Demokratie vs./ Freihandel
Seite 3: Ernsthafte Sorgen um demokratische Legitimation
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- Ein salomonisches Urteil
- Ernsthafte Sorgen um demokratische Legitimation
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Zähne hat es allerdings durchaus schon in Bezug auf einen anderen Aspekt des Demokratieprinzips gezeigt: Die "Legitimationskette" vom Wahlakt zum Handeln des deutschen Staates wie der EU muss stets geschlossen sein, damit jedes staatliche bzw. EU-Handeln am Ende tatsächlich demokratisch legitimiert ist. Mit seinem Aufsehen erregenden EZB-Urteil von Mai 2020 hat das Bundesverfassungsgericht bewiesen, dass es das ernst nimmt.
Übertragen auf Verträge wie Ceta geraten somit vor allem die erwähnten "Ausschüsse" in den Blick, und zwar eben nicht nur in dem Maße, in dem Politikbereiche in der Kompetenz der EU-Mitgliedstaaten betroffen sind. Zur Debatte steht vielmehr die demokratische Verfasstheit der EU – Voraussetzung dafür, dass Deutschland an der europäischen Integration mitwirken darf – und die Frage, ob auf die EU übertragene Kompetenzen von dieser einfach auf eine noch höhere Ebene weiterübertragen werden dürfen.
Zwar gibt es "Ausschüsse" in Handels- und Assoziationsabkommen der EU seit Langem. Deshalb enthält der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ja auch jenen, oben erwähnten Artikel 218 Absatz 9 zur Regelung der Mitwirkung der EU eben in solchen Ausschüssen.
Demnach beschließt der Rat – also die Runde der Regierungen bzw. Minister der EU-Mitgliedstaaten –, welcher EU-Standpunkt in dem Ausschuss zu vertreten ist; was nach allgemeinem Verständnis jedoch nicht bedeutet, dass die Ausschüsse am Ende auch etwas ganz anderes aushandeln und beschließen könnten.
Vielmehr versichern Jurist:innen, dass die Person, die die EU in einem Ausschuss vertritt (jemand aus der EU-Kommission), dort tatsächlich nichts anderes mitbeschließen darf als eben den vom Rat zuvor abgesegneten "Standpunkt".
Dies einmal unterstellt, ändert es freilich nichts daran, dass die Regelung des Artikels 218 Absatz 9 AEUV dem Bundesverfassungsgericht nun einmal nicht ausreicht: "Die demokratische Legitimation und Kontrolle derartiger Beschlüsse (der Ausschüsse, TK) erscheint mit Blick auf Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG zweifelhaft" (Rn. 190 des Urteils vom 15. März). Einerseits nämlich ist kein Parlament beteiligt, weder das EU-Parlament noch, im Falle Deutschlands, der Bundestag.
Zweitens beschließt der Rat den EU-Standpunkt nur mit qualifizierter Mehrheit (55 Prozent der Ratsmitglieder, die zugleich mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen), sodass einzelne Länder, und selbst das große Deutschland, überstimmt werden können.
Zudem ist die Arbeit des Rates sehr intransparent und eher an den Gepflogenheiten der internationalen Diplomatie als denen einer lebendigen, öffentlich ausgetragenen, demokratischen Auseinandersetzung orientiert. Auch läge es zwar nahe, das übliche Verfahren innerhalb der EU – neue EU-"Gesetze" und EU-Handelsabkommen sind nur beschlossen, wenn Rat und EU-Parlament beide zugestimmt haben – auf die Mitwirkung an den Ausschüssen zu übertragen; was tatsächlich diskutiert wird.
Doch da das Prinzip der Gleichheit bei der Wahl zum EU-Parlament nicht ausreichend berücksichtigt wird, reicht dessen Beteiligung derzeit generell noch nicht aus, dem Handeln der EU die nötige demokratische Legitimation zu verschaffen – so jedenfalls gerade auch die Position des Bundesverfassungsgerichts, etwa im Lissabon Urteil (Rn. 276-297).
Es geht nicht nur um Ceta
Sollte das Bundesverfassungsgericht die Ausschüsse anlässlich neuer Klagen tatsächlich nicht nur mit Blick auf die verbleibenden Kompetenzen der Mitgliedstaaten, sondern auch mit Blick auf die Bereiche in alleiniger EU-Kompetenz monieren, könnte dies weitreichende Folgen für die gesamte EU-Handelspolitik, und letztlich für die EU insgesamt haben.
Natürlich wäre denkbar, dass es sich erneut für die salomonische Lösung des Lissabonurteils entscheidet. Das hieße, Ceta selbst unverändert passieren zu lassen, aber unter Auflagen, die "zu Hause" in Deutschland, zu erfüllen wären, insbesondere eine gesicherte Mitwirkung des Bundestages.
Doch da diese Lösung schon im Fall des Lissabon Vertrags eher recht als schlecht funktioniert hat – insofern der Bundestag immer wieder ermahnt werden muss, seine "Integrationsverantwortung" wahrzunehmen –, könnte das Bundesverfassungsgericht geneigt sein, bei Ceta nun einen Schritt weiterzugehen: Wie mit dem EZB-Urteil könnte es Änderungen auch von den Partnern verlangen und erklären, dass es Deutschland ansonsten verboten wäre, weiter mitzuwirken.
Im konkreten Fall wären das also entweder mit Kanada zu vereinbarende Änderungen am Ceta-Vertrag selbst, also ein starker Rückbau des Ausschusssystems, oder aber institutionelle Regelungen auf EU-Ebene, die geeignet wären, für eine ausreichende demokratische Legitimation der Ausschussbeschlüsse zu sorgen.
Brisant ist all das umso mehr, als man zwar bei Ceta brav auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gewartet hat, nicht aber im Fall weiterer EU-Handelsverträge "der neuen Generation", die sämtlich dieselben Strukturmerkmale wie Ceta aufweisen. Im Gegenteil hat man bei diesen sogar den Turbo gezündet, indem man den Investitionsschutz aus ihnen herausgenommen und sie dadurch zu Verträgen gemacht hat, die angesichts des erwähnten Singapur-Gutachtens des Europäischen Gerichtshofs vermeintlich komplett in alleiniger EU-Kompetenzen liegen.
Insgesamt wurden auf diese Weise schon fünf weitere Abkommen als alleinige EU-Abkommen ohne Mitwirkung der Parlamente der EU-Mitgliedstaaten abgeschlossen, nämlich diejenigen mit Japan, Singapur, Vietnam und Großbritannien.
Sie sind nun schon endgültig in Kraft, doch nur gegen das Abkommen mit Singapur ist rechtzeitig eine weitere Verfassungsbeschwerde eingereicht worden, die sich ebenfalls vor allem auch gegen die Ausschüsse wendet.
"Regieren durch Ausschüsse" als neuer Standard der EU?
Dabei wird die erläuterte Problematik der Ausschüsse nicht nur mit jedem neuen Vertrag größer – insofern einfach deren Zahl steigt und auch jedes Mal neue Themenbereiche hinzukommen, in denen Beschlüsse gefasst werden können. Das, was man das "Regieren durch Ausschüsse" nennen könnte, ist auch innerhalb der einzelnen Verträge teilweise noch umfassender angelegt als in Ceta, insbesondere in dem Vertrag mit Großbritannien nach dessen EU-Austritt.
Zudem überträgt der Rat – in seinen Beschlüssen über den Abschluss der einzelnen Handelsverträge – der Kommission zunehmend mehr Vollmachten, die EU in den Ausschüssen nicht nur formal zu vertreten, sondern dort auch gleich selbst zu entscheiden. Auch hier bildet der Vertrag mit Großbritannien bzw. der entsprechende Ratsbeschluss zu dessen Abschluss den vorläufigen Höhepunkt.
Insgesamt droht somit das "Regieren durch Ausschüsse" nicht nur zum neuen Standard für die EU zu werden. Es besteht darüber hinaus auch die Gefahr, dass das ohnehin schon niedrige demokratische Legitimationsniveau, das damit verbunden ist, noch einmal deutlich weiter abgesenkt wird.
Es scheint dringend geboten, dass das Bundesverfassungsgericht sehr deutlich die vom Grundgesetz gesetzten Grenzen dieses Weges aufzeigt. Gelegenheit dazu dürfte sich mit der noch anhängigen Klage gegen das Abkommen mit Singapur bieten. Oder durch weitere, künftige Ceta-Klagen, die aber erst nach der Verabschiedung des entsprechenden Ceta-Zustimmungsgesetzes durch den Bundestag erhoben werden können.