Der Arabische Frühling lässt die Mauern sprießen
Nach den Umstürzen in der arabischen Welt hat die Instabilität zugenommen. In Folge baut Saudi-Arabien die Grenze zum Jemen aus - Gated Nations Teil 4
Der sogenannte arabische Frühling hat ungeahnte Folgen: Nach dem Sturz des langjährigen jemenitischen Staatschefs Ali Abdullah Salih Ende 2011 hat die Lage an der Grenze zu Saudi-Arabien weiter an Stabilität verloren. Das autoritäre Regime in Riad regiert mit dem Bau einer Grenzbefestigung aus Betonsäcken und -rohren. Doch die Barriere widerspricht nicht nur einem Grenzabkommen zwischen beiden Staaten aus dem Jahr 2000, sondern droht auch nachhaltige Auswirkungen auf das grenzüberschreitende Stammesgebiet zu haben.
Die Sperranlage von Saudi-Arabien soll entlang der rund 1.800 Kilometer langen Wüstengrenze gezogen werden. Maßgebliche Ziele sind die Abwehr von Kämpfern schiitischer bewaffneter Gruppen sowie des Al-Qaida-Netzwerks auf der arabischen Halbinsel. Zudem wollen die saudischen Grenzbehörden den im Jemen boomenden Drogenhandel und einen massiven Ansturm von Immigranten abwehren.
In einer ersten Phase plante Saudi-Arabien bereits vor zehn Jahren den Bau eines gut 75 Kilometer langen Schutzwalls. Die im September 2003 begonnen Arbeiten wurden im folgenden Februar jedoch aufgrund von Protesten aus dem Jemen wieder unterbrochen. Die Führung in Sanaa wies daraufhin, dass das relativ junge Grenzabkommen aus dem Jahr 2000 eine breite Zone für die Land- und Viehwirtschaft der arabischen Stämme in der Region festschrieb. Eine einseitige Grenzbefestigung Saudi-Arabiens stehe in Widerspruch zu dieser Vereinbarung.
Trotz einer von Ägypten und den USA zunächst vermittelten Einigung, die gemeinsame Grenzpatrouillen vorsah, nahm Riad die Pläne zum Bau einer einseitigen Grenzbefestigung 2006 wieder auf. Rund 8,5 Milliarden US-Dollar solle die Errichtung der Anlage kosten, schrieb Arab News. Geplant sei, rund drei Meter hohe, mit Beton gefüllte Pipelines und weitere Sperrelemente zu errichten. Die Anlage solle zudem mit Überwachungstechnologie wie Wärmebildkameras und Bewegungssensoren ausgerüstet werden. 2008 begann der Bau in einem begrenzten Abschnitte der Demarkationslinie. Seither kursieren immer wieder Berichte über den Ausbau der Grenzanlagen auf saudischer Seite.
Vorstöße bewaffneter Gegner des saudischen Königshauses
Möglich wurde der Ausbau maßgeblich durch die politische Schwäche der jemenitischen Führung nach den innenpolitischen Umbrüchen 2011 und 2012. Zudem scheint das saudische Regime in den vergangenen Jahren mit den Stämmen in der Region aber auch verhandelt zu haben, um ihnen die Sicherung des Grenzgebietes zum Teil zu überlassen. Aus Sicht von Experten ist das eine logische Strategie. "Den Saudis ist bewusst geworden, dass sie mit den Stammesanführern arbeiten und ihnen klar machen müssen, dass ihre Lebensgrundlage auch davon abhängt, wie viel sie zur Grenzsicherung beitragen", zitierte (http://www.nytimes.com/2010/10/27/world/middleeast/27saudi.html?pagewanted=all&_r=0) die New York Times Ende 2010 den Regionalwissenschaftler Bernard Haykel von der Universität Princeton. Dass die Strategien sich öfter verändert haben, liegt auch an der jungen Grenzgeschichte. Die Demarkationslinie wurde erst im Jahr 2000 völkerrechtlich sicher definiert.
Aus saudischer Sicht macht vor allem der Machtgewinn des Al-Qaida-Netzwerks die Grenzsicherung notwendig. Im Jahr 2009 kam es sogar zu anhaltenden Kämpfen zwischen den radikalislamischen Kämpfern und dem saudischen Militär. Nach den Auseinandersetzungen hatten 133 Soldaten im Dienst Riads ihr Leben verloren. Vor allem aber war das auf militärische Stärke bedachte monarchistische Regime in Riad gedemütigt worden zumal ein Selbstmordattentäter fast den heutigen Innenminister Mohammed bin Naif mit in den Tod gerissen hatte. Die Zunahme der Angriffe auf das saudische Königshaus motivierte die Machthaber offenbar endgültig zum unilateralen Ausbau der Grenze. Im vergangenen Jahr wurden 78 Dörfer auf dem eigenen Gebiet nahe der Demarkationslinie evakuiert. Zugleich, sagt Regionalwissenschaftler Haykel, versuchten die Verantwortlichen, den lokalen Handel nicht zu beeinträchtigen, um die arabischen Stämme nicht gegen sich aufzubringen.
400.000 Arbeitsimmigranten pro Jahr
Wie fast überall in der Region spielen neben der Bedrohung durch irreguläre bewaffnete Gruppen auch die massiven Migrationsbewegungen eine Rolle beim Ausbau der Grenzregime. Bis zu 400.000 Arbeitsimmigranten kämen jedes Jahr meist aus afrikanischen Staaten nach Saudi-Arabien, heißt es aus Riad. Ihr Weg führt oft aus Somalia und Äthiopien über den Jemen in den saudischen Königsstaat. Wenn sie in die Hände der Grenzschützer geraten, werden sie kurzzeitig in Auffanglagern interniert und dann wieder abgeschoben.
Wie auch im Fall der neuen Sperranlagen Israels an der Grenze zum Sinai werden die neuen Schutzwälle in Saudi-Arabien diesen Strom aber nicht zum Erliegen bringen, sondern das Problem höchstens verlagern. New-York-Times-Reporter Robert F. Worth beschrieb schon im Jahr 2010 das Bild an der Grenze, wo auf dem NATO-Draht "Kleiderfetzen und das trockene Blut verzweifelter Migranten" zu erkennen sei. Es sei ein täglicher Kampf zwischen den Grenzschützern und den Flüchtlingen, schilderte ein Leutnant der saudischen Grenztruppen die Lage. Manche der Flüchtlinge würden sich Schuhe verkehrt herum anziehen, um die Grenzschützer in die falsche Richtung zu führen, oder Schwämme unter die Sohlen binden, um die Spuren zu verwischen.
Teil 5: Virtuelle Mauer: EU setzt "Copernicus" gegen Flüchtlinge ein.