Das ist erst der Anfang: Die Tyrannei der Hitze auf der Nordhalbkugel

Temperatur der Landoberfläche in Europa und Teilen Nordafrikas,10. Juli 2023. Die Temperatur erreichte 46 Grad Celsius in Rom, in Madrid und Sevilla waren es 46 bzw. 47 Grad. Bild: ESA / CC BY-SA 3.0 IGO

Erneut werden Hitze-Rekorde gebrochen. Sie werden nicht lange Bestand haben. Warum Rechtspopulisten trotzdem von Klimahysterie sprechen und Ölkonzerne die Pumpen anschmeißen.

In Italien wird der Höhepunkt der neuen Hitzewelle für den 18. Juli erwartet, wenn die Temperaturen im Süden Sardiniens bis zu 48 Grad Celsius erreichen können. In Spanien hat die extreme Hitze landesweit Waldbrände ausgelöst. Tausende wurden evakuiert. Das Feuer hat mehr als 4.600 Hektar auf der Insel La Palma verbrannt. Über 4.000 Menschen wurden evakuiert.

Der italienische Wetterdienst Meteo.it teilte am Sonntag mit, dass sich das Land "auf einen schweren Hitzesturm einstellen muss, der Tag für Tag das ganze Land überziehen wird". "An einigen Orten", fügte der Dienst hinzu, "werden alte Hitzerekorde gebrochen".

Giulio Betti, ein italienischer Meteorologe und Klimaexperte, sagte der BBC, dass "die Temperaturen zwischen dem 19. und 23. Juli ihren Höhepunkt erreichen werden – nicht nur in Italien, sondern auch in Griechenland, der Türkei und auf dem Balkan".

"Mehrere lokale Hitzerekorde in diesen Gebieten könnten in diesen Tagen gebrochen werden", so Betti weiter.

In Ungarn wird erwartet, dass die Temperaturen in einigen Teilen des Landes auf über 40 Grad ansteigen werden.

Reuters berichtete, dass ein "neuer Antizyklon namens Charon, der in der griechischen Mythologie der Fährmann der Toten war, am Sonntag von Nordafrika aus in die Region eindrang und die Temperaturen in Teilen Italiens Anfang der Woche auf über 45 Grad Celsius ansteigen lassen könnte", was die italienischen Behörden dazu veranlasste, am Sonntag Hitzewarnungen für mehr als ein Dutzend Städte herauszugeben.

Europa, der sich am schnellsten erwärmende Kontinent der Erde, war in den letzten Wochen mit sengender Hitze konfrontiert, während Wissenschaftler davor warnen, dass die durch fossile Brennstoffe verursachte Klimakrise solche Hitzewellen immer wahrscheinlicher und intensiver werden lässt.

Der letzte Sommer war in Europa der heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen, und zwischen Ende Mai und Anfang September 2022 starben mehr als 61.000 Menschen auf dem Kontinent an den Folgen der extremen Hitze.

Doch die aktuelle Hitzewelle scheint noch heftiger zu werden als die des letzten Sommers.

Die ESA warnte, dass die Hitzewelle in Europa gerade erst begonnen hat, da in Spanien, Frankreich, Deutschland und Polen extremes Wetter erwartet wird, während der Kontinent zum ersten Mal seit der Covid-19-Pandemie eine rekordverdächtige Anzahl von Touristen begrüßt,

heißt es auf dem Sender CNN.

Die vom Menschen verursachte Klimakrise verstärkt extreme Wetterverhältnisse auf der ganzen Welt und führt zu immer häufigeren und tödlicheren Katastrophen, von Hitzewellen über Überschwemmungen bis hin zu Waldbränden.

Da dieses Jahr das Wetterphänomen El Niño zum Tragen kommt, was mit der Erwärmung des Meerwassers im tropischen Pazifik und schwachen Passatwinden einhergeht, könnte die zweite Jahreshälfte von zusätzlicher Hitze betroffen werden. Zugleich sind die globalen Meeresoberflächentemperaturen seit April bereits rekordverdächtig hoch.

Rund um Irland und Großbritannien ist das Wasser rund vier Grad Celsius wärmer. Im Meer von Florida in den Vereinigten Staaten wurden weit über 30 Grad gemessen.

Aber nicht nur in Europa, sondern überall auf der Nordhalbkugel, sind extreme Temperaturen zu beobachten. Marokko gehört zu den nordafrikanischen Ländern, für die überdurchschnittlich hohe Temperaturen vorhergesagt werden.

In einigen Provinzen wurden an diesem Wochenende Höchstwerte von 47 Grad Celsius gemessen – typischer für den August als für den Juli –, was nach Angaben des meteorologischen Dienstes Besorgnis über Wasserknappheit auslöst.

Klimakrisen-Relativierer und Öl-Gier der Konzerne trotz Wetterchaos

In den USA wurde aufgrund der schwülen Bedingungen am Wochenende für mehr als ein Drittel der US-Amerikaner:innen eine Hitzewarnung ausgesprochen. Der Nationale Wetterdienst der USA (NWS) meldete, dass eine Hitzewelle, die sich von Kalifornien bis Texas erstreckt, an einem "extrem heißen und gefährlichen Wochenende" ihren Höhepunkt erreicht habe.

Im Death Valley National Park, der oft zu den heißesten Orten der Erde zählt, wurde erwartet, dass der Hitzerekord von 54,4 Grad Celsius erreicht oder übertroffen wird. Las Vegas könnte drei aufeinanderfolgende Tage mit Höchsttemperaturen von 46 Grad Celsius erleben, was bisher nur ein einziges Mal vorgekommen ist.

Südkalifornien kämpft derweil mit zahlreichen Waldbränden. Weiter nördlich meldete die kanadische Regierung, dass die Waldbrände in diesem Jahr eine Rekordfläche von zehn Millionen Hektar verbrannt haben und weitere Schäden zu erwarten sind.

Die seit Monaten außer Kontrolle geratenen Brände haben die Luftqualität in Teilen auch der USA extrem verschlechtert und ganze Städte in toxischen Rauch gehüllt. Man geht davon aus, dass die Feuer nicht bis zum Herbst gelöscht werden können.

Auch in China wurden Rekorde gebrochen. In der nordwestlichen Region Xinjiang hat das Quecksilber 52 Grad Celsius überschritten und damit die bisher höchste Temperatur in China erreicht.

Die Temperaturen in der Gemeinde Sanbao im Departement Turpan stiegen am Sonntag auf 52,2 Grad, wie die staatliche Zeitung Xinjiang Daily am Montag berichtete, und es wird erwartet, dass die Rekordhitze noch mindestens fünf Tage anhalten wird.

Japan hat für Millionen von Menschen in 20 seiner 47 Präfekturen Hitzschlag-Warnungen herausgegeben, da rekordverdächtig hohe Temperaturen weite Gebiete versengten und andere Regionen von sintflutartigen Regenfällen heimgesucht wurden.

Der südkoreanische Präsident hat angesichts der 40 Todesopfer durch Überschwemmungen und Erdrutsche versprochen, den Umgang des Landes mit extremen Wetterereignissen, die durch den Klimawandel verursacht werden, "völlig neu zu gestalten".

In Deutschland werfen Rechtspopulisten und Klimakrisen-Relativierer Medien währenddessen vor, die Hitzemeldungen zu übertreiben und eine "sommerliche Klimahysterie" zu verbreiten. An vorderster Front mit dabei der frühere Bild-Chefredakteur Julian Reichelt.

Die Kritiker beziehen sich auf eine Verwirrung um einen prognostizierten Höchstwert von 48 Grad Celsius in Italien. Dabei wurden Boden- und Lufttemperaturen verwechselt. Die Meldung ist aber an sich, wie t-online in einem Artikel klarstellt, "richtig".

Im Februar gab der in London ansässige Öl-Gigant BP nach einem Rekordgewinn von 28 Milliarden Dollar im Jahr 2022 bekannt, dass er seine Ziele zur Emissionsreduzierung zurücknimmt und plant, mehr fossile Brennstoffe als erwartet zu fördern.

Der niederländische Konzern Shell, der im vergangenen Jahr einen Gewinn von 40 Milliarden Dollar verzeichnete, gab seine Pläne auf, die Ölproduktion um bis zu zwei Prozent pro Jahr zu senken.

Am 6. Juli gab der Vorstandsvorsitzende von Shell, Wael Sawan, der BBC ein Interview, also an dem Tag, der nach Ansicht von Wissenschaftlern der wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen gewesen sein könnte. Während des Interviews warnte Sawan, dass eine Drosselung der Öl- und Gasproduktion "gefährlich und unverantwortlich" wäre.

Während also die Wetterextreme wie von Klimawissenschaftlern vorhergesagt immer mehr zunehmen – und heutige Rekorde bald durch neue, noch verheerendere ersetzt werden –, und in Deutschland am Wochenende an die tödliche Überschwemmungskatastrophe im Ahrtal vor zwei Jahren erinnert wurde, die mindestens 135 Menschen das Leben kostete und Schäden in Höhe von 30 Milliarden Euro erzeugten, setzen die Öl- und Gaskonzerne auf Busines as Usual.

In der US-Zeitschrift The New Yorker schreibt der renommierte Umweltjournalist Bill McKibben:

Wenn die Katastrophen, die wir in diesem Monat erleben, nicht ausreichen, um uns aus der Erstarrung aufzurütteln, dann scheinen die Chancen, dass wir noch weitere 150.000 Jahre durchhalten, gering.