Debatte über Hamas-Angriff aus Gaza: "Menschenverachtende Statements"
Deutsche Sender beenden Zusammenarbeit mit Malcolm Ohanwe wegen eines Tweets. In Israel spricht Verteidigungsminister Gallant von "menschlichen Tieren". Über ein besonderes Minenfeld.
Wer jetzt noch etwas von palästinensischem Widerstand faselt, hat nichts begriffen. Islamisten wie #Hamas und alle anderen radikalen Gruppen weltweit haben nur Terror im Sinn und wollen nur das Individuum knechten.
Alfred Hackensberger
Die Sender arte und der Bayerische Rundfunk haben ihre Zusammenarbeit mit dem Journalisten Malcolm Ohanwe eingestellt. Als Grund wird ein Posting angeführt, das Ohanwe am vergangenen Samstag als Reaktion auf den Angriff von Hamas-Milizen auf israelisches Territorium beim Kurznachrichtendienst X (früher Twitter) veröffentlichte.
Wenn die Zunge der Palästinenser systematisch abgeschnitten wird, wie sollen sie sich mit Worten wehren? Wenn das Wahlrecht der Palästinenser unterbunden wird, wie sollen sie sich mit Kreuzen wehren? Wenn ihre Bewegung eingeschränkt wird, wie sollen sie sich mit Demos wehren? Was erwarten Leute?
Malcolm Ohanwe
Arte begründete seine Entscheidung mit "menschenverachtenden Statements, die nichts mit unserem Verständnis von Journalismus zu tun haben". Ähnlich heißt es beim Bayerischen Rundfunk, dass die Statements "nichts mit unserem Verständnis von Journalismus zu tun" haben. Man habe aber bereits im Sommer entschieden, dass der Journalist keine Aufträge mehr bekomme.
Der Spiegel berichtet dazu, dass Ohanwe vor mehreren Jahren auch für das Magazin geschrieben habe.
Ohanwe wurde also eine Zeit lang als Journalist ernst genommen. Er fiel allerdings durch Äußerungen auf, die in den Redaktionen für Ablehnung gesorgt haben. Diesmal mit einem besonders drastischen Kracher. Das Statement steht in einer ganzen Serie von Tweets, daher der Plural in den Erklärungen der beiden Sender.
Wegschauen und belehren
Gemeinsam ist ihnen, dass sie die Perspektive auf die israelische Besatzungspolitik richten. Darin eingeschlossen sind Bekenntnisse, die sich gegen Relativierungsvorwürfe richten.
Nirgendwo wurde und sollte hier Terror relativiert, gerechtfertigt oder schöngeredet werden, im Gegenteil, diese schlimmen Attacken, diese Tötungen sind eine schreckliche Warnung davor, wozu die unaushaltbare Besatzungs-Politik auf Dauer führt. Das ist eine gängige Einstufung.
Malcolm Ohanwe
Der Absichtserklärung zum Trotz machte Malcolm Ohanwe jedoch genau dies: Relativieren. Die Hamas-Milizen richteten ein Massaker unter Besuchern eines Raves an. Mit 260 Toten. Jüdische Kibbuzim wurden überfallen, Bewohner getötet und entführt. Ihr Überleben hängt von der Willkür der Eindringlinge ab.
Babys und Kleinkinder wurden von bewaffneten Männern nach Gaza verschleppt, berichtet Meron Mendel von der Situation am Samstag, als Ohanwe meinte, mit der Metapher von den "Zungen", die "Palästinensern systematisch (!) abgeschnitten" wird, der Öffentlichkeit eine Einordnung zukommen zu lassen.
Das ist angesichts der konkreten Realität des Angriffs der Hamas von Ignoranz und einer grotesken Besserwisser-Haltung geprägt und es ist grobe Eitelkeit. Wer in der Öffentlichkeit erfährt hier etwas, das seinen oder ihren Erkenntnisstand zum Konflikt zwischen den Palästinensern und Israel erweitert? Außer dass Malcolm Ohanwe so und so denkt.
Die seminaristischen Lehrposts implizieren ein Wegschauen von haarsträubenden Gewaltexzessen. Diese wurden begleitet von Jubel aufseiten von Hamas-Anhängern bis nach Neukölln, mit gefilmten Triumphzügen, die Getötete bloßstellen und verhöhnen. Untermalt von Allahu-Akbar-Rufen. Die Erinnerung an Bilder von IS-Milizen ist da nicht fern.
Malcolm Ohanwe betreibt die Sache von Aktivisten, nicht die des Journalismus, der für komplexe Felder genaues Arbeiten auf der Höhe der Geschehnisse verlangt.
Debatte mit hohen Schwierigkeitsgraden
Der Debatten-Hintergrund dazu hat mehrfache Schwierigkeitsgrade. Auf X-Twitter war am Wochenende ein Statement zu lesen, das an die Diskussionsgemeinde appelliert, keine Postings zu veröffentlichen, die die Gewaltaktionen der Hamas zu "erklären" oder zu "verstehen" suchen. Es gebe in diesem Fall kein "ja, aber".
Wer den Nahost-Konflikt über Jahre hinweg mitverfolgt hat, weiß, dass es immer ein "ja, aber" gibt. Die Herausforderung besteht darin, dieses so zu artikulieren, dass es keine Gewalt verherrlicht und Unrecht nicht aus dem Blick rückt.
Hier kommt nun die nächste Schwierigkeitsstufe:
Kämpfer? Oder Terroristen? Bewaffneter, militanter Flügel, gar paramilitärische Organisation oder Terrorgruppe? Im Angesicht dessen, was seit Samstagmorgen in Israel geschieht, sind auch viele westliche Medien dazu übergegangen, ihre verbale Zurückhaltung aufzugeben und die Hamas und ihre Brigaden wieder den Terrorgruppen zuzuordnen, die sie in den 1990er-Jahren eindeutig waren.
Oliver Eberhardt
"Ihr fallt alle auf die Narrative der Hamas rein, wenn ihr sie Kämpfer nennt. Sie sind und bleiben Terroristen", schreibt Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften der Universität der Bundeswehr München. Seine Begründung:
Kämpfer hat den Sound des legitimen. Kein Mensch hat die RAF Mitglieder jemals Kämpfer genannt.
Carlo Masala
Das klingt überzeugend, zeigt aber auch auf die Besonderheit dieses Konflikts. Soweit sich der Autor erinnern kann, gab es keine große Entrüstung, wenn man von "IS-Kämpfern" oder IS-Milizen schrieb, weil der Leserschaft klar war, dass damit Terroristen gemeint sind. Bis auf eine Minderheit radikaler Fanatiker hat niemand im "IS-Sound" irgendetwas Legitimes herausgehört.
Für die EU, die USA oder Großbritannien ist die Hamas eine Terrororganisation. In der Schweiz werden angesichts der aktuellen Ereignisse Überlegungen laut, dass der Bundesrat dort es ebenso macht.
Zivile Opfer
Doch von solchen Einordnungen abgesehen, die, wenn es etwa um die Unterscheidung zwischen Terroristen und Kombattanten geht, ihren eigenen Schwierigkeitsgrad bekommen, gibt es noch die ganz große Schwierigkeit bei Diskussionen, wenn es um Kriege zwischen Israel und Palästinenser geht: Dass davon auszugehen ist, dass die israelischen Vergeltungsschläge trotz Warnungen und den Beteuerungen eines zielgenauen Vorgehens viele Opfer unter den Zivilisten kosten werden.
Die Wortwahl dazu fällt brachial aus, mit einer Formulierung, die eine menschenverachtende Sprachverrohung anzeigt.
Verteidigungsminister Yoav Gallant sagt, er habe eine "vollständige Belagerung" des Gazastreifens angeordnet, da Israel gegen die Terrorgruppe Hamas kämpft. "Ich habe eine vollständige Belagerung des Gazastreifens angeordnet.
Es gibt keinen Strom, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff, alles ist geschlossen", sagte Gallant nach einer Lagebeurteilung im IDF-Südkommando in Beersheba:
"Wir kämpfen gegen menschliche Tiere(!) und handeln entsprechend", fügte er hinzu.
Times of Israel
Und: "ja, aber". Von der Hamas kommen schlimmste Töne.