Das verräterische Microsoft-Dossier

Nicht nur hatte man bei der britischen Regierung ein Irak-Dossier weitgehend aus einer Internetveröffentlichung abkopiert, sondern zunächst auch unvorsichtigerweise als Microsoft-Dokument online veröffentlicht

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In Großbritannien steht wie in den USA die Regierung am Pranger, das Parlament und die Öffentlichkeit über den Grund für den Irak-Krieg angelogen zu haben. Es geht bekanntlich um die Massenvernichtungswaffen, mit denen Saddam Hussein die USA und den Rest der Welt bedroht haben soll. Gefunden wurden bislang noch keine. Peinlichkeiten aber gab es zuhauf mit Behauptungen, die auf falschen oder überdreht dargestellten Informationen beruhten, die angeblich von den Geheimdiensten stammten.

Britische und amerikanische Geheimdienste müssen derzeit als Sündenböcke herhalten. In Großbritannien gilt dies gegenwärtig vor allem für das von der Regierung im September veröffentlichte Dossier über die irakischen Massenvernichtungswaffen. Tony Blair hatte die Aussagen noch im Vorwort zugespitzt, als er behauptete, dass der Irak seine chemischen und biologischen Waffen in 45 Minuten einsetzen könne. Ansonsten wurden "Beweise jenseits allen Zweifels" vorgelegt, um die geforderte UN-Resolution und die Zustimmung des britischen Parlaments und des amerikanischen Kongresses auch für einen kriegerischen Alleingang zu erhalten (Beweise jenseits allen Zweifels ...). Angeblich habe das Joint Intelligence Committee (JIC), das das Dossier herausgegeben hatte, diese Information, die von einer einzigen irakischen Quelle stammte, noch kurz vor der Veröffentlichung mitgeteilt. Zweifel äußerten damals schon Kritiker aus der Labour-Partei, die ein Gegendossier veröffentlichten (Die irakischen Massenvernichtungswaffen).

Unzweifelhaft ist, dass die britische Regierung die Hinweise auf die mögliche Existenz von Massenvernichtungswaffen aufgebläht hatte. Auch US-Präsident Bush verwandelte die Möglichkeitsaussagen stets in Tatsachenbehauptungen. Im Februar 2003, als es nach dem Beginn der Suche durch die UN-Waffeninspektoren gemäß der UN-Resolution darum ging, Gründe zu finden, warum Hussein diese dennoch verletzt hatte, um die Legitimation für den Einmarsch zu erhalten, gab die Downing Street einen weiteren Bericht heraus, bei dem es dann wirklich peinlich wurde (und wie man gesehen hat, scheint dies erst einmal den Lauf der Geschichte nicht zu beeinträchtigen).

Schwerpunkt des Dossiers mit dem Titel: Iraq - its infrastructure of concealment, deception and intimidation sollte sein, der Öffentlichkeit vorzuführen, dass das Hussein-Regime systematisch die Inspektoren und die Weltöffentlichkeit belügt und hintergeht. Zu Beginn des Berichts stand, dass die Informationen aus mehreren Quellen stammten, auch aus Geheimdienstmaterial. Der Bericht sollte zeigen, wie das Regime Massenvernichtungswaffen produziert und behalten hat und jetzt die Arbeit der Inspektoren behindert. Es dauerte allerdings keine Woche, bis der britische Wissenschaftler Glen Rangwala feststellte, dass der Bericht weitgehend aus Internetquellen abgeschrieben war und oft diese nur insofern abgeändert wurden, als manche Aussagen verstärkt wurden (Geheime Cut-and-Paste-Informationen). Insbesondere wurde ein im September 2000 in einer Zeitschrift erschienener Aufsatz eines Studenten benutzt, dem die Auswertung von Dokumenten zugrunde lag, die bis 1991 gefunden wurden.

Auch wenn der US-Außenminister Powell das Plagiat noch während seiner Rede vor dem UN-Sicherheitsrat (Nichts als die Wahrheit oder Onkel Powells Märchenstunde?) lobend erwähnte, musste die britische Regierung bald zugeben, dass es sich nicht nur um Geheimdienstinformationen handelte. Man fuhr den Anspruch herunter und sagte sinngemäß, dass es doch relativ egal sei, woher die Informationen stammen, deren Quelle zu nennen man vergessen habe, wenn sie nur im Ganzen richtig seien.

Hergestellt wurde das Dossier auf die Schnelle in der Downing Street von der "Spin"-Abteilung, die man auch Propaganda-Abteilung nennen könnte. Das konnte nun auch Richard Smith anhand des Dokumentes genüsslich demonstrieren. Die britische Regierung hatte nämlich zudem dummerweise den Bericht als Word-Dokument ins Netz gestellt. Mittlerweile wurde dieses zwar durch ein weniger verräterisches PDF-Dokument ersetzt, aber Smith hatte sich die Word-Version abgespeichert, so dass Microsoft Tony Blair, wie er schreibt, in den Hintern beißen konnte.

Die meisten Word-Versionen legen ein Logfile über die 10 letzten Bearbeitungen eines Dokuments an, das auch die Namen der Benutzer und den Namen des Dokuments enthält. Diese "revision logs" sind normalerweise nicht zu sehen, aber Smith, der 1999 entdeckt hatte, dass bei Word- und Excel-Dokumenten versteckte GUIDs (Globally Unique Identifier) erzeugt werden, konnte mit einem eigens geschriebenen Programm diese Logs und andere versteckte Informationen einsehen. Zumindest nach diesen 10 Logeinträgen ging das Dokument durch vier Hände. Den Anfang machte Paul Hamill, Mitarbeiter des Außenministeriums und Mitglied des Coalition Information Centre (CIC), das von Alastair Campbell, Propagandachef (spin doctor) von Ministerpräsident Tony Blair, eingerichtet wurde. Campbell kam selbstverständlich bei den Untersuchungen über die Dossiers besonders unter Druck. Bei Hamill wurde das Dossier mehrmals automatisch abgespeichert. Hamill, der von Blair als Pressesprecher kurz vor seiner Zusage, bei den Untersuchungsausschüssen über die Waffendossiers mitzuwirken, in den Irak geschickt wurde, könnte ein Autor (und Plagiatior), zumindest aber einer der wichtigen Herausgeber des Dossiers gewesen sein.

Nach Hamill kam das Dokument zu John Pratt, Mitarbeiter von Downing Street und der Strategic Communications Unit, die auch unter Campbell arbeitet. Er hatte das Dokument auf einer Diskette abgespeichert. Zunächst wurde das Kopieren jüngeren Mitarbeitern zugeschoben, die nicht wirklich beim Außenministerium oder in der Downing Street arbeiten. Möglicherweise wäre damit Hamill ein Kandidat für einen Autor, allerdings wurde er nicht genannt, wahrscheinlich erfolgte die dringend politisch benötigte Veröffentlichung aber doch die entscheidende Mitwirkung eines höheren Regierungsmitarbeiters. Als nächstes erhielt das Dokument Alison Blackshaw. Sie ist Campbells persönliche Assistentin und hat womöglich Veränderungen im Auftrag von Campbell vorgenommen. Auf jeden Fall hat sie das Dossier auf der Festplatte und auf zwei Disketten abgespeichert. Und zum Schluss gelange es zu Murtza Khan, der für die Gestaltung der Website der Downing Street zuständig ist. Auch er speicherte das Dokument auf seiner Festplatte. Wahrscheinlich hatte er es auf der Website online gestellt.

Große Geheimnisse wurden also durch den Cyberdetektiv Richard Smith nicht enthüllt. Nach den Untersuchungsausschüssen kam allerdings heraus, dass John Pratt das Dossier auf einer Diskette an Alison Blackshaw weitergegeben hatte, um es dann an US-Außenminister Powell zu übermitteln, der schließlich dringend Stoff aus anderen Quellen für seine "Beweis"-Rede vor dem UN-Sicherheitsrat benötigte. Gleichwohl weist Smith darauf hin, dass man womöglich vorsichtig mit der Veröffentlichung von Word-Dokumenten sein sollte. Vielleicht hatte die britische Regierung auch deswegen das Word-Dokument gegen ein PDF-Dokument ausgetauscht, um sicher zu gehen, dass nicht weitere "Geschichten" aufgedeckt werden können.