Indiens Wall gegen die Separatisten

In Kaschmir soll eine massive Grenzanlage mit einer Breite von bis zu 40 Metern entstehen - Gated Nations Teil 3

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Eine der größten Sperranlagen der Welt entsteht derzeit zwischen dem von Indien verwalteten Teil von Kaschmir und dem von Pakistan kontrollierten Gebiet. Die massive Barriere soll nach den Vorstellungen der indischen Grenztruppen der Border Security Force (BSF) Angriffe von muslimischen Rebellengruppen auf indische Polizei- und Armeeeinheiten verhindern. Der Vergleich zu den Grenzanlagen zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten liegt nahe. Und tatsächlich haben sich die indischen Projektplaner in Israel beraten lassen. Gegner der neuen Grenzbefestigung hingegen befürchten - ähnlich wie im Nahen Osten - katastrophale Auswirkungen für die lokale Bevölkerung, deren Reise- und Handelsrouten unterbrochen würden. Zudem handelt es sich bei der sogenannten Line of Control, der Demarkationslinie zwischen den indisch und pakistanisch kontrollierten Teilen Kaschmirs, um keine offizielle Grenze. Durch den Bau des massiven Walls könnte Indien den aktuellen Grenzverlauf festigen.

Die Demarkationslinie zwischen dem indisch kontrollierten Teil von Kaschmir und Pakistan ist 179 Kilometer lang, aber insgesamt erstreckt sich die De-facto-Grenze über 740 Kilometer. Festgeschrieben wurde der Verlauf der Waffenstillstandslinie im Shimla-Abkommen Mitte 1972. Der seither schwelende Konflikt macht Kaschmir und die jeweils angrenzenden Gebiete zu einer der weltweit gefährlichsten Krisenregionen.

Die indischen Grenzbehörden haben die Demarkationslinie daher schon jetzt massiv befestigt. Ein doppelter Grenzzaun mit Stacheldraht, Bewegungsmeldern und Wärmebildkameras verläuft über gut 550 Kilometer. Die Anlagen sind nachts hell beleuchtet. Auf einem Bild der US-Raumfahrtbehörde NASA zeichnet sich die Demarkationslinie deutlich von den schwächer beleuchteten Verkehrswegen ab.

118 Dörfer von Grenzanlage betroffen

Nun also der Ausbau. Zwar halten sich Grenzbehörden und Regierung über die Pläne bedeckt. Einige Details sind über die neuen Anlagen entlang der Grenze von Indisch-Kaschmir zu den pakistanischen Gebieten dennoch zu erfahren. So soll offenbar keine neue Anlage als Zaun oder Mauer gebaut werden. Stattdessen, so berichtet The Nation aus dem pakistanischen Lahore, setzten die indischen Planer vor allem auf breite Gräben und Erdwälle. Diese Variante braucht viel Platz.

Der arabische Sender Al-Schasira gibt die Breite des Bauwerks mit 41 Metern und die Höhe mit zehn Metern an. "Es wird eines der bedeutendsten Grenzschutzsysteme des Landes", sagte Dharminder Parikh, ein hochrangiger BSF-Vertreter gegenüber dem Sender. Mit so etwas habe man in Indien bislang keine Erfahrung, noch sei jemals ein ähnliches Projekt realisiert worden. Der geplante Abschnitt soll durch die drei Verwaltungsbezirke Jammu, Kathua und Samba verlaufen. Dort würde die Grenzschutzanlage insgesamt 118 Dörfer und Siedlungen durchtrennen.

Weil die Erdkonstruktion mit Checkpoints und technischen Anlagen einigen Platz beansprucht, wurden nach offiziellen Angaben bereits im Vergangenen Jahr die Anträge an die indische Verwaltung von Kaschmir gestellt, so der Grenzschutzbeamte. Nach wie vor müssten aber Gebiete von den betroffenen Dorfbewohnern abgekauft werden. "The Nation" schrieb, dass die Anlage "1,5 bis fünf Kilometer von der derzeitigen Grenze entfernt" auf indisch kontrolliertem Territorium verlaufen werde. Kosten für das Vorhaben werden von indischer Seite bisher nicht genannt. Aber schließlich sei "die Sicherheit der wichtigste Aspekt", sagte ein Pressesprecher der indischen Innenministeriums gegenüber Al-Dschasira. Sein Ministerium habe das Projekt daher gemeinsam mit dem Verteidigungsressort und der Regionalregierung von Jammu und Kaschmir - so der amtliche Name des indisch kontrollierten Teils der umstrittenen Region - geplant.

Beratung aus Israel

Tatsächlich war der Bau der massiven Grenzanlagen in Indien lange umstritten. Bereits im vergangenen Jahr hatte die indische Regierung Kontakt zu Israel aufgenommen, um die dortigen Sperrzäune zu den palästinensischen Territorien zu inspizieren. Die Jerusalem Post berichtete von der Delegationsreise aus Indien im August vergangenen Jahres. Weltweit nehme das Interesse an den Erfahrungen Israels mit den Grenzzäunen und -mauern zu, heißt es in dem Text. Schließlich interessiere sich auch das US-amerikanische Heimatschutzministerium für das Bodenradarsystem ELM-2112 des israelischen Konzerns Elta Systems, einer Tochter des Rüstungsunternehmens Israel Aerospace Industries.

Der Nachbau der israelischen Anlagen war in Indien dennoch lange umstritten. Vor allem Armeevertreter lehnten das Vorhaben zunächst wegen der zu erwartenden negativen Auswirkungen für die Bewohner der Region ab. Zudem müsste ein erheblicher Teil des eigenen Gebietes geopfert werden. Und die Geografie Kaschmirs mache die Errichtung eine Sperranlage nach israelischem Vorbild ungleich schwerer. Erst nach mehreren Angriffen muslimischer Separatisten auf indische Polizei- und Armeeeinheiten hat sich die Meinung verändert.

Kritik gibt es dennoch. Der aus Kaschmir stammende Kolumnist Abdul Majid Zargar weist darauf hin, dass die geplante Anlage höher und breiter als die Berliner Mauer und der israelische Sperrzaun sein werde. Aus der Entscheidung der indischen Behörden spreche daher eine "rückständige Nostalgie", die zudem die historischen Lehren missachte. Von der Chinesischen Mauer über den römischen Hadrianswall bis hin zur Berliner Mauer seien alle Vorbilder der Geschichte letztlich gescheitert. "Mit dem geplanten Bau des Walls wird sich Indien lediglich zu einem Ghetto-Staat entwickeln", schreibt der Journalist.

Während die pakistanische Regierung auf die Berichte betont gelassen reagierte, kündigte die muslimischen Separatisten Widerstand gegen den Bau an. Die geplante Grenzbefestigung sei Ausdruck des Versuchs, "Kaschmir zu einem Gefängnis zu machen", sagte Syed Sallah-du-Din, der Chef des 1994 gegründeten Rebellenverbandes United Jihad Council. Der Bau des Walls solle die "indische Besatzung Kaschmirs" konsolidieren, sagte er. Diesem Versuch werde man sich "an allen Fronten" widersetzen.

Teil 4: Saudi-Arabien die Grenze zum Jemen aus