Debatte über Richard David Precht: Eine Sternstunde für Zeigefinger
Mediensplitter (48): Der Philosoph entschuldigt sich nachdrücklich. Das müsste reichen? Nicht für Platzanweiser ohne Witz.
Der medienwirksamste Philosoph Deutschlands (NZZ) hat sich entschuldigt.
Richard David Precht reagierte im Interview mit der Rheinischen Post mit dem medienwirksamen Talker Markus Lanz auf den Vorwurf, dass er in einem Podcast antisemitische Stereotype bedient habe, mit einem Ausruf des Bedauerns "furchtbar".
Und mit der Beteuerung, dass ihm die im Podcast mit Markus Lanz nachgereichte, "ausführliche" Entschuldigung ein großes Bedürfnis war.
Für einen der schärfsten Kritiker von Prechts Äußerung, Michel Friedman dürfte nach dessen Erklärung, was da zu tun ist, die Sache erledigt sein. In einem Interview, ebenfalls mit der Rheinischen Post, erklärte der frühere stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland:
Die Aussage von Precht, fromme Juden arbeiteten eigentlich nicht und wenn, dann in Diamant- oder in Finanzgeschäften, halte ich für einen schwer zu ertragenden, antisemitischen Ausspruch. Was nicht bedeutet, dass er ein Antisemit ist.
Aber er wiederholt das primitivste, ursprünglichste antisemitische Klischee vom geldgeilen Juden, der Christen mit seinen Zinsen aussaugt. Das ist keine Auslegungsfrage.
Wenn man so eine Aussage trifft, erwarte ich, dass man hinterher klar sagt: Das war eine antisemitische Äußerung, sie ist mir passiert, das hätte ich nie von mir gedacht, es tut mir leid. So ein Satz ist nicht zu heilen, außer man sagt, er war ein Fehler, und ich verarbeite ihn öffentlich.
Michel Friedman
Das Interview erschien gestern. Gut möglich, dass Friedman zum Zeitpunkt des Interviews noch gar nicht wusste, dass Precht auch eine weitere Konsequenz gezogen hatte. Er gab in einer Reaktion auf den Druck der Studierenden seine Honorarprofessur an der Leuphana Universität Lüneburg auf.
"Ein bissl' differenzieren"
Alles gut? "Slightly übertrieben" zwar die Forderung nach dem Rücktritt, wie der SZ-Redakteur und Autor von Büchern über antisemitischer Gewalt und antisemitische Sprachwendungen, Ronen Steinke im Debattierraum X kommentiert: "ein bissl differenzieren", wär aber angebracht, "Leute", wenn's um Antisemitismus geht.
Man kann es nur hoffen. Wenn jüdische Kinder und Jüdinnen und Juden sich in Deutschland derzeit wieder fürchten, als Mitglieder der Religionsgemeinschaft erkannt zu werden, weil dies jedmögliche Gewalt zur Folge haben kann - und das ist eine Angst, die durch böse und mörderische Angriffe auch bestätigt wird - müsste den Leuten klar sein, was auf dem Spiel steht, wenn‘s um Antisemitismus geht.
Das geht dann auch die sogenannte Debattenkultur an, wo - nicht nur die kleineren - Unterschiede ins Irrelevante gedrückt werden. Weil knallharte und rigorose Äußerungen mehr Interesse ziehen und wer hat schon Zeit für mehr? So haben schnell erfolgende Platzanweisungen ("Einordnung") mit dem ausgestreckten Finger einen Vorsprung bei der Wahrnehmung.
Trotz aller Vagheiten, die Richard David Precht großzügig in die Öffentlichkeit streut, gibt es ein öffentliches Einvernehmen darüber, dass er sich bislang bei all seiner verbalen Opulenz nicht als Antisemit kenntlich gemacht hat.
Woher kommt der Furor?
Warum dann also der Furor bei diesem Fall? Weil Richard David Precht ein Multiplikator mit großem Publikum ist, der ein böses Klischee verbreitet? Weil, wie indes ebenfalls erregt vorgebracht wird, die Meinungsfreiheit unterhöhlt wird ("Der ständige Hinweis auf Antisemitismus schüchtert ein")?
Der Furor ist einer der Unbedingtheit in einer Debattenkultur, die seit einiger Zeit schon militarisiert vorgeht: konfrontativ, mit "entweder der/die oder ich/wir" als Marschbefehl. Die Gegenmeinung muss erledigt werden, ins Off geschickt. Ohne jeden Witz.
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Wie das anders geht, ist hier zu lesen. Und auch die Erfahrung eines afrikanischen Autors weist darauf hin, dass es nicht unbedingt - so wie es gerade in öffentlichen Debatten im Westen den Anschein macht - um K.O.-Runden mit Niederhauen oder canceln gehen muss:
Ich erfreue mich an Diskussionen, weil ich aus dem beständigsten Ritual meiner Familie geschmiedet bin: zu viele Leute auf engstem Raum zu versammeln und über alles und nichts zu streiten - jede Person sagt ihre Meinung über jede Meinung aller anderen.
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