Der Angriff der Digitalgeräte auf die übrigen Lernmedien
Seite 3: iPads für Eineinhalbjährige?
- Der Angriff der Digitalgeräte auf die übrigen Lernmedien
- "Micro-Content" statt Info-Overkill
- iPads für Eineinhalbjährige?
- Auf einer Seite lesen
Ein strikter Gegner solcher Schulversuche ist der österreichische Philosoph Konrad Paul Liessmann, der durch seine Streitschrift "Theorie der Unbildung" international bekannt wurde. Er kommentiert im Gespräch mit Telepolis die niederländischen Bestrebungen so:
Das iPad stellt eine Verarmung an Kulturtechniken dar. Die Welterschließung durch digitale Medien stellt eine Verarmung mehrdimensionaler Welterfahrung dar. Und die Abrichtung durch Bildmedien schon ab dem vierten Lebensjahr stellt eine Verarmung der Phantasie und damit eine empfindliche Einschränkung von Kreativität dar. Die Kontrollen, die in allen Formen digitalisierten Lernens eingebaut sind, weil sie den technischen Imperativen der Digitalisierung entsprechen, schränken die Freiheit der Lehrer und Schüler empfindlich ein.
Konrad Paul Liessmann
Wo Meinung gegen Meinung steht, bedarf es empirischer Studien ohne Bias. Doch die sind Mangelware. Warum gibt es noch keine Vergleichsgruppen mit Schülern, die in klassischen Schulen lernen und mit "Steve Jobs Schülern"? Auch in der Frage Micro- versus Macro-Content wären weitere Erhebungen dringend notwendig: Wer merkt sich Inhalte tatsächlich besser - jener, der klassisch in Print-Skripten büffelt oder jener, der mit interaktiven Wissenskarten á la "KnowledgeFox" am Smartphone, Tablet oder PC arbeitet?
Qualität von Content sichern
Wenn Fünfjährige in den Niederlanden ihre ersten Powerpoint-Präsentationen halten, stellt sich auch frühzeitig die Frage nach Original und Plagiat. Meist wird für die Thematik viel zu spät, nämlich erst am Beginn eines Universitätsstudiums, sensibilisiert. Doch auch das gehört zur digitalen Bildungsrevolution: Der Technik- und Contentwandel bedarf vor allem auch neuer Formen der Content-Qualitätssicherung.
Die Werkzeugpaletten der führenden Plagiatssoftware-Lösungen, wie etwa "Turnitin", gehen längst über den bloßen Abgleich mit Millionen von Dokumenten - "Turnitin" gibt eine Zahl von 51 Millionen an - hinaus: Sie ermöglichen den Lehrenden zunehmend auch die digitale Korrektur von Content und die Unterstützung bei der Beurteilung.
Der Markt ist ständig in Bewegung: Ein neuer Anbieter, "Unplag" aus der Ukraine, kündigt etwa für 2016 Großes an: Sie wollen die ersten sein, die kostenlos eine Plagiatssuche mit Google Books ermöglichen. "Wir haben im November eine positive Antwort vom Google API-Team erhalten", sagt Unplag-Manager Ivan Klymenko: "Plagiatssuche mit Unplag in der Google Buchsuche wird für jeden in der Welt gratis sein." Dabei geht es um immerhin 25 Millionen eingescannter Werke, Stand Oktober 2015.
Der führende deutsche Anbieter "PlagScan" aus Köln will hier nun nachziehen. Auch er kündigt für 2016 Innovationen an, wie etwa die automatische Generierung eines "Plagiats-Strichcodes", wie er seit dem Fall Guttenberg in Plagiatswikis wie etwa VroniPlag eingesetzt wird.
Es geht um "Employability"
"Problemlösungsvermögen statt reines Faktenwissen", ist das Credo von Schul-Innovator Maurice de Hond. "Kreative Vernetzung von Wissenselementen statt lineares Auswendiglernen", sagt Mikrolern-Pionier Peter A. Bruck. Letztlich geht es wohl für alle um das Schlagwort "Employability", für Holtzbrinck-Digital-Chef Michael Hock, der derzeit ebenfalls kräftig in digitale Lern-Unternehmen investiert, die entscheidende Kategorie: Fitness für den Arbeitsmarkt.
Da ist der klassische Bildungskanon - bestehend aus der Geschichtskenntnis und dem Geschichtsbewusstsein, dem Theorie- und Kontextualisierungswissen, der Kenntnis der Klassiker der Literatur, aber auch den "alten" Kulturtechniken wie etwa der Schreibschrift - nicht mehr zentral. Problemlösungskompetenz, Kreativität, Innovation, Vernetzung - das sind die neuen Tugenden. Und die werden eben zunehmend multimedial (etwa in "MOOCs", Massive Open Online Courses), interaktiv (wie im Mikrolernen) und selbststeuernd (wie in den "Steve Jobs Schulen") vermittelt.
Stefan Weber ist Dozent der Kommunikationswissenschaft und tätig als Plagiatsgutachter.