Israel mauert sich ein
Der jüdische Staat hat inzwischen vier Sperranlagen errichtet, um palästinensische Kämpfer und afrikanische Einwanderer abzuhalten - Gated Nations Teil 2
Moderne Grenzsicherungssysteme zur Abschottung des nationalen Territoriums haben in den vergangenen Jahren vor allem im Fall von Israel zu politischen Debatten geführt. Inzwischen hat die israelische Armee vier massive Barrieren errichtet. Die bekannteste Grenzbefestigung trennt den jüdischen Staat vom Westjordanland ab. Weitere Zaun- und Mauerbauten wurden an der Demarkationslinie zum Gazastreifen, an er Grenze zwischen Gaza und Ägypten sowie jüngst auch zur Sinai-Halbinsel errichtet.
Anders als im Fall der Europäischen Union und selbst den USA obliegen Bau und die Bewachung der Grenzanlagen in Israel klar und ausschließlich der Armee. Das hängt mit der Aufgabe der Bauten zusammen. Die Barrieren zum Westjordanland und dem Gaza-Streifen richteten sich in erster Linie gegen bewaffnete Angriffe palästinensischer Gruppen, vor allem während der Zweiten Intifada. Eine Ausnahme bildeten zunächst die Sperranlagen zur Sinai-Wüste. Sie richteten sich vor allem gegen afrikanische Einwanderer, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Israel zu gelangen versuchten.
Nach dem Sturz des ägyptischen Machthabers Husni Mubarak aber drohen für Israel auch aus dem Sinai Gefahren. Spätestens seit im August 2011, einige Monate nach dem Sturz Mubaraks, palästinensische Kämpfer über einen Tunnel in den Sinai nach Israel gelangten und mehrere Anschläge verübten, ist die Sicherung der Grenze eine militärische Frage.
Schon vorher hatte sich die Debatte in Israel maßgeblich um die illegale Einwanderung gedreht. Der amtierende Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vom konservativen Likud-Block hatte bereits im Wahlkampf und zu Beginn seiner aktuellen Amtszeit die Durchsetzung einer strikteren Grenzpolitik versprochen. Netanjahu versuchte damit auch, die wachsenden sozialen Probleme in den Griff zu bekommen. Alleine aus afrikanischen Staaten sind inzwischen rund 60.000 Flüchtlinge nach Israel gekommen.
Projekt Sanduhr
Die Sperranlagen zum Gebiet der Sinai-Halbinsel haben den Zuzug von Flüchtlingen bislang fast vollständig zum Versiegen gebracht, wenn auch nicht den Flüchtlingsstrom selbst. Im Zuge des "Projekts Sanduhr" haben die israelischen Streitkräfte entlang der gut 256 Kilometer langen Grenze einen knapp fünf Meter hohen Zaun errichtet. Die Umzäunung ist mit Radargeräten, Bewegungssensoren und Kameras ausgestattet. Das Bauwerk gehört zu den wenigen Grenzanlagen, die man aus dem Weltraum sehen kann - was maßgeblich an der Geografie liegt.
Entlang des Zauns schlängeln sich schwarze Asphaltstraßen durch den hellen Wüstensand. Keine Straße führt zu der Grenzanlage, kein Fußweg führt von ihr ab. Wo einst Reservisten ihren Dienst taten, sind nun Soldaten aus Eliteeinheiten mit der Sicherung des israelischen Staatsgebietes betraut. Rund 270 Millionen US-Dollar hat die Sperranlage gekostet. Offenbar effizient: Im ersten Halbjahr 2013 schafften es nach israelischen Regierungsangaben gerade einmal 34 Flüchtlinge über den Grenzstreifen. In den ersten sechs Monaten 2012 waren es noch über 10.000 Menschen gewesen, die auf diesem Weg nach Israel gekommen waren.
Die afrikanischen Flüchtlinge kommen meist aus dem Sudan, Eritrea oder Äthiopien. Sie fliehen vor der wirtschaftlichen Not oder bewaffneten Konflikten. Israel ist für sie ein - im wahrsten Sinne des Wortes - naheliegendes Ziel: Der Staat bietet politische und wirtschaftliche Freiheit und verspricht Wohlstand. Vor allem aber ist er zu Fuß zu erreichen.
In Israel sorgt der Umgang mit dem Flüchtlingsstrom seit geraumer Zeit für politische und juristische Kontroversen. Ein Gefangenenlager in der Negev-Wüste, in dem die illegalen Einwanderer für bis zu drei Jahre interniert werden sollten, wurde vom Obersten Gerichtshof des Landes für illegal erklärt. In Reaktion auf den Richterspruch haben die Behörden in der Nähe des ursprünglichen Gefängnisses eine "offene Unterkunft" eingerichtet, in der die Insassen bis zu einem Jahr festgehalten werden können. Kritiker sehen allerdings nur einen linguistischen Unterschied. Auch die "offene Unterkunft" ist eingezäunt, die Insassen müssen sich regelmäßig melden und werden nachts eingeschlossen.
Grenzzäune zu palästinensischen Gebieten
Für Kontroversen sorgt dennoch nicht einmal die Sperranlage zum Sinai, sondern - bei der politischen Polarisierung in der Region wenig erstaunlich - die Anlagen zu den palästinensischen Gebieten.
Schon Mitte der 1990er Jahre hatte die israelische Armee mit dem Bau der Barriere zum Westjordanland begonnen ( Dossier der Tageszeitung Ha’aretz). Die Anlage soll insgesamt 700 Kilometer lang werden.
Im politischen Diskurs ist gemeinhin von einer "Mauer" die Rede, was nur begrenzt korrekt ist: 90 Prozent der Anlage bestehen aus einem knapp fünf Meter hohen Zaun. Lediglich zehn Prozent wurden, ähnlich dem historischen Berliner Vorbild, als Mauer aus Betonelementen errichtet. Die Grenzanlage zum Westjordanland ist in der Region und international besonders umstritten, weil sie zu einem erheblichen Teil auf palästinensischem Territorium verläuft. Eine teilweise 300 Meter breite Sperrzone reicht zudem in das Westjordanland hinein. Nicht nur die Vereinten Nationen und der Internationale Gerichtshof, sondern auch der Oberste Gerichtshof Israels haben die negativen Auswirkungen mehrfach beanstandet.
An der Grenze zwischen Israel und dem Gaza-Streifen wurde der 52 Kilometer lange Sperrzaun bereits 1994, noch unter Premierminister Jitzchak Rabin errichtet. Die Anlage riegelt den Gaza-Streifen vollständig ab und erlaubt den Grenzübertritt nur an drei Checkpoints.
Ergänzt wurde die Anlage nach 2009 durch eine Sperrwand an dem Übergang zwischen dem Gaza-Streifen und Ägypten. Die Besonderheit hier ist, dass die Barriere in erster Linie darauf angelegt ist, den illegalen Grenzverkehr unter der Erde zu unterbinden. Die gut zehn Kilometer lange Stahlwand reicht bis zu 18 Meter in die Erde, um die zahlreichen Tunnel zu unterbrechen. Aus israelischer Sicht war die Anlage zum Gaza-Streifen erfolgreich. Zwischen den Jahren 2000 und 2003 seien 293 Israelis bei Selbstmordanschlägen ums Leben gekommen, heißt es von dieser Seite. Von 2003 bis Ende 2006 habe sich die Zahl der so Getöteten nur noch auf 64 belaufen.
Polemik gegen nicht-jüdische Flüchtlinge
Der israelische Journalist, Schriftsteller und Friedensaktivist Uri Avnery gehört zu den Kritikern der Abschottungspolitik im Land. Avnery kommentierte unlängst die Proteste von rund 300 Insassen der "offenen Unterkunft" in der Negev-Wüste. Die Männer hatten sich zu einem Protestmarsch zur Knesset, dem israelischen Einkammerparlament in Jerusalem, aufgemacht, um eine Lösung ihrer ungeklärten Situation zu fordern. Es sein ein Spektakel gewesen, "das unsere Großeltern bis ins Mark erschüttert hätte", so Avnery: "Rund 300 Schwarze liefen, meist barfuß in der beißenden Kälte eines außerordentlich harten Winters, über Kilometer hinweg auf einer Hauptstraße." Vor der Knesset sei die Demonstration gewaltsam niedergeschlagen worden.
Der Vorfall belegte zumindest eines: Dass das repressive Grenzregime in Israel zwar in Bezug auf den bewaffneten Kampf der Palästinenser vorübergehende Erfolge gebracht hat. Das Flüchtlingsproblem wird durch Grenzanlagen auf Dauer aber nicht gelöst werden können.
Dessen ungeachtet setzt die aktuelle Regierung weiter auf eine repressive Grenzpolitik. In Afrika irrten derzeit rund 30 Millionen Menschen umher, zitiert die US-Tageszeitung Washington Post den israelischen Innenminister Gideon Sa’ar aus einer Parlamentsdebatte. "Wenn wir zu viele Freiheiten akzeptieren, dann werden wir unser Land verlieren. Dann werden wir das einzige jüdische Land verlieren, das es gibt." Eben diese Argumentation gegen nicht-jüdische Flüchtlinge hatte Avnery als rassistisch kritisiert.
Zugleich stellt sich in Israel aber auch die Erkenntnis ein, dass repressive Maßnahmen alleine gegen die Flüchtlinge wenig ausrichten können. Inzwischen verhandelt die Regierung mit afrikanischen Staaten über eine Aufnahme der Migranten. Zugleich stimmte das Parlament der Anhebung einer Prämie für die freiwillige Ausreise von 1.500 auf 3.500 US-Dollar zu.
Teil 3: Indiens Wall gegen die Separatisten.