Der Aristokrat von Göttingen
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Jetzt warnt auch der aus Syrien stammende Politikwissenschaftler Bassam Tibi vor syrischen Flüchtlingen. Was er über seine ehemaligen Landsleute herausgefunden haben will, ist zweifelhaft
Die deutschen Islamophobiker haben einen neuen Shooting Star. Ganz jung ist er mit seinen 72 Jahren nicht mehr, aber das ist in einer Szene, die Thilo Sarrazin und Henryk M. Broder als Idole feiert, gerade guter Durchschnitt. Dafür hat es seine Person aber in sich: Der Mann ist selbst Syrer, dazu noch Professor, er kannte Adorno und Horkheimer. Und er sagt Sachen wie: "Die Syrer von heute sind Antisemiten". Wenn es einer wissen muss, dann doch wohl Bassam Tibi, der Professor aus Göttingen.
Bassam Tibi hat sich mit einem Interview in der "Welt" zum Liebling der deutschen Rechten katapultiert. Was er liefert, sind die üblichen Produkte, die ein gut sortierter rechtspopulistischer Gemischtwarenladen eben so führt: Merkel überflutet das Land mit Flüchtlingen, kriminelle Banden junger Männer treiben ihr Unwesen, der Islam verträgt sich nicht mit dem Grundgesetz. Garniert mit Beispiel von sozialschmarotzenden, kriminellen Ausländern, die Tibi getroffen haben will.
Ein renommierter Professor
Auf der Rechten schlägt das Interview aber vor allem wegen der Person ein wie eine Bombe. Einer, der selbst aus Syrien kommt, sagt genau das, was sie schon immer dachten - das konnten sich deutsche Rechte nicht entgehen lassen. Henryk M. Broder übernahm folgende Passage von Tibi auf die "Achse des Guten":
Göttingen wird in einem Jahr eine Stadt voller Kriminalität. Und das verdanken wir Frau Merkel.
Und AfD-Frau Beatrix von Storch twittert: "gutes Interview mit Bassam #Tibi". Aber auch die CDU-Spitzenpolitikerin Julia Klöckner findet:
"Großartiges Interview in der @welt mit Bassam Tibi (...) Unbedingt lesen!"
Bei "Tichys Einblick", der "liberal-konservativen Meinungsseite", klagte Anabel Schunke, die dort dafür zuständig ist, dem seitenüblichen Gejammer über linke Gutmenschen und Multi-Kulti-Illusionen einen feministischen Anstrich zu verpassen, Tibi werde mit dem "AfD-Stempel" versehen. Dabei sei es doch "vollkommen absurd selbst jemandem wie Bassam Tibi, der über einen Migrationshintergrund verfügt und anerkannter Professor ist, mit dem Rechtsaußen-Stempel zu versehen". Klar, ein Professor kann nicht AfD-Mitglied werden - als wäre nicht gerade die AfD die Professorenpartei schlechthin, einst gegründet von Professor Bernd Lucke.
Göttingen schafft sich ab
Eine besondere Note bekam das Interview dadurch, dass Tibi nicht nur Sarrazins Mantra "Deutschland schafft sich ab" übernommen hat, sondern auch noch ganz konkret den Untergang von Göttingen durch Migranten voraussagte. "Die Stadt war früher sehr studentisch, 20 Prozent waren Ausländer, eine verträumte, idyllische Stadt", sagt Tibi.
Heute sieht sie aus wie ein Flüchtlingslager. Da laufen die Gangs, ob afghanisch oder eritreisch, durch die Straßen, und man bekommt es mit der Angst. Das Göttinger Gemeinwesen ist erschüttert.
In Göttingen selbst wurden die Anschuldigungen umgehend zurückgewiesen. "Folgt man den Ausführungen Bassam Tibis, ist aus Göttingen offenbar ein Problembezirk à la Neukölln geworden", wundert sich deutlich distanziert die Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA). Die HNA verweist auf die Göttinger Kriminalstatistik, in der seit November vergangenen Jahres Straftaten von Flüchtlingen gesondert ausgewiesen würden. Ergebnis: "Es gibt im Zusammenhang mit den Flüchtlingen keinen relevanten Anstieg von Straftaten", so eine Polizeisprecherin zur HNA.
Göttingen - ein Flüchtlingslager?
Auch die Stadtverwaltung kann Tibis Tatsachenbehauptungen nicht nachvollziehen: "Ich sehe keine Gangs durch die Stadt laufen", so Verwaltungssprecher Detlef Johannson zur HNA. Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) kritisierte in der Neuen Osnabrücker Zeitung, für seine "vorurteilsvollen Aussagen" bleibe Tibi "jeden Nachweis schuldig". Für die Flüchtlinge seien angemessene Unterkünfte gefunden worden, es gebe keine Zeltlager und Containerdörfer.
Die Piratenpartei von Göttingen richtete einen Offenen Brief an Tibi. Tatsächlich habe es in Kneipen Konflikte mit Menschen ausländischer Herkunft gegeben, schreiben die Piraten, aber: "Wahr ist, dass Zusammenleben nie konfliktfrei ist und wir eine offenere Debattenkultur brauchen. Das ist aber schon vor der Flüchtlingswelle so gewesen." Auch die Piraten finden, dass sich das Göttinger Stadtbild im Laufe des letzten Jahres gewandelt habe, ziehen aber daraus andere Schlüsse als Tibi:
Die vielen Menschen, die zu uns gekommen sind, sieht man auch auf den Straßen. (...) Das ist gut so, denn niemand soll in sich in unserer Stadt verstecken müssen.
Deutlich schärfere Kritik an Tibi kam von Jürgen Trittin, der grüner Bundestagsabgeordneter für Göttingen ist. "Prof. Tibi belegt, dass die Verrohung des politischen Klimas, das Befördern von Vorurteilen kein Privileg von Benachteiligten ist. Es sind die gesellschaftlichen Eliten, es sind Professoren wie Bassam Tibi, die solche Bilder hoffähig machen", schrieb er. "Aus der Wertegemeinschaft des Grundgesetzes hat Tibi sich verabschiedet."
Tibis ominöse Studie
Aber was ist denn nun mit den Syrern, die nach Deutschland kommen? Tibi stammt aus Damaskus, er kann mit Flüchtlingen in deren Heimatsprache sprechen. Mit wie vielen Syrern hat er eigentlich geredet und was hat er dabei herausgefunden? Leider sind seine Angaben dazu eher fragwürdig. So behauptet er in der "Welt": "Ich habe sicherlich in den letzten eineinhalb Jahren mit mehreren Tausend Syrern gesprochen, ob in Göttingen, Frankfurt, Berlin, München."
Kann das stimmen? Eineinhalb Jahre, das sind 547,5 Tage. Mehrere Tausend sind mindestens 2.000. Das sind immerhin 3,65 Syrer pro Tag und es werden noch mehr, wenn Tibi die Wochenenden frei hätte und mal mit keinem Syrer spricht: 156 Tage müsste man dann abziehen, bleiben 391,5, das ergibt einen Tagesschnitt von 5,11 Gesprächen mit Syrern. Hat Tibi mal einen Tag ausfallen lassen, musste er am nächsten 10,22 Gespräche führen, um letztlich auf 2.000 Syrer zu kommen.
Das ist sportlich - wo hat er die Syrer alle getroffen, beim Speeddating in der Fußgängerzone? Komplizierter wird die Sache noch dadurch, dass Göttingen nach Angaben der Stadtverwaltung in den vergangenen zwei Jahren nur 1400 Flüchtlinge aufgenommen hat. Und die dürften noch nicht mal alle Syrer sein. Aber gut, Tibi gibt ja selber an, auch in Frankfurt, Berlin und München recherchiert zu haben. Aber selbst wenn er mit allen Flüchtlingen in Göttingen gesprochen hat, es bleiben immer noch 600 Flüchtlinge, die er im Eiltempo in fremden Städten gefunden haben muss.
Sehr glaubwürdig ist das alles nicht, wenn auch nicht unmöglich. Genauso fragwürdig sind weitere Angaben von ihm. Über seine Gespräche will er nämlich folgendes rausgefunden haben:
Die meisten von ihnen, habe ich am Dialekt festgestellt, sind keine Städter, sondern vom Land. Und unter ihnen gibt es viele Antisemiten. Dieser Kultur habe ich mich sehr entfremdet. Unter all den Leuten, die ich sprach, war übrigens kein einziger Arzt und auch kein Ingenieur.