Der Aristokrat von Göttingen

Seite 2: Wie verbreitet ist Antisemitismus?

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Interessant wäre natürlich zu wissen, wie er den Antisemitismus festgestellt hat. In vielen Ländern der Welt sind 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung Antisemiten, das ist traurige Realität. Auch in der arabischen Welt sind judenfeindliche Einstellungen leider keine Seltenheit. Insofern kann es schon sein, dass Antisemitismus unter Syrern weit verbreitet ist, zumal Syrien mit Israel wegen der Golan-Höhen im Streit liegt.

Andererseits: DDR-Flüchtlinge hätte man ja auch nicht zu verkappten Marxisten-Leninisten erklärt, weil sie jahrelang einer entsprechenden Indoktrination ausgesetzt waren. Im Gegenteil nahm man - zu Recht - an, dass diese Menschen vor genau dieser Ideologie fliehen wollten. Insofern ist theoretisch bei syrischen Flüchtlingen beides denkbar: Dass sie Antisemiten sind oder nicht.

Klären kann man das nur durch konkrete Befragung. Leider hat die "Welt" Bassam Tibi nicht gefragt, wie er denn auf seinen spektakulären Befund kam. In einem Interview mit der Basler Zeitung wurde Tibi aber konkreter: Hier berichtet er von zwei Syrern, die sich ihm gegenüber antisemitisch äußerten. So weit, so schlecht. Aber sind die beiden repräsentativ? Tibi behauptet das, bleibt aber jeden Nachweis schuldig.

Ruft man sich jetzt noch mal in Erinnerung, dass er mehrere Tausend Syrer befragt haben will, dann wären zwei Antisemiten ein Anteil im Promillebereich. Tibi hat sich also mit seiner Angeberei selbst ein Bein gestellt: Entweder er hat tatsächlich mehrere Tausend Syrer befragt, dann sind zwei Antisemiten nicht viel. Oder er hat gelogen und in Wirklichkeit zum Beispiel 100 Syrer befragt, dann sind zwei entdeckte Antisemiten aber schon zwei Prozent.

Wie auch immer: Die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIGA) untersucht gerade, wie verbreitet Antisemitismus unter den Flüchtlingen ist. Erste Ergebnisse sollen Ende des Jahres vorliegen, dann wissen wir mehr.

Gebildetes Syrien

Schon heute nachprüfbar ist dagegen, ob Tibi bei Bildungsstand und Herkunftsorten der Flüchtlinge mit seiner Stichprobenbefragung zu denselben Ergebnissen kam wie richtige Studien. Nach einer Studie des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR haben 86 Prozent der syrischen Flüchtlinge einen Oberschul- oder Universitätsabschluss, sind also hochgebildet. 62 Prozent der Flüchtlinge stammen aus Damaskus und Aleppo, also Städten. Die subjektiven Eindrücke von Tibi stimmen also mit objektiven Untersuchungen nicht überein.

Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hat ebenfalls zum Bildungsstand der Flüchtlinge geforscht. Genauer gesagt, hat das Institut den Bildungsstand in Syrien vor dem Krieg untersucht. Es hat herausgefunden, warum immer klischeehaft von syrischen Ärzten die Rede ist: "Tatsächlich wurden in Syrien vor dem Krieg sehr viele Ärzte und Zahnärzte ausgebildet."

2009 habe Syrien mit 14,3 Allgemeinmedizinern und 8,7 Zahnärzten pro 10.000 Einwohnern "recht weit oben im internationalen Vergleich" gelegen, so das IW. Dass Tibi keine Ärzte getroffen hat, heißt nicht, dass es keine gibt.

Aristokrat in Damaskus

Repräsentativ sind Tibis Tausend Stichproben also nicht. Seine wenigen, subjektiven Eindrücke widersprechen den bisherigen Untersuchungen. Bleibt die Frage: Was reitet Bassam Tibi, so über seine früheren Landsleute herzuziehen? Hier lohnt ein Blick zurück, auf Ralph Giordano.

Als der Publizist Ende 2014 verstarb, schrieb die taz in einem Nachruf, seine Islamphobie könnte auch mit seinem elitären Bildungshintergrund zu tun haben: "Wahrscheinlich fiel es ihm schwer, den Einwandern aus niedrigen Schichten auf Augenhöhe zu begegnen." Das mag zutreffen, würde zumindest vieles erklären.

Bei Bassam Tibi stimmt es ganz sicher, sein "Welt"-Interview trieft nur so von Snobismus: "Ich komme aus einer der 17 führenden sunnitischen Familien in Damaskus", erzählt er. Der Vater war Millionär und Unternehmer, der Sohn sollte "Dr. Tibi" werden. Weitere Details liefert die Basler Zeitung: Tibis Familie war "eine von neun sunnitischen Familien, die die Stadt über Jahrhunderte prägten, bis 1965 die Alawiten mit einem Militärputsch die Macht ergriffen. (...) Nach dem Putsch verlor die Familie ihre Privilegien."

Doch der junge Dr. Tibi machte in Deutschland rasch Karriere, wurde Professor. Der Rest ist Name-Dropping, und das betreibt Tibi im "Welt"-Interview gerne und ausführlich: Adorno und Horkheimer lernte er kennen, Ernst Bloch, die deutschen Linken beim SDS, Carlo Schmid, den Mitverfasser des Grundgesetzes. Sein Sohn ging bei Daniel Cohn-Bendit in den Kindergarten, von Roman Herzog bekam er das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Man braucht nicht groß zwischen den Zeilen zu lesen: Bassam Tibi, der Aristokrat von Damaskus, will keine ungebildete Prolls vom syrischen Land in seiner Nachbarschaft. Wie schrieb die Basler Zeitung so schön: "In seinem Büro weist Tibi empört darauf hin, dass er den Raum mit zwei älteren Professoren teilen muss." Es ist wirklich nicht mehr auszuhalten in Deutschland. Und an allem Schuld ist Merkel.