Debattenkultur, Demokratie und Justiz in der Corona-Krise
Seite 2: Die Rolle der Justiz: Formvollendung der Corona-Politik durch rechtsstaatlichen Konservativismus
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- Die Rolle der Justiz: Formvollendung der Corona-Politik durch rechtsstaatlichen Konservativismus
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Immer wieder gibt es Bürger, die ihr gekränktes Rechtsbewusstsein wichtig genug nehmen, um aus dem praktisch folgenlosen, daher trostlosen Geschäft des Kritisierens im demokratischen Dialog auszubrechen und den Weg einzuschlagen, der der Unzufriedenheit im Rechtsstaat offensteht, wenn sie praktisch etwas bewirken will: Sie können von höchster Stelle überprüfen lassen, ob sie sich zu Recht im Recht sehen.
Auf dem Weg der Verwaltungsgerichtsbarkeit treffen sie auf Bedenkenträger der staatlichen Institutionen, vor allem auf im oppositionellen Geiste agierende Politiker, die ihren Regierungskollegen nicht alles durchgehen lassen wollen, was sie für notorisches Unrecht erachten.
Die da ablaufende Musterung trennt sich freilich von den Argumenten und Überzeugungen des Klägers und hat ihrerseits mit Vernunft so wenig zu schaffen wie die von der Regierung verhängten und nun hinterfragten Einschränkungen und Vorschriften selbst. Standhalten müssen die einer Überprüfung anderer Art: Es geht um deren Legitimität, die streng entlang der Frage ausgemacht wird, ob die verhängten Maßregeln mit der freiheitlichen Räson staatlicher Machtausübung, die dieser Staat sich gegeben hat, kompatibel und deren Einschränkungen im Sinne einer Güterabwägung zwischen allerlei Rechtsgütern von der volksgesundheitlichen Unversehrtheit über die freie Persönlichkeitsentfaltung bis hin zum Wert des privaten Eigentums "verhältnismäßig" sind.
Die Politik wird hier beweispflichtig gemacht, es müssen schon außerordentlich gute Gründe für das Einschränken der Freiheit des Konkurrenzsubjekts und dessen Privatmaterialismus vorliegen. Der demokratische Rechtsstaat verspricht: Andernfalls muss sich kein Bürger von planerischen Eingriffen des Staates in seiner Freiheit, sich nach der Decke zu strecken und sich als Belohnung beim Wochenendausflug anzustecken, bevormunden lassen.
Die Regierung findet ihrerseits einen konstruktiven Umgang mit den Eingaben der Justiz: Sie lässt sich die Vorschriften, die von Gerichten kassiert werden, zurückreichen und bessert dann eben im ihr vorgegebenen Sinne nach: Einmal verhängte Verbote, die sich vor Gericht als nicht haltbar erwiesen haben, werden zum Teil wieder verworfen – siehe Beherbergungsverbote, Einschränkungen des Bewegungsradius –, in anderen Fällen wird hinsichtlich einer rechtssicheren Begründung der verfügten Vorschriften nachgebessert.
Die Regierung lässt sich von der Justiz auftragen und kümmert sich darum, ihre Corona-Rechtsverordnungen rechtzeitig in ordentliche Gesetzesform zu bringen, weil die Legitimität der angesetzten Maßnahmen wesentlich vom Formalismus des gesetzgebenden Verfahrens und dessen Einhaltung abhängt.
Dem Parlament kommt dabei eine wichtige Rolle zu, die zuletzt bei der Verabschiedung des für die Gerichtsfestigkeit der Corona-Maßnahmen für dringend notwendig befundenen Infektionsschutzgesetzes prominent zum Thema gemacht wurde. Da sahen Öffentlichkeit und Teile der Opposition das Parlament zum Abnicker einer "Speed-Gesetzgebung" (RedaktionsNetzwerk Deutschland) degradiert und um sein Recht auf Mitsprache betrogen.
In der ventilierten Sorge, die Vernachlässigung der guten Debattenkultur, die sich für unsere "demokratische Diskursanstalt" gehört, könne am Ende Akzeptanz und Vertrauen des Volkes in die Regierung und ihre Maßnahmen kosten, wird deutlich, worin die staatsnützliche Rolle der ehrenwerten höchsten Diskussionsplattform der bundesdeutschen Demokratie besteht.
Am Ende der leidenschaftlichen Debatte steht ein Gesetz als die Formvollendung staatlichen Handelns gemäß allgemeingültigen Verfügungen, die ebendeswegen in Ordnung gehen, das heißt Akzeptanz gerechterweise auch verlangen können, weil sie den Willen des Volkes repräsentieren.
Schließlich wurden sie nach dem Mehrheitsprinzip von gewählten Volksvertretern verabschiedet. Ein Recht der Regierung auf Zustimmung, das gerne als das Recht des Volkes ausgedrückt wird. Auf die Einhaltung dieses nützlichen Verfahrens auch in schweren Zeiten legt die Justiz die Regierung fest.
Die Leistung der Justiz für die Politik und ihre hoheitlichen Beschlüsse ist also eine doppelte: Zum einen, das ist die formelle Seite des Rechtsstaatsprinzips, steht mit dem Ergebnis der "Legitimitätsprüfung" für alle Maßnahmen, die den ultimativen Test bestehen, verbindlich fest, dass sie in Ordnung gehen und dass Einsprüche dagegen definitiv im Unrecht sind; sie hatten ja ihre Gelegenheit, sich vorzutragen, und sind von unabhängiger Stelle entsprechend eingeordnet worden.
Zum anderen, das ist die Leistung des freiheitlichen Inhalts der bürgerlichen Rechtsordnung, legt die Justiz die Regierungsmaßnahmen – qua anlassbezogener Einzelfallprüfung – insgesamt auf deren Kompatibilität mit der freiheitlich-marktwirtschaftlichen Räson fest.
Mit diesem rechtsstaatlichen Konservativismus ist auch im Krisenfall einer Pandemie dafür gesorgt, dass sich planwirtschaftliche Eingriffe der Hoheit im Namen seuchenpolitischer Vernunft im Rahmen halten und der Kapitalismus unter seiner Einschränkung nicht leidet. Beide Seiten zusammengenommen ergeben dann die ultimative Antwort auf die Frage aller Fragen an die Corona-Politik, ob "die das dürfen".
Peter Decker ist Redakteur der politischen Vierteljahreszeitschrift GegenStandpunkt, in deren aktueller Ausgabe dieser Artikel ebenfalls erschienen ist.
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