Das mütterliche Gehirn

Schwarze Maria von Altötting. Bild: S. Finner/CC-BY-3.0

Mutterschaft ist nicht nur ein kulturelles Konstrukt, sondern ein biologisches Phänomen mit messbaren physiologischen Folgen. Was eine Gesellschaft daraus macht, ist eine andere Frage

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Die Debatte, was das Mutter-Sein für eine Frau bedeutet, und mehr noch, was es nach gesellschaftlichen Vorstellungen bedeuten soll, ist seit dem Erscheinen der Studie "Regretting Motherhood" von Orna Donath virulent geworden und hat sich auf Telepolis auch in einem Artikel von Bettina Hammer (Non, je ne regrette rien - Abgesehen von der Mutterschaft) niedergeschlagen.

Das, was man wohl nur sarkastisch das "gesunde Volksempfinden" nennen kann, stört sich daran, dass es Frauen gibt, die in der Mutterschaft mitnichten ihre Erfüllung gefunden haben, sondern es im Gegenteil bereuen, Mutter geworden zu sein. Bettina Hammer und andere wiederum sehen in dieser Abwehrreaktion die Äußerung eines überkommenen Mutterkultes und halten dagegen, dies sei alles nur "mystische Verklärung" einer "quasi per Natur entstehenden Hingabe" und folglich eine "esoterisch anmutende Ansicht". Implizit steckt darin die Behauptung: Mutterschaft ist, über das reine Fortpflanzungsgeschehen hinaus, ein rein kulturelles Konstrukt.

Aus Doctor D. Jayne's Almanac & Guide for Health. Bild: public domain

Nun, das stimmt so nicht. Höchstwahrscheinlich nicht, muss man vorsichtshalber präzisieren, denn die aussagekräftigsten Studien sind selbstverständlich an Mäusen gemacht. Bei diesen aber ist das Mutter-Sein nicht nur eine Angelegenheit des Unterleibs. Sondern führt auch zu tiefgreifenden Veränderungen im Gehirn. Da kulturelle Beeinflussung bei Mäusen keine Rolle spielt, erlaubt die Forschung an ihnen andererseits einen ungetrübten Blick auf die Biologie der Mütterlichkeit.

Ob Mäuse das Mutterglück kennen, ist nicht bekannt. Aber sie kennen Fürsorge und die enge Bindung der Mutter zu ihrem Nachwuchs. Wenn man Mäusemütter von ihren Kindern trennt, dann kann man sie eine Aufgabe erlernen lassen, um wieder Zugang zum Nachwuchs zu erhalten. Das bedeutet: Zu ihren Kindern gelangen zu können, ist für eine Maus belohnend, ebenso wie es Futter oder Wasser oder andere Anregungen des Verstärkungssystems im Nucleus accumbens sind.

Mehr noch als der Geruch der Jungtiere sind es ihre Rufe im Ultraschallbereich, wodurch die Muttertiere dazu angeregt werden, sie ins Nest zu holen. Daher verwenden Verhaltensforscher und Neurobiologen, die sich für die Steuerung und Reifung von Sozialverhalten interessieren, diese Ultraschallrufe experimentell, um zu testen, wie verschiedene Tiere darauf reagieren.

Ob eine Maus, die Ultraschallrufe hört, hingeht und die Jungtiere einsammelt, hängt maßgeblich von zweierlei ab: ihrem Geschlecht und ihrer sozialen Erfahrung, wie eine japanische Arbeitsgruppe vor einigen Jahren zeigte. Mütter tun es immer. Sexuell unerfahrene Tiere beider Geschlechter hingegen kümmern sich so gut wie gar nicht um die jammernden Mäusekinder.

Interessant ist, wie sich Tiere mit sexueller Erfahrung verhalten: Weibchen ebenso wie Männchen fühlen sich häufig bemüßigt, den rufenden Jungtieren zu Hilfe zu eilen. Zwar sind sie dabei nur halb so eifrig wie Mütter, aber immerhin erheblich hilfreicher als die Jungfrauen. Ob ein Männchen bloß schon mal Sex hatte oder wirklich Vater ist, spielt hingegen keine Rolle. "Könnte ja von mir sein", scheint die Devise zu sein.

Leider aber scheint das auch schon fast alles zu sein, was man über Vatergefühle bei der Maus weiß. Eine bald vierzig Jahre alte Studie hat immerhin gezeigt - und die Parallelen zum Menschen sind ganz reizvoll -, dass Mäuseväter ihr Verhalten gegenüber den vorübergehend von ihnen getrennten Kindern den Alter der Kinder anpassen, Mäusemütter hingegen nicht. Ansonsten erscheinen die Männchen in der Forschung meistens allenfalls als Negativkontrolle. Vielleicht liegt das tatsächlich an der Überbetonung der Mutterschaft seitens der Forscher, die Bettina Hammer beklagt. Vielleicht aber liegt es auch einfach nur daran, dass sich die Verhaltensunterschiede und neuronalen Veränderungen bei den Weibchen so schön wie auf Knopfdruck einstellen, wenn sie Mütter werden.