Dem unbekannten Thunfisch

Der Löwe Cecil ist tot, das erregt die Medien und Menschen

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Ein wahrer Prachtkerl war er, heißt es, majestätisch, freundlich, sanft, eine Disney-Besetzung von einem Löwen. Ein blutrünstiger Zahnarzt aus Minnesota hat ihn zur Strecke gebracht. Aus Freude am Töten, für ein Foto in Großwildjäger-Pose und seine Trophäen-Sammlung. 45.000 Euro hat ihn der Spaß gekostet. Und seinen Ruf. Der Name des Zahnarztes ist bekannt, er ging durchs Internet. Seither hat der Mann keine ruhige Minute mehr. Morddrohungen, strafrechtliche Verfolgung - der Löwe hat einen Rattenschwanz.

Löwe Cecil 2010. Bild: Varnent/CC-BY-SA-2.0

Nein, ich finde die Menschenhatz nicht in Ordnung. Nicht einmal gegen einen offensichtlichen Idioten. Dennoch ist der Fall bemerkenswert: Cecil ist einer von vielen. Doch seine Geschichte wird zur Singularität erhoben. Wäre es nicht ausgerechnet dieser Löwe gewesen, der Zahnarzt schliefe weiterhin auf einem sanften Ruhekissen, wie so viele andere auch. Das Schicksal der meisten Tiere ist uns schlicht egal. Wir hören wohl von den bedrohten Nashörnern und Elefanten, wissen um die Überfischung der Meere. Bedauerlich, finden wir, zucken mit den Schultern und überlassen die Empörung verbiesterten Veganern und militanten Peta-Anhängern, die wir insgeheim für nicht ganz zurechnungsfähig halten.

Sekündlich bringen Menschen Tiere im großen Stil um - im ganz großen Stil. Eine vor kurzem vorgestellte Studie des WWF hat ergeben, dass die Biodiversität auf unserem Planeten drastisch sinkt.

Und die Populationen der noch verbliebenen Spezies sind teilweise besorgniserregend klein geworden. Seit 1970 sind die Bestände an lebenden Tieren um über 50 Prozent zurückgegangen - in anderen Bereichen sind die Zahlen sogar noch eklatanter. Im Süßwasser tummeln sich 76 Prozent weniger Lebewesen als noch vor fünfundvierzig Jahren und in Lateinamerika sind die Bestände sogar um 83 Prozent zurückgegangen.

Die Gründe für diese erschreckenden Zahlen sind in erster Linie menschengemacht: schrumpfende Habitate, Umweltverschmutzung oder Jagd und Fischerei haben viele Spezies an den Rand der Ausrottung gebracht. Wie gesagt, das sind keine großen Neuigkeiten, sondern eher Nachrichten, an denen man gedankenverloren vorbeiscrollt, während man nach echten Aufregern sucht, mit denen man seinen täglichen Adrenalinstoß herbeiführen kann.

Für den freundlichen Löwen Cecil gibt es jetzt eine Petition. Über eine Million Menschen haben bereits unterzeichnet. Für die Dauer von ein paar Klicks konnten sie ihre digital herbeigeschriebene Erregung und Empathie für ein ihnen ansonsten völlig unbekanntes Raubtier in so etwas Ähnliches wie einen Tierschutzgedanken umsetzen. Und der internationale Druck hat sich gelohnt: Simbabwe hat mittlerweile die Großwildjagd in der betroffenen Region eingeschränkt.

Hier zeigt sich einmal mehr die Macht des Storytellings. Rührselige Erzählungen ohne überfordernde Hintergrundinformationen waren schon immer ein gediegener Motor für menschliche Mobilisierung. Mit der richtigen Geschichte könnte man vielleicht also auch für all die anderen bedrohten Tiere Sympathien generieren. Kennen Sie zum Beispiel schon Chanelle, die Rotflügelige Ödlandschrecke? Sie hatte eine schwere Kindheit, aber sie hat nie aufgegeben. Sie ist eine Kämpferin. Doch nun ist ihr Kampf in seine letzte, schwerste Runde gegangen. Chanelle ist nämlich vom Aussterben bedroht. Ihr Lebensraum wird immer kleiner und schmilzt wie die Eisscholle unter den Pfoten des Eisbärs. Sie und die anderen Rotflügeligen Ödlandschrecken brauchen unsere Unterstützung. Spenden Sie jetzt für den Erhalt von Chanelles natürlichem Habitat, fordern Sie jetzt von Ihrer Regierung mehr Schutthalden und Trockenrasenflächen!

Ach, ich fürchte, Chanelle hat schlechte Karten. Sie und viele andere Tierarten sind einfach zu unattraktiv oder zu wohlschmeckend, um ernsthaft geschützt zu werden. Da hilft auch die schönste Geschichte nicht. Sie bleiben anonym. Ihr Fehlen fällt nicht auf. Die überfischten und vergifteten Meere zum Beispiel wiegen keinen halben Cecil. Gefühlt gibt es nämlich immer noch zu viele Haie im Ozean. Und Fisch ist doch so gesund, sogar wenn er mit Schwermetallen oder Dioxinen belastet ist.

Dieser Artikel ist daher dem unbekannten Thunfisch gewidmet. Wir können nichts für ihn tun. Ruhe sanft, schuppiger Freund, möge das gemischte Samenöl minderer Qualität, in das sie dich gebettet haben, dir leicht sein.