Den Bock zum Gärtner machen
- Den Bock zum Gärtner machen
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Der Wirtschaftsjournalist Nikolaus Piper erklärt in einem SZ-Sonntagsessay ein weiteres Mal, weshalb es zum Kapitalismus keine Alternative geben soll
"Vom Nutzen der Märkte" ist der Pipersche "Sonntagsessay" betitelt (SZ Nr. 26 vom 1./2. Februar 2020, S. 24, alle weiteren Zitate aus diesem Text), in dem er darlegt, "warum man den Klimawandel nur mit Kapitalismus, Demokratie und internationalen Kompromissen bekämpfen kann." So steht es im Untertitel, womit bereits der Auftrag umschrieben ist, den Piper dem Kapitalismus mit seinem Essay zu erteilen sich anschickt: Kein anderer als der Kapitalismus selbst sei in der Lage, den Klimawandel zu bekämpfen.
Dass dieser Kampf um's Klima im Piperschen Sinne vor allem als Kampf gegen all jene zu verstehen ist, die der kapitalistischen Vernutzung des Planeten die Hauptverantwortung für die Erdüberhitzung anlasten, ist aus seinen Argumenten heraus zu lesen, die im Folgenden einer kritischen Lektüre unterzogen werden! Bevor er aber sein kapitalistisches Schlachtross zum Kampf gegen die in seinen Augen ungerechtfertigte Gesellschaftskritik in's Feld schickt, nimmt er die Urheber populärer Klimaparolen auf's Korn und stellt klar, wer der zu bekämpfende Feind auf keinen Fall zu sein hat:
Für manche ist die Sache mit dem Klimawandel ganz einfach. "Burn Capitalism, not Coal", stand auf Transparenten der Schüler von "Fridays for Future" bei einer Demonstration im September vorigen Jahres in Köln. Die Parole tauchte auch in Aachen und anderen deutschen Städten auf. Unter Klimaaktivisten trifft so etwas auf breite Zustimmung. Die meisten wollen vielleicht nicht gleich irgendetwas verbrennen, aber sie sind doch überzeugt davon, daß man den Klimawandel nicht stoppen kann, wenn man nicht zuvor den Kapitalismus, den Egoismus und die Profitgier abschafft.
Nikolaus Piper
Piper erweist sich in dieser Ansage als bereit und fähig, zwischen den Zeilen zu lesen: Immerhin erkennt er in der Parole vom Niederbrennen des Kapitalismus als Alternative zum Verbrennen von Kohle nicht einfach eine Aufforderung zur Gewaltausübung gegen das kapitalistische System, denn er weiß wohl, dass die Schüler von FFF alles andere als militante Revolutionäre sind, denen der Gewaltmonopolist handgreiflich zu zeigen hätte, wer der Herr im Haus ist.
Dennoch will er die eher einfältige Parole "Burn Capitalism, not Coal" nicht unwidersprochen stehen lassen, denn wenn es in diesem Zusammenhang u.a. auch gegen eine deutsche Weltfirma wie Siemens geht, der die Schüler ihren wenig klimafreundlichen Geschäftssinn zum Vorwurf machen - "Gemeint ist die Technik, die Siemens-Chef Joe Kaeser für eine Bahn zum Transport von Kohle in Australien liefern will" -, dann ist ein energischer Zwischenruf angesagt. Dann gehört den irregeleiteten Schülern klar gemacht, dass die Siemenssche Geschäftmacherei mit australischen Kohleförderunternehmen nicht automatisch eine Mitschuld an der durch Kohleverbrennung befeuerten globalen Erdüberhitzung nach sich zieht und schon gar nicht rechtfertigt, die Systemfrage auf die Tagesordnung zu setzen:
Was aber, wenn die Voraussetzungen falsch sind? Wenn man zwar über Joe Kaeser trefflich streiten kann, es aber gleichzeitig töricht ist, den Kapitalismus zu verdammen? Und zwar heute mehr denn je, weil man den Klimawandel ohne Märkte, Unternehmen und Gewinnorientierung (was man heute Profitgier nennt) gar nicht effektiv bekämpfen kann. Dabei geht es um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen der Klimapolitik (für den Rest sind die Naturwissenschaftler zuständig).
Nikolaus Piper
Den Kapitalismus in einer Zeit "zu verdammen", in der sich die schädlichen Resultate seines weltumspannenden Wirkens in existenzgefährdender und nicht mehr zu übersehender Deutlichkeit für die gesamte Menschheit auszuwirken beginnen - das erscheint Piper als "töricht", da doch die Verursacher der Schäden qua Profession am besten wüssten, wie mit ihnen nutz- und gewinnbringend umzugehen sei.
Vom Nutzen der Märkte
Bis hierher hat sich Piper bereits in einen nur schwer übersehbaren Widerspruch hinein manövriert. Die in Gang gekommene Erdüberhitzung, verursacht durch die überwiegend kapitalistisch-industrielle Anwendung von fossilen Brennstoffen, soll nur durch die kapitalistisch-industrielle, und das bedeutet eben auch marktwirtschaftliche Form der Ökonomie im Zaum gehalten werden können. Der Bock soll also zum Gärtner ernannt werden. Dazu müssen den nicht zu übersehenden Schäden, die der Aufstieg des Kapitalismus mit sich gebracht hat, höhere Weihen zuteil, ihnen der Charakter einer Art Naturnotwendigkeit mit letztlich doch positiver Grundtendenz zuerkannt werden:
Der Aufstieg des Kapitalismus und der Abbau fossiler Rohstoffe, der eigentlichen Ursache des menschengemachten Klimawandels, gingen in der Geschichte Hand in Hand: Dampfmaschinen und kohlebetriebene Fabriken, Ölförderung und und Massenmobilisierung. Nur durch die Nutzung von fossilem Kohlenstoff gelang es, in Nordamerika, Westeuropa, Japan und einigen anderen Weltgegenden einen aus historischer Sicht beispiellosen Wohlstand zu schaffen, Epidemien und früher tödliche Krankheiten zu bekämpfen, den Hunger fast auszurotten und die Lebensgrundlage für 7,7 Milliarden Menschen zu schaffen.
Nikolaus Piper
Die Eigenschaft der kapitalistischen Ökonomie - Nutznießer und Geschädigte, Armut und Reichtum, Zerstörung und Wertschöpfung gleichermaßen hervorzubringen -, begreift Piper nicht als untrennbare Momente eines widersprüchlichen Ganzen, dessen ausufernde Betriebsnotwendigkeiten sich gegen die menschlichen Existenzgrundlagen zu wenden begonnen haben. Vielmehr erscheinen ihm die Kollateralschäden des kapitalistischen Wachstums als zu vernachlässigende Aspekte eines bisher nicht gekannten technologischen Fortschritts, einer mittlerweile ungeheuren Warenvielfalt und eines Wirtschaftswachstums, das vielen Millionen zusätzlicher Lohnarbeitskräfte Verdienstmöglichkeiten und damit Konsumkraft eingebracht hat.
Dass diese Entwicklung auf der Grundlage einer rücksichtslosen Vernutzung von Mensch und Natur vor sich ging, begreift Piper anscheinend als notwendiges Durchgangsstadium, welches erst die Voraussetzungen für eine nachhaltigere Bewirtschaftung des Planeten geschaffen habe. Diese Sichtweise erlaubt es ihm, sich heute auf die Seite jener kapitalistischen Hervorbringungen zu schlagen, die ihm eine Wendung zum Besseren versprechen: "Vom Nutzen der Märkte" spricht er, weil "es der Kapitalismus auch geschafft (hat), die Energie, die er aus der Erde gewann, immer effizienter zu nutzen, von der Dampflok zum modernen ICE-Triebwerk, von den Bulleröfen (...) bis zu den Gaszentralheizungen. Das Umweltbundesamt nennt dies eine steigende 'Energieproduktivität'. Zwischen 1990 und 2018 ist sie um mehr als 70% gestiegen. Das ist schon ein Hinweis, wie moderne Märkte zum Klimaschutz beitragen können."
Piper verleugnet die Schäden nicht, die der Kapitalismus hervorruft, erblickt aber in dessen Marktförmigkeit - mit dem Konkurrenzprinzip als Motor der ökonomischen Entwicklungsdynamik - die Lösung für die von eben jenem Konkurrenzwesen angerichteten Schäden. Der Widersinn einer Ökonomie, die zerstören muss, um daraus dann immer wieder neues Geschäft schöpfen zu können, scheint ihm nicht als solcher erkennbar zu sein.
Vielmehr überhöht er den Markt zu einer Art von Naturgesetz, zu dem es keine Alternative gebe, der bisherige Verlauf der kapitalistischen Entwicklung bestätige sein Urteil. Die schlichte Vorstellung, dass alles bisher Geschehene nicht mehr rückgängig gemacht werden könne und deshalb objektive Gültigkeit beanspruche, gerät ihm zu einer Art ontologischer Konstanten, der er den Charakter einer Naturnotwendigkeit andichtet. Will heißen: Die bisher überwiegende kapitalistische Nutzung von fossiler Energie soll, eben weil sie als solche sich historisch durchgesetzt hat und deshalb (!) als der anscheinend einzig möglich gewesene gesellschaftliche Entwicklungsweg anzusehen sei, als eine quasi zum Naturgesetz erklärte Voraussetzung auch für heutiges und zukünftiges, dann aber eben - dank des technologischen Fortschritts - eher klimaschonendes ökonomisches Handeln wirksam werden.
Und weil die den weltweiten Temperaturanstieg verursachende Nutzung fossiler Energieträger unter marktwirtschaftlichen Bedingungen vollzogen worden ist und der Kapitalismus auch ganz wunderbare Fortschritte mit sich gebracht habe, würden demnach wunderbarerweise auch gleich die Mittel für die Behebung der von ihm verursachten Schäden erzeugt werden können. Also alles in bester Ordnung?
Die Isländer machen vor, wie es geht
Als weiteres Beispiel für das segensreiche Wirken heutiger kapitalistischer Möglichkeiten führt Piper Island ins Feld. Hatten dessen frühere und damals nur wenige tausend Menschen umfassenden Bewohner die Insel aus Unkenntnis über die damit einhergehenden Folgen fast restlos abgeholzt - "Weite Teile des Landes sind Wüste ..." -, so sei "die Insel (...) heute ein wohlhabendes kapitalistisches Land, die Wirtschaftsleistung pro Kopf (...) höher als diejenige in Deutschland. Der Schlüssel zu Islands Erfolg liegt in der Nutzung moderner Technik, vor allem erneuerbarer Energien (Geothermie, Wasserkraft), die reichlich zur Verfügung steht." Womit wohl bewiesen sein soll, dass Island seinen Erfolg der ausschließlich kapitalistischen Nutzung der erneuerbaren Energien verdanke, was natürlich knallhart für deren Güte spreche.
Womit Piper zum Kern seines Anliegens gelangt:
Und hier geht es jetzt um die Grundlagen. Es waren die kapitalistischen Demokratien des Westens, in denen der Klimawandel überhaupt erst zum Thema wurde.
Nikolaus Piper
Dass die kapitalistische Form des Wirtschaftens Schäden immer schwerer erträglichen Umfangs mit sich brachte und dadurch den Widerstand der Bevölkerung gegen die weiter zunehmende Zerstörung ihrer Umwelt hervorgerufen hat, hält Piper für ein Qualitätsmerkmal ausgerechnet jener politischen und ökonomischen Verhältnisse, die diese Zerstörungen hervorgerufen hatten.
Und dabei darf natürlich auch die seinerzeitige Systemkonkurrenz nicht ungeschoren davon kommen, denn die trieben es besonders schlimm: "In der DDR wurde die Umweltbewegung noch als antisozialistische Verschwörung des Großkapitals denunziert", während die Verantwortlichen im Westen möglicherweise damals schon ahnten, welch nützliche ideologische Dienste die aufsässige Umweltbewegung einem ihrer zukünftigen medialen Repräsentanten noch leisten würde, während sie die Anti-AKW-Aktivisten mit beträchtlichem Gewaltaufwand in Schach zu halten versuchten (Brockdorf usw.).