Der Angriff der Klonkrieger
Wie der Golfkrieg II zur schlechten Kopie des ersten Golfkriegs verkommt
Die Neuauflage des Golfkriegs ist nichts anderes als der Versuch, den 1991 von Bush I ungeschriebenen letzten Akt des Dramas jetzt nachzuliefern. Aber bekanntlich wartet die Geschichte selten darauf, verpassten Chancen nachzujagen.
Es gab seinerzeit diverse Erklärungsversuche, warum der erste Golfkrieg nicht im "regime change" endete. Bush I zufolge habe die UNO-Ermächtigung dafür keine Grundlage geschaffen und auf Dauer würde ein Diktator ohnehin dem Zorn seines Volkes nicht entgehen. Gleichwohl hätte es wohl damals keine nennenswerten Proteste der Weltöffentlichkeit gegeben, die greifbare Ablösung des Regimes über das Pflichtprogramm der Vereinten Nationen hinaus als Bonus-Pack gleich mitzuliefern.
"I'm confident the American people understand that when it comes to our security, if we need to act, we will act, and we really don't need United Nations approval to do so. I want to work -- I want the United Nations to be effective. It's important for it to be a robust, capable body. It's important for it's words to mean what they say, and as we head into the 21st century, Mark, when it comes to our security, we really don't need anybody's permission." - Bush II am 6. März
Die legalistische Selbstbescheidung Bush I entsprang eher der Konzeptionslosigkeit dieses Präsidenten, lieber den status quo der Macht im Mittleren Osten vor der Invasion Kuwaits zu konservieren, als tatsächlich eine Neuordnung des Irak mit vielen heterogenen Gruppen und unberechenbaren Prospekten für die Region zu riskieren.
Bush I wurde vorgeworfen, sich hier äußerst ambivalent verhalten zu haben. Einerseits vertraute man vorgeblich auf die irakische Opposition, den Regimewechsel herbeizuführen, rief zum Widerstand gegen Saddam Hussein auf, andererseits ließ man die Opposition aber im Stich, als es darauf angekommen wäre. Saddams Restarmee war bekanntlich stark genug, die Aufständischen niederzuschlagen und Bush I zog sich gegenüber seinem unbeendeten Krieg auf die so abstrakte wie folgenlose Vision einer Weltordnung zurück. So sprach er zwar nicht anders als sein Sohn heute über künftige demokratische Gesellschaften, aber augenscheinlich fehlten auch seiner Vision die politischen Mittel, tatkräftig daran zu arbeiten.
Bushs damalige Erklärungen wie auch die von Colin Powell waren vom schlecht zu kaschierenden Selbstzweifel gezeichnet, trotz des militärischen Erfolgs schlussendlich politisch doch versagt zu haben. Denn Bush I zeigte sich später über die Kontinuität der Herrschaft Saddam Husseins mehr als unglücklich und erklärte den Diktator zur Gefahr für die Welt. Zurückgestoßen auf die wirtschaftlich schwierigere Situation Amerikas wurde Bush Vater dann mangels konkreter Visionen für sein eigenes Land abgewählt.
Schon vor dem Krieg eine diplomatische Niederlage
Der Krieg, der sich jetzt abzeichnet, will das zu Ende bringen, was seinerzeit versäumt wurde. Wie der Vater so der Sohn? Die gegenwärtigen Kriegsvorbereitungen führen zwar dieselbe Ideologie im Marschgepäck mit sich. Aber dieser Krieg ist schon jetzt gegenüber dem väterlichen Kriegsvorbild ein politischer Rohrkrepierer. Das zeigt bereits die oberflächliche Chronologie der Ereignisse: Zwischen dem irakischen Einfall in Kuwait am 2. August 1990 und der Verkündung des Sieges durch Bush I am 28. Februar 1991 lag ein gutes halbes Jahr. Bush II betreibt sein Irak-Projekt seit seiner Amtsantritt zunächst für seine Verhältnisse relativ verhalten und nach dem Anschlag auf das WTC immer forcierter, ohne sehr viel mehr als einen fundamentalen, beispiellosen Zwist der Weltöffentlichkeit produziert zu haben.
Dass man von den üblichen Routineschlägen auf den Irak (Die Rückkehr der Jediritter) zu endgültigen Lösungen kommen wollte, hatte Condi Rice schon vor dem 11. September 2001 erklärt (Der Baulöwe von Bagdad). Reagierte 1990 die UNO auf Grund diplomatischer Bemühungen der US-Regierung relativ zügig und weit gehend geschlossen, hat sich Bush II in mehr als bedenklicher Weise von der UNO entfernt. Zwar entschied sich auch damals die UNO für eine eskalierende Vorgehensweise gegenüber dem Aggressor: Erst Verhandlungen, dann Krieg. Doch der Sicherheitsrat setzte einen konkreten Termin, den 15. Januar 1991, für das Ende der Verhandlungen fest, dem auch zwei Tage später Kampfhandlungen der Alliierten folgten.
Erklärungsnotstand für Golfkrieg II
Die Präsenz der Iraker in Kuwait war eine Tatsache, die sich nicht dem gegenwärtigen Vorwurf aussetzte, Spekulationen über Gefahrenpotenziale an die Stellen von Fakten zu setzen. Selbst aus der Perspektive Washingtons muss der gesamte bisherige Verlauf des angekündigten Krieges dagegen als unglaubwürdige Zitterpartie erscheinen, die zu einer immer größeren Isolation der Bush-Regierung führt. Während sich Bush I mit einigen nachvollziehbaren Gründen vorübergehend als das Weltgewissen aufführen durfte, ist die von diplomatischen Katastrophen geschüttelte Mission des Sohnes bereits eine politische Niederlage - unabhängig davon, ob der Krieg nun geführt wird oder wider Erwarten doch nicht.
Auch damals protestierten Friedensbewegung und Papst, aber die Invasion, so sehr Amerikas ambivalente Vorkriegs-Politik den zunächst gepäppelten Diktator auch ermutigt haben mag, war für alle Beteiligten eine unumstößliche Tatsache. Bush I hatte in der Retrospektive keine echten Legitimationsprobleme. Gab es seinerzeit eine greifbare Aggression des Irak, muss Bush II jetzt auf immer vagere Bedrohungsszenarien zurückgreifen. Wenn Colin Powell die Demontage der Al-Samoud-Raketen als Täuschungsmanöver kritisiert, weil die Mittel zur Waffenherstellung weiter bestünden, wird das ganze Ausmaß des Erklärungsnotstands in fataler Weise deutlich.
Militärische und politische Zielsetzungen klaffen auseinander
Bush II hat von seinem Vater lediglich das unerledigte Finale und die großen abstrakten Verheißungen einer glücklichen Zukunft für alle geerbt, nicht aber die Einigkeit der Welt. Als Psychodrama der Familie Bush erscheint dieser Krieg als vergeblicher Versuch des Sohns, den familiären Ruf des Versagers nun endgültig abzustreifen und zum ersten Mal in seinem Leben den Vater zu übertreffen. Bush II scheint unter diesem kolossalen persönlichen Erfolgsdruck zu stehen, der nun inzwischen von der Eigendynamik des Aufmarschs überboten wird, der kein wirkliches Zurück ohne Gesichtsverlust mehr gewährt.
Das vom Vater geerbte Kriegspassepartout passt nicht mehr, was nie deutlicher wurde als in der aus der Begründungsnot geborenen Doktrin präventiver Kriege und der nun offenen Verweigerung Deutschlands, Frankreichs, Russlands und Chinas. Selbst das amerikanische Zaubermedium Geld versagt, um die Reihen bzw. Fronten zu schließen. So ist die Absage des türkischen Parlaments trotz der in Aussicht gestellten Milliarden Dollar ein deutliches Zeichen für das politische Totaldesaster dieses Klonkriegs.
Es ist eine alte Crux amerikanischer Kreuzzüge, militärische und politische Zielsetzungen nicht zu kombinieren, um echte Zukunftschancen für die jeweiligen Regionen zu eröffnen. Im "trivial pursuit of happiness" wechselt Amerika zwischen Interventionismus und Isolationismus und agiert viel halbherziger, als es die jüngsten Verlautbarungen einer irakischen Musterdemokratie glauben machen könnten. Das Kulturverständnis von Bush II - "Yet the human heart desires the same good things, everywhere on Earth" - leidet an der alten amerikanischen Schwäche, Differenzen zwischen Gesellschaften nur als Betriebssystemfehler wahrzunehmen und die Gründe für Zwistigkeiten als schnell behebbare Irrtümer zu ignorieren.
Bereits Bush I hat im Bericht zur Lage der Nation am 30.01.1991 verkündet: "Die Welt kann daher diese Gelegenheit ergreifen, das lang ersehnte Versprechen einer neuen Weltordnung zu erfüllen, in der Brutalität unbelohnt bleibt und Aggression auf einen gemeinsamen Widerstand stoßen wird." Die neue Weltordnung, zu der auch ein Ende des Israel-Palästina-Konflikts gehört, stellte sich indes nicht ein.
Krieg gegen einen völlig chancenlosen Gegner
Vor allem aber unterscheidet sich das Verhalten des Irak gegenwärtig fundamental von der damaligen Kompromisslosigkeit des Herrn von Bagdad. Im April 1990 erklärte Saddam Hussein: "Bei Gott, wir werden dafür sorgen, dass ein Feuer halb Israel verschlingt." Damals hielt sich Saddam Hussein noch für stark, weil er die Prankenschläge des US-Löwen noch nicht kannte. Hatte Saddam Hussein auf die Kriegsdrohung beharrlich geantwortet, das annektierte Kuwait sei die 19. Provinz des Irak, ist das gegenwärtige irakische Einlenken gegenüber den Waffeninspektoren für das Selbstverständnis des Diktators geradezu revolutionär. Seinerzeit reagierte der Potentat auf das UNO-Ultimatum über Monate überhaupt nicht.
Saddam Hussein hat zwar vielleicht nicht genug gelernt, aber die jetzigen Abrüstungsmaßnahmen des Irak übertreffen alles, was je zu erwarten war. Die Welt sieht es und Colin Powell redet deshalb ins Leere. Selbst wenn die Offenbarungen des Iraks über Massenvernichtungsmittel nicht vollständig sein sollten, demontiert der Irak einen Teil seiner Waffen, obwohl der Krieg bevorsteht. Es dürfte historisch einmalig sein, dass eine konkret bedrohte Nation, die unmittelbar mit Krieg zu rechnen hat, im Vorfeld abrüstet.
Wurde schon der erste Golfkrieg mit dem ständigen Vorwurf begleitet, einen völlig chancenlosen Gegner niederzumetzeln, wird sich dieser Vorwurf jetzt noch vehementer gegen Bush II richten. Wenn Bush II diesen Krieg trotz des eiskalten Windes beginnt, der ihm nun aus dem Sicherheitsrat in das Gesicht bläst, verspielt er das ohnehin moralisch nicht fleckenfreie Ansehen Amerikas in der Welt.