Demokratie kann man nicht herbeibomben
Seite 2: Warum nicht die Regierung allein für die prekäre sozioökonomische Situation verantwortlich ist
- Demokratie kann man nicht herbeibomben
- Warum nicht die Regierung allein für die prekäre sozioökonomische Situation verantwortlich ist
- Warum die Situation in Venezuela keine Frage von für oder wider Maduro ist
- Welche Parallelen zur Zeitgeschichte Venezuela aufweist
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Dass die Opposition die Regierung für die dramatische Situation im Land verantwortlich macht, liegt in ihrer politischen Natur. Denn so, wie es die Aufgabe einer Regierung ist, Ressourcen zu verwalten und Entwicklung zu ermöglichen, ist es gleichzeitig die Aufgabe der Opposition, diese Regierungsarbeit kritisch zu begleiten. Tatsächlich weisen die Gegner Maduros zu Recht auf einige verfehlte wirtschaftspolitische Maßnahmen hin. So gelang es beispielsweise nicht, die galoppierende Inflation einzudämmen. Und auch Versorgungsengpässe konnten nicht behoben werden.
Zugleich muss man aber auch auf die Möglichkeiten schauen, die Chavez und Maduro zur Verfügung standen. Nur weil die Opposition berechtigte Kritik äußert, bedeutet dies ja nicht, dass sie es an der Stelle des Präsidenten besser gemacht hätte. Auch die Regierung hat eine teilweise Politik der Marktöffnung umgesetzt und ausländische Investoren an den Staatsunternehmen beteiligt, so z. B. den russischen Ölkonzern Rosneft, der 40 Prozent an den fünf größten Förderprojekten des Landes hält und zudem der staatlichen venezolanischen Ölgesellschaft eine Milliarde Dollar geliehen hat.
China ist der größte öffentliche Gläubiger des Landes und lässt sich schon länger in Öl bezahlen, und die Staatsanleihen sind hauptsächlich in Besitz US-amerikanischer Investoren (Privatanleger, Banken, Pensionsfonds). So hat Venezuela bis 2018 rund 150 Mrd. Dollar an Auslandsschulden angehäuft, und die Gläubiger wollen nun ihr Geld bzw., wie im Fall China, direkt das Öl.
Nachdem die linke venezolanische Regierung aber Staaten wie Russland und China den USA teilweise als Wirtschaftspartner vorgezogen hat - Russland liefert z. B. rund drei Viertel aller Rüstungsgüter -, haben die größten westlichen Wirtschaftsmächte darauf mit Sanktionen reagiert.
Wenn ein Land aber mit wirtschaftlichen Sanktionen belegt wird, könnte es auch eine wirtschaftsliberale Opposition nicht wirklich besser machen. Wirtschaftssanktionen sind Mittel eines Krieges. Sie schränken die Spielräume ein, so dass keine Art der Regierung mehr über ausreichend Möglichkeiten verfügt. Das ist aber auch das Ziel von Wirtschaftssanktionen, nämlich ein Land dermaßen in eine Ecke zu drängen, dass es nur noch unter gewaltigen Konzessionen wieder hervorkommen, also auf eigenen Beinen stehen kann.
Doch nicht nur westliche Sanktionen, auch chinesischer Druck macht der venezolanischen Wirtschaft zu schaffen. Und spätestens angesichts dieser äußeren und nur schwer veränderbaren Faktoren ist naheliegend, dass selbst bei einer friedlichen Machtübernahme der Opposition (von einem durch US-amerikanische Unterstützung erreichten Regime-Change oder einem Bürgerkrieg gar nicht zu reden) von einer zukünftigen rechts-konservativen und/oder wirtschaftsliberalen Regierung ebenfalls keine Wunder zu erwarten sind.
Warum eine diplomatische Anerkennung eines "Interimspräsidenten" problematisch ist
Im Völkerrecht gilt, dass immer ein Höchstmaß an Legitimität gewährleistet sein muss, egal, unter welchen Umständen. Das bedeutet, dass man einen wenig legitimierten Herrscher einem weniger legitimierten vorziehen muss. Das ist keine Frage von Sympathie, sondern von Recht. Nun ist die völkerrechtliche Theorie das eine, die politische Praxis das andere. Das heißt, ein politischer Vertreter eines Landes muss auch über die konkrete Macht im Land verfügen, sonst führt die Anerkennung nicht zum erhofften Ziel.
Denn die Folgen sind weitreichend - der anerkannte Präsident muss die Einhaltung von Verträgen garantieren können, auf die eine wirtschaftliche Kooperation angewiesen ist. Hier wird mitunter der Praxis politischer Macht der Vorrang vor der völkerrechtlichen Theorie gegeben, was einerseits nachvollziehbar ist, andererseits aber großen Schaden anrichtet, weil dadurch eine im schlimmsten Fall globale Rechtsunsicherheit entsteht.
Wohin dies führt, hat man am Beispiel Syrien gesehen: Dort galt der Rücktritt Baschar al-Assads für die NATO-Staaten lange Zeit als Conditio sine qua non für Verhandlungen. Diese Forderung erwies sich jedoch als überzogen. Assad hat, unterstützt durch Russland, die konkrete Macht nie in einem Ausmaß eingebüßt, dass eine Opposition als Ansprechpartner mehr Garantien zur Umsetzung von Ausgehandeltem hätte geben können.
Also hat der Westen seine Politik stillschweigend korrigiert. Niemand stellt derzeit Assad mehr in Frage. Und das hat nichts damit zu tun, wie man die Politik Assads beurteilen muss - sie ist durchaus kritisch zu sehen. Aber das spielt keine Rolle mehr, da er de facto einfach die größte Macht auf sich vereint. Alles, was man erreicht hat, ist Bürgerkrieg mit ausländischer Einmischung, also einen Stellvertreterkrieg. Dies ist auch für Venezuela das Worst-Case-Szenario.