Demokratischer Schwanengesang
Derzeit finden in Russlands "gelenkter Demokratie" Gouverneurswahlen statt - vorerst zum letzten Mal nach dem bisherigen Modus
Vladimir Putin will die "Vertikale der Macht" stärken. Künftig setzt er in bester Zaren-Manier seine Gouverneure selber ein. Das Votum des Föderationsrates war eindeutig: Am 8. Dezember nahm das Vertretungsorgan der 89 russischen Regionen mit 145 Ja-Stimmen bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen einen Gesetzentwurf an, der die Befugnisse des Präsidenten weiter stärkt.
Zukünftig schlägt der Staatschef dem regionalen Parlament einen oder mehrere Bewerber für das Amt des Gouverneurs zur Abstimmung vor. Wird der Kremlkandidat zweimal abgelehnt, darf der Präsident die Regionalversammlung auflösen. Bislang wurden die Gouvernementschefs direkt von der Bevölkerung gewählt. Die russische Staatsduma hatte den Entwurf bereits Ende Oktober abgenickt, jetzt muss das Gesetz nur noch von Vladimir Putin selbst unterzeichnet werden - dass er darauf verzichtet, ist kaum zu erwarten.
Putin begründet die von ihm angestrebte Stärkung der "Machtvertikalen" unter anderem mit den terroristischen Ereignissen Anfang September im nordkaukasischen Beslan. Schlüssig ist das nicht. Denn die neue Regionenpolitik war damals längst Thema der Diskussion im und um den Kreml. Darüber hinaus ist auch kaum nachzuvollziehen, inwieweit sich die direkte Bestallung der Gouverneure von Kaliningrad (einst Königberg) bis Kamtschatka positiv auf die Lösung des Tschetschenien-Konflikts oder wenigstens auf die Verbesserung der Sicherheitslage auswirken soll.
Putin hat von Beginn seiner Amtszeit Anfang 2000 klargemacht, dass er das Laissez-faire seines Vorgängers Boris Jelzin in Regionalfragen nicht übernehmen werde. So setzte er sieben Generalgouverneure ein, deren Aufgabe es war, den Regionalchefs in ihrem Territorium auf die Finger zu schauen und sie wenn möglich auf Kremlkurs zu bringen. Interessante Randnotiz: Fünf der sieben Oberaufseher trugen früher eine Uniform.
Dass die Bevölkerung indes den Wert freier und direkter Urnengänge durchaus zu schätzen weiß, zeigen die Gouverneurswahlen nach altem Muster in sechs Regionen der Russischen Föderation, die am 5. Dezember stattfanden. Dabei musste die erfolgsverwöhnte Putin-Partei "Vereintes Russland" (VR) ein paar bittere Kröten schlucken.
So verlor im nordwest-russischen Pskov der Amtsinhaber und VR-Kandidat Jevgenij Michajlov mit 41 Prozent Zustimmung klar gegen seinen Herausforderer Michail Kusnetzov. Dieser, ein Leiter einer Großmühle konnte, unterstützt von der Kommunistischen Partei, der sozial-liberalen Jabloko-Partei und einigen rechts-liberalen Gruppen, 49 Prozent einfahren.
Im November noch hatte das russische Oberste Gericht einen weiteren chancenreichen Kandidaten, den Pskovker Oberbürgermeister Michail Choronen disqualifiziert. VR-Mann und Platzhirsch Michajlov konnte von diesem Umstand offensichtlich nicht profitieren. Beachtenswert ist seine politische Flexibilität: 1996 konnte er noch als Vertreter der "Liberal-Demokratischen Partei" des rechtspopulistischen Irrlichts Vladimir Schirinovskij den Gouverneurssessel besteigen.
In vier Regionen, nämlich in Brjansk, Uljanovsk, Volgograd und Kamtschatka, müssen die Gouverneurswahlen am 26. Dezember wiederholt werden, weil keiner der Kandidaten eine klare Mehrheit erreichen konnte. Lediglich in Brjansk konnte der VR-Bewerber Nikolaj Denin einigermaßen kommode 45 Prozent gegen den Vertreter der rechts-liberalen "Union der Rechten Kräfte" (SPS) gewinnen.
Denin kam dabei zugute, dass der kommunistische Amtsinhaber Jurij Lodkin im November das Rennen verlassen musste, weil ihm der Einsatz "administrativer Ressourcen" im Wahlkampf vorgeworfen wurde. Gemeint ist damit unter anderem, Staatsbedienstete für Parteizwecke einzuspannen. Diesen Vorwurf erhoben internationale Beobachter übrigens auch anlässlich der Staatsduma-Wahlen im Dezember 2003 und bei den Präsidentschaftswahlen im März 2004 - damals allerdings in Zusammenhang mit der behördlichen Unterstützung für VR und Vladimir Putin.
Immer mehr Wähler kreuzen "Gegen alle" an
Allein in Astrachan im Norden des Kaspischen Meeres herrschte ungetrübte VR-Freude. Denn dort gewann Aleksandr Schilkin im ersten Wahlgang 65 Prozent der Stimmen, sein kommunistischer Gegner musste sich mit 14 Prozent zufrieden geben. Schilkin war der Stellvertreter des populären Gouverneurs Anatolij Guschvin, der im August 2004 unerwartet starb, anschließend kommissarischer Verwaltungschef der Region. Er wird von Bevölkerung eher als Guschvin-Nachfolger denn als VR-Repräsentant geschätzt.
Bemerkenswert ist die Zahl der russischen Bürger, die zwar zu den Urnen gehen, dort aber auf den Stimmzetteln die Rubrik "Gegen alle" ankreuzen. Deren Anteil lag bei den Staatsduma-Wahlen im Dezember 2003 noch bei rund fünf Prozent. Mittlerweile ist dieser Anteil gewachsen. In Brjansk erreichte er 20 Prozent und wurde somit zur "zweitstärksten Kraft". In Volgograd wollten sich 13 Prozent für keinen Kandidaten entscheiden, in Uljanovsk waren es elf Prozent.
Für Andrej Piontkovskij, einen unabhängigen Beobachter in Moskau, ist angesichts Wahlergebnisse in den Regionen klar: "Die Menschen haben manipulierte Wahlen satt." Dies sei auch der Grund, warum so sich so viele Wähler für "Gegen alle" entschieden hätten: "Putins Politik der 'gelenkten Demokratie' hat nicht die Unterstützung der Bevölkerung."
Auffällig war auch dieses Mal der Einsatz der Dritten Gewalt im Staate, um politisch unliebsame Kandidaten kaltzustellen. Dabei ist weniger die Frage, ob die Anschuldigungen der Justiz gegen Lodkin oder Maschkovtzev zu Recht erhoben wurden, sondern warum sie zum jetzigen Zeitpunkt erhoben worden sind. Dies erinnert an die Affäre um den einstigen Jukos-Chef Michail Chodorkovskij, der seit mehr als einem Jahr im Gefängnis sitzt. Das Meiste von dem, was man ihm vorwirft, trifft auch auf die anderen "Oligarchen" zu - mit dem Unterschied, dass diese rechtzeitig ins Putin-Lager gewechselt sind.
Ende Dezember stehen noch die Präsidentschaftswahlen in den autonomen Republiken Marij-El und Chakasien an. Auch wenn die beiden Gebiete zusammen kaum halb so viele Einwohner haben wie die Region Volgograd, lohnt ein Blick auf die Bedingungen vor und während des Urnengangs. Vladimir Putin könnte irgendwann begreifen, dass er mit seiner "gelenkten Demokratie" sich und seinem Volk keinen Gefallen tut. Denn unfähige oder korrupte Gouverneure können sich vielleicht eine Zeitlang im Amt halten - dauerhaft nimmt der russische Wähler sie gegenwärtig nicht mehr hin.