Berliner Register: Wenn aus Anti-Diskriminierung das Gegenteil wird

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Die Meldestelle gilt Kritikern als Blaupause für das Demokratiefördergesetz. "Inhalte unterhalb der Strafbarkeitsgrenze" sorgen für Ärger. Eine Analyse.

"Berliner Register". Das klingt nach Personenkennzahl. Nach technokratischer Erfassung. Nach Überwachungsstaat.

Für manche klingt es auch nach dem, was in der Post-Corona-Ära Gegenstand einer hitzigen Debatte geworden ist, die sich um das Demokratiefördergesetz, den Digital Services Act sowie dessen neue Meldestellen ("Trusted Flagger") dreht. Und 2023 wurde das Register in genau diesem Kontext von Kritikern scharf als "Anschwärzportal" (Focus) angegangen und als Bedrohung der Meinungsfreiheit dargestellt.

Dabei hat das "Instrument zur Dokumentation von Diskriminierung und Ausgrenzung in der Hauptstadt" (Berliner Register) mit DSA und Co. wenig am Hut. Denn das inzwischen auf alle zwölf Berliner Bezirke verteilte Register besteht schon seit dem Jahr 2005.

Fällt die Einrichtung also einer gegenwärtigen Hysterie zum Opfer, die sich um die immer schärfere Kontrolle des Debattenraums herum entsponnen hat?

Das ist keine einfache Frage.

Kein neutraler Beobachter

Zumindest ist das Register entgegen seiner Beteuerungen kein neutraler Beobachter. Denn die Betreiber sammeln nach eigener Darstellung ausschließlich Vorfälle, die

(...) rassistisch, antisemitisch, LGBTIQ*-feindlich, antiziganistisch, extrem rechts, sozialchauvinistisch, behindertenfeindlich oder antifeministisch sind. (…) Die gesammelten Daten werden jährlich ausgewertet und sollen politischen Entscheidungsträgern helfen, gezielte Maßnahmen gegen Diskriminierung zu entwickeln.

Berliner Register: Das Projekt

Im Unterschied zu den Meldestellen des DSA ist das Register zwar nicht befugt, eine Einschränkung öffentlicher Kommunikation zu forcieren. Indem das Register aber ausschließlich Vorfällen aus dem genannten Spektrum Beachtung schenkt, präsentiert es den politischen Entscheidern ein selektives Abbild des Diskursraums – und liefert so gleichzeitig die Vorlage für eine selektive Politik.

Es hilft nicht, dass das Register dabei mit staatlichen Zuwendungen bedacht wird. Vielmehr nährt das den Eindruck eines selbstverstärkenden Systems.

Es gibt allerdings einen Punkt, in dem sich das Register dann doch mit dem bislang bisher nicht in Kraft getretenen Demokratiefördergesetz und dem DSA vergleichen lässt: und das ist die hochproblematische Erfassung von Vorfällen "unterhalb der Strafbarkeitsgrenze".

"Grauzone der Prä-Strafbarkeit"

In den Fokus der Kritik geriet das Berliner Register vor allem durch einen Artikel der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) vom 31. August 2023, der kein gutes Haar an der Institution ließ. Im Artikel wurde das Register als Blaupause für ein System künftiger Meldestellen im Zuge des Demokratieförderungsgesetzes beschrieben, welches ein "Klima der Verdächtigung" sowie eine "Grauzone (…) der Prä-Strafbarkeit" fördere.

Da die gemeldeten Vorfälle sich zumeist unterhalb der Strafbarkeitsgrenze bewegten, so die NZZ, seien sie "ganz überwiegend" vom Recht auf Meinungsfreiheit erfasst. Christoph de Vries (CDU) bezeichnete das Register gegenüber der NZZ deshalb als einen "totalitären" und "staatlich finanzierte(n) Pranger" für "demokratische Meinungen".

Die Zeitung kritisierte außerdem die mangelnde Objektivierbarkeit der Meldungen – etwa in Bezug auf angebliche Transfeindlichkeit durch das Festhalten an der binären Geschlechterordnung – und zitierte eine Betroffene, die sogar den Eingang rundweg erlogener Meldungen bezeugt haben will.

Das Magazin Focus nannte kurze Zeit später mehrere Beispiele für Vorfälle, die das Berliner Register erfasst habe. Dazu gehörten laut Focus unter anderem ein Aufkleber des als rechtsextrem geltenden Compact-Magazins in einer Toilettenkabine der Technischen Universität Berlin, angeblich rassistische Äußerungen in einem Bus, ein unangemeldeter Corona-Spaziergang sowie entsprechende "Verschwörungserzählungen" als auch Aufkleber, die sich gegen "die" Antifa oder gegen Gender-Sprache richteten.

Register: "Erfassung als gesellschaftlicher Nutzen"

Das Register reagierte im März 2024 mit einer Gegendarstellung auf den "shitstorm", den der NZZ-Artikel verursacht habe, und wies die darin vorgebrachten Vorwürfe ausführlich zurück.

Die Betreiber betonten, dass alle Vorfälle anonymisiert und verifiziert würden, bevor sie in die Chronik aufgenommen würden. Die Registerstellen prüften außerdem die Glaubwürdigkeit der Meldungen und fragten bei Bedarf nach weiteren Belegen.

Das Register sehe seine Aufgabe darin, die Perspektiven von Betroffenen sichtbar zu machen und nicht darin, Meinungen zu verbieten, heißt es. Man arbeite "auf gesetzlicher Grundlage" und wahre die Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten, indem man personenbezogene Daten nach Veröffentlichung eines Vorfalls umgehend lösche.

In besagter Gegendarstellung äußerten sich die Register-Betreiber auch zum entscheidenden Vorwurf der Erfassung von Vorfällen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze. Ausgeräumt wurde dieser allerdings nicht, sondern vielmehr in den Kontext eines gesellschaftlichen Nutzens gestellt:

Die Register erfassen sowohl strafbare als auch nicht strafbare Vorfälle, um herauszufinden, warum und in welchen Bereichen es zu Diskriminierung kommt. Auch nicht strafbare Propaganda wird dokumentiert, um die Verbreitung menschenverachtender Feindbilder zu analysieren.

Stellungnahme des Berliner Registers

"Ein weltanschaulich geschlossenes System"

Die Debatte um das Berliner Register ist Teil einer breiteren Diskussion über den Umgang mit Desinformation, Diskriminierung und Meinungsfreiheit, die in Deutschland insbesondere durch das vom Kabinett bereits abgesegnete Demokratiefördergesetz angefacht wurde.

Besagtes Gesetz zielt nach Darstellung der Verfasser darauf ab, die Demokratie zu stärken, indem es zivilgesellschaftliche Organisationen und NGOs fördert, die sich gegen Extremismus und für demokratische Werte einsetzen.

Kritiker befürchten jedoch, dass das Gesetz zu einer Einschränkung der Meinungsfreiheit führen könnte, indem es einerseits Strukturen fördert, die potenziell einseitig oder parteiisch agieren und andererseits mit abstrakten Begriffen wie "Hass und Hetze" die Eindeutigkeit der Rechtsprechung unterminiere.

Solche kritischen Beiträge fanden sich zunächst eher in überwiegend konservativen Medien, bis schließlich auch Die Zeit Ende Februar einen Beitrag des Literaturkritikers Iljoma Mangold veröffentlichte, der seinen Ausgang von dem berüchtigten Satz der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nahm:"Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen."

Mangold äußerte nicht nur Bedenken, dass das Gesetz die Grenze zwischen staatlicher Kontrolle und zivilgesellschaftlichem Engagement verwischen könnte, sondern sah zugleich Anzeichen für ein "weltanschaulich geschlossenes System" zwischen Staat und NGOs wie Correctiv, der Amadeu Antonio Stiftung oder dem Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz.

Es sei, so Mangold, aber "nicht die Aufgabe der Regierung, die ideologische Meinungsbildung der Gesellschaft zu organisieren".

Auch eine Meldestelle wie das Register, die sich – qua Statut– auf die Seite einer diskursiven Gruppe schlägt, droht, dem freien Meinungsaustausch keinen Gefallen zu tun. Die (unterstellte) wohlmeinende Absicht der Anti-Diskriminierung könnte sich schlussendlich in ihr genaues Gegenteil verkehren: die Diskriminierung aller anderen.