunkten Sewastopol mit seiner Streletska Bucht, Balaklawa, Jefpatoria, Noveeserne und Saky stationiert hat. Hinzu kommt die Marineakademie "Petro Nahimow" in Sewastopol und das Manövergelände Opuk. Außerhalb der Halbinsel blieb als einziger Marinestützpunkt Odessa in der westlichen Ukraine übrig. Hier ist das Flagschiff der Marine, die Fregatte "Getman Sagajdatschny", unter dem Kommando von Kapitän Roman Pjatnizki stationiert. Dazu schrieb der Chefredakteur der russischen Militärzeitschrift "Nazionalnaja Oborona" (Nationale Verteidigung) Igor Korotschenko: "Es liegt klar auf der Hand, dass die ukrainische Marine aufhört, als eine organisierte Streitmacht zu existieren." Gleiches gilt für die auf der Krim stationierten Grenztruppen in Simferopol, Perewalne, Balaklawa, Feodossija und Kertsch.

Die weitere politische Lageentwicklung der Ukraine ist offen. Ein Dauerproblem bleibt die brisante finanzielle und ökonomische Lage. Nach wie vor ist die Ukraine eines der korruptesten Länder in Europa. Außerdem muss sich das neue Regime in Kiew nach den ordentlichen Präsidentenwahlen am 25. Mai 2014 erst noch stabilisieren. Da die zukünftige Regierung in Kiew kaum über Militäreinheiten in den russisch-dominierten Landesteilen verfügt und die landesweit verstreuten Einheiten der Bereitschaftspolizei Berkut selbst aufgelöst hat, stellt sich die Frage nach dem "staatlichen Gewaltmonopol", wenn es zu Unruhen kommt.

Die Moskauer Regierung könnte dann die ökonomische Abhängigkeit der Ukraine von den russischen Rohstofflieferungen (allein 40 Milliarden m3 Erdgas pro Jahr) und Krediten weiter ausspielen, um die ukrainische Regierung zu erpressen und in Abhängigkeit zu halten. Im Extremfall könnte die Moskauer Regierung - im Rahmen ihrer Politik einer "kontrollierten Destabilisierung" - die Lage weiter anheizen. Für diesen Fall warnte der neue Vizeverteidigungsminister Oberst a. D. Pjotr N. Neched vor einem Partisanenkrieg. Waffendiebstähle deuten auf entsprechende Vorbereitungen hin.

Wenn sich Russland die Halbinsel Krim einverleibt, kann sie nach eigenem Ermessen dort agieren. Die Schwarzmeerflotte wäre fortan von allen Beschränkungen befreit, wie sie die bilaterale Truppenstationierungsverträge festgeschrieben haben. Außerdem wären die bisherigen Grenzstreitigkeiten zwischen beiden Seiten, etwa in der Straße von Kertsch zwischen dem Schwarzen und dem Asowschen Meer, obsolet. Nicht zuletzt hätte die russische Regierung eine bessere Ausgangsbasis, um die Ostukraine in die Zange zu nehmen.

Außerdem könnte die russische Schwarzmeerflotte zukünftig die Anlagen der ukrainischen Marine übernehmen, eventuell sogar deren Schiffe, für die die Ukraine sowieso keine Verwendung mehr hätte, da das Personal und die alternativen Stationierungskapazitäten fehlen würden. Allerdings sind die ukrainischen Boote genauso veraltet wie das russische Militärmaterial. Ein Großteil der Schiffe stammt noch aus den siebziger Jahren.

Die neue pro-russische Regierung auf der Krim begann am 8. März mit der Aufstellung eigener Militäreinheiten, die dem neuen Regionalpremier Sergej Aksjonow unterstellt sind. Diese Ministreitkräfte können zu gegebener Zeit vom russischen Militär übernommen oder aufgelöst werden.

Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).

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