Das schlimmste Virus sind die Amerikaner

Bild: Busch Media Group

Ausnahmezustand und Panik: Der Seuchenschocker "Pandemie" - die europäische Filmkritik ist diesem Werk nicht gewachsen

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Mit einem Husten geht es los: Ein paar Dutzend illegaler Einwanderer werden mit einem Container nach Korea geschleust. Mit ihnen, das wissen sie jetzt noch nicht, kommt ein tödlicher, hochinfektiöser Virus. Am nächsten Morgen sind sie alle tot. Bis auf einen. Doch als der Schleuser-Container irgendwann geöffnet wird, ergießt sich auch ein Schwall von Ratten aus der Tür, der nicht zu fangen ist und der sich im Nu über die ganze Stadt Bundang verteilt, eine erst in den 1990er Jahren unweit von Seoul entstandene "Planstadt". Ein Vogelgrippe-Virus ist mutiert; die Pandemie ist da.

Parallel zu diesem Anfang haben wir einen schweren Auto-Unfall gesehen und ein paar Figuren kennengelernt, die zentral werden für den Rest des Films: Den Rettungssanitäter Ji-koo und die Ärztin In-hae. Sie lernen sich kennen, als sie in ihrem verunglückten Wagen gefangen ist, aus dem er sie rettet. Die Gefahr erhöht den Flirtfaktor, und wie es der Zufall und das Filmdrehbuch in Hollywood und immerhin auch in Südkorea wollen, verlieben sie sich bald ineinander, und werden das zentrale Paar, an dessen Geschichte entlang dieser Film die Geschichte einer ganzen Gesellschaft erzählt.

Zudem ist die Medizinerin auf Virologie spezialisiert. So wird sie zu einer entscheidenden Schaltstelle dieses Films, in der Wissen, Auftrag und Ungewissheit sich verbinden.

Wir sind alle längst alle Virologen und Fachleute geworden.

"In den letzten Wochen wurden Fälle von H7N9-Vogelgrippe in Shanghai, Sezuan und Zhiangze registriert" - so klingt es auch in den Nachrichten. Gut, es ist die Vogelgrippe. Und die "Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Ereignissen und lebenden Personen" sind wirklich "coincidental". Denn tatsächlich wurde dieser Film bereits 2013 gedreht, vor sieben Jahren!

Der schlimmste Virus sind die Amerikaner (15 Bilder)

Bild: Busch Media Group

Zugleich aber muss man sich als Zuschauer immer wieder kneifen und daran erinnern, dass dies nicht erst heute gedreht wurde. So realistisch ist alles hier, so sehr erinnert es uns an unsere unmittelbare Gegenwart und die Vergangenheit der letzten Monate. Zum Beispiel findet Regisseur Kim Song-soo in der einzigen, wenn man so will, hyperrealistischen Szene seines Films hervorragende Bilder für das, was wir inzwischen längst wissenschaftlich korrekt "Aerosol Ausstoß" nennen: Kleine feine Animations-Bläschen verteilen sich - nur für uns sichtbar - nach jedem Husten eines der Erst-Erkrankten im ganzen Raum, und wir sehen, wie binnen Sekunden 20 weitere Menschen angesteckt sind. Wir werden einigen von ihnen in den nächsten Minuten wieder begegnen und sehen, wie jeder von ihnen wieder 20 andere ansteckt und so weiter und so weiter - exponentielles Wachstum eben.

Auch hier sind wir alle längst kleine Virologen und Fachleute geworden. Wenn wir diesen Film sehen, nehmen wir daher teil an einer bis zu einem bestimmten Grad doppelten Beobachtung: Einerseits sehen wir den Film unbefangen als Zuschauer. Wir folgen einer fiktiven Erzählung und möchten schlicht und einfach ein Unterhaltungs-Bedürfnis gestillt haben. Und wir wissen, dass sie fiktiv ist. Wir sind hier Teilnehmer einer Kino-Achterbahnfahrt durch einen fiktiven Jahrmarkt, die uns für zwei Stunden mitreißen soll - und der das gelingt.

Zugleich aber sehen wir dies auch quasi objektiv, als jene Experten zweiter Ordnung, die wir alle als Teilnehmer des öffentlichen Lebens in den letzten Monaten seit Ausbruch des Coronavirus durch Konsum von Tageszeitungen, durch das tägliche Verfolgen der Nachrichten, der Sondersendungen und der Talkshows in Radio und Fernsehen und Internet geworden sind. Wir gleichen das, was wir sehen also ab mit unseren eigenen Erlebnissen - darin liegt im Prinzip das eigentümliche, perverse Vergnügen, Katastrophenfilme mit realen Erlebnissen zu vergleichen.

Grelle Bilder

Es gibt grelle Bilder: Nachdem die Ratten aus dem Container geschlupft sind, macht eine Antiinfektionseinheit ganze Arbeit. Mit dem Flammenwerfer räuchert sie den Container aus, mitsamt der dort liegenden paar Dutzend Leichen. Oder ein Supermarkt, in dem Panik ausbricht - woraufhin schwer bewaffnete Polizeieinheiten die Bürger wahllos niederprügeln. Oder Bilder von überfüllten Krankenhäusern, in dem Menschen dutzendweise Blut spucken

Der Ausnahmezustand hat Panik zur Folge, der Lockdown kann nur durch die Armee aufrechterhalten werden - dieser Film ist auch ein Seuchenschocker. Subtil ist er nicht, aber das sind nur jene koreanischen Filme, die von den selbsternannten "Cinephilen" Europas gefeiert werden, aber weder hier, noch dort angesehen.