"Den Feinden des indischen Volkes das Rückgrat brechen"

Anschläge gehen in Indien nicht nur von islamischen Gruppierungen aus, sondern auch von Maoisten und fanatischen Hindu-Extremisten

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Allenfalls eine Randnotiz ist der Terrorismus in Indien den Medien in Europa in der Regel wert. Aber diesmal hat es nicht nur einfache Inder getroffen, sondern in erster Linie Geschäftsleute aus dem Westen und Angehörige der indischen Oberschicht. Ein Anlass für den neuen US-Präsidenten Obama, wie sein Vorgänger unnachgiebig auf den Kampf gegen den Terror zu setzen. Und auch die Verdächtigen passen ins gängige Feindbild: Aus Pakistan gelenkte Terroristen der Lashkar-e-Toiba und ihre islamistischen Helfershelfer aus Indien.

Mehr als 140 Millionen Muslime leben in Indien. Damit ist Indien nach Indonesien und Pakistan Heimat der drittgrößten muslimischen Gemeinde weltweit. Die übergroße Mehrheit der indischen Muslime will keinen islamischen Staat und hängt liberalen, sufistischen Traditionen an.

Anschläge sind in Indien kein neues Phänomen. Seit Anfang der 90er Jahre kommt es vermehrt zu Bombenattentaten mit zivilen Opfern. Auf der Terrorliste der indischen Regierung stehen maoistische Gruppen sowie separatistische Organisationen, die in Kaschmir und den nordöstlichen Bundesstaaten operieren. Ebenso die islamische Studentenbewegung SIMI.

Wegen angeblicher Kontakte zu pakistanischen Terrorgruppen verbot die indische Volkspartei BJP SIMI einige Tage nach den Anschlägen des 11.September 2001. Nach dem umstrittenen Verbot wird der Studentenbewegung SIMI bei fast jedem Bombenanschlag vorgeworfen, beteiligt gewesen zu sein. In einigen Fällen werden jedoch Zweifel laut. Indische Wissenschaftler, Menschenrechtsgruppen und Journalisten haben im August auf einem Tribunal mehrere Fälle skizziert, in denen die Polizei nach Bombenattentaten willkürlich Muslime festnahm und dafür anschließend auch noch den juristischen Segen erhielt.

„Die größten Opfer eines terroristischen Anschlags sind nicht nur die Getöteten und Verwundeten, sondern auch die Unschuldigen, die anschließend aufgegriffen und fälschlich beschuldigt werden, an dem Anschlag beteiligt gewesen zu sein“, erklärt Ram Punyani, ein bekannter Menschenrechtsaktivist in Indien. Seit 2001 haben sich die Fälle von Folter vor allem in den Bundesstaaten gehäuft, in denen die Indische Volkspartei BJP Einfluss hat oder an der Regierung ist. Eine Tatsache, die auch die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch moniert.

Als hätte es noch einer Bestätigung bedürft, entpuppten sich die Verdächtigten eines Bombenanschlags vom September als fanatische Hindu-Extremisten. Ende Oktober kam es schließlich erstmals im unabhängigen Indien zu Festnahmen von rechten Hindu-Nationalisten wegen eines Bombenanschlags. Ein hoher Armee-Offizier soll den Sprengstoff besorgt haben und die Polizei geht davon aus, dass die Gruppe möglicherweise an noch mehr Anschlägen der vergangenen Jahre beteiligt war, für die bisher muslimische Gruppen verantwortlich gemacht worden waren.

Ein halbes Jahr vor den Wahlen zum indischen Unterhaus war das ein Politikum, das den Subkontinent in Atem hielt. Politische Voreingenommenheit unterstellte die Indische Volkspartei BJP der ermittelnden Anti-Terror Einheit. Die BJP ist führende Oppositionspartei und politischer Arm des Sangh Parivar, einer Art Dachverband der hindunationalistischen Organisationen. Chefermittler und Leiter der Anti-Terror-Einheit war der leitende Polizeibeamte Hemant Karkare. Er hatte gerichtsfeste Beweise in der Hand. Beim Angriff auf Mumbai wurde er am 26.November erschossen.

Organisationen der Hindu-Extremisten stehen den Attentätern von Mumbai um nichts nach. Der fanatische Weltrat der Hindus war einer der Hauptakteure beim Massaker 2002 im Bundesstaat Gujarat, bei dem etwa 3.000 Muslime bestialisch abgeschlachtet wurden. Abgesegnet war das Pogrom vom BJP-Ministerpräsidenten Narendra Modi. Nachdem das investigative Nachrichtenmagazin Tehelka seine Rolle öffentlichkeitswirksam aufgedeckt hatte, wählte ihn die Mehrheit der Wähler in Gujarat erneut ins Amt.

Weder der Weltrat der Hindus noch andere extremistische Hindu-Organisationen finden sich auf der indischen Terrorliste. Möglicherweise deshalb, weil ihre Organisationen mehrere Millionen Mitglieder zählen und gute Verbindungen in die indische Oberschicht haben. Nach dem Terrorangriff in Mumbai forderte der BJP-Kandidat für das Amt des Premierministers, Lal Krishna Advani, dazu auf, „allen Feinden des indischen Volkes das Rückgrat zu brechen“. Sollte es de r BJP gelingen, die jüngsten Ereignisse in einen politischen Wahlsieg zu verwandeln, steht zu befürchten, dass Pakistan wieder zum Erzfeind stilisiert wird und die indischen Muslime ins Kreuzfeuer einer verschärften, einseitigen Law and Order Politik geraten. Dies würde die Spirale der Gewalt auf dem Subkontinent weiter anheizen.