Der Blick aus der Vagina

Seite 2: Fetischismus im Zentrum

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Auch hier aber steht, wie meist in Parks Filmen, der Fetischismus im Zentrum. Der des Zuschauers versteht sich: Denn alles hier ist vom Kameramann Chung Chung-hoon mit großer Sorgfalt und Eleganz komponiert, es ist opulent inszeniert, prachtvoll ausgestattet und anzusehen: Die kostbaren Bücher der Bibliothek des Hauses, die Wandgemälde, Möbel und Tapeten und selbst ein riesiger Octopus, der einmal in einem viel zu kleinen Aquarium im für die Story bedeutenden Keller des Onkels auftaucht.

Dies ist auch als lustiges Selbstzitat des Regisseurs herrlich (denn in "Old Boy" wurde ein kleiner Octopus lebendig gegessen), und bezogen auf andere Selbst-Zitate: Schwarze Tinte im Mund des Onkels, eine Zahnbehandlung, und natürlich die von Park gewohnten höchst expliziten Folterszenen. Hinzu kommen japanische Malerei, kunstvoller Buchdruck, Musik von Mozart und Rameau sowie vor allem die nackten Frauen- und Männerleiber bei den gelegentlichen, vergleichsweise expliziten Sexszenen.

Bild: © The Jokers / Bac Film

Dieser Sex ist wie die betreffenden Körper sehr photogen, also nicht politisch korrekt, daher umso schöner und erotischer anzusehen - selbstverständlich hat "Die Taschendiebin" seine Soft-Porno-Momente, ab er darüber kann sich nur ernsthaft aufregen, wer erstens es prinzipiell doof findet, wenn Männer Filme über Frauen machen, zweitens komplett übersieht, dass Park Chan-wook auch richtige Porno-Momente in dem Film hat: explizite Rein-Raus-Bewegungen.

Allerdings ist es ein Finger, der hier in einem fremden Mund rein-raus-geführt wird: Als Hideko, in der Badewanne liegend, von ihrer Dienerin gewaschen wird, beklagt sie sich über einen spitzen Zahn der sie schmerzt. Sooki weiß Abhilfe und steckt ihren mit einem Fingerhut ummantelten Zeigefinger ganz langsam, ganz tief in den Mund ihrer Herrin. Sie reibt an deren Backenzahn, schiebt ihren Finger immer wieder hinein und zieht ihn hinaus, um so den Zahn liebevoll anzufeilen - ein Exzess, so explizit wie subtil.

Die Geschichte des Auges

Später dann wird es noch deutlicher, intimer: Ein Blick bleibt stehen, ein Atemzug verharrt, ein Finger streicht über einen Ellenbogen und bleibt dort liegen. Und schließlich taucht Sookis erregtes Gesicht mit halb geöffnetem Mund und ein wenig erigierter spitzer Zunge zwischen Hideko Schenkel, dann ein Schnitt, dann blickt das durch die Kamera vermittelte Auge des Zuschauers aus der Perspektive zentriert aus Hidekos Vagina.

Die Geschichte des Auges zeigt weitere Facetten. Denn nicht minder erotisch, mitunter sogar noch deutlicher aufgeladen ist die Nacktheit, die man nicht zu sehen bekommt, die aber unsere Vorstellung prägt. Das Pendant zu derartigem vorgestellten, vor allem aber dem gezeigten Objekt bildet der Blick: ohne Voyeurismus kein Fetischismus.

Der größte Fetisch ist das Haus, doch dies ist zugleich eine einzige große Blickmaschine. Weil dieser Film größtenteils in Innenräumen spielt, überwiegen dunkle, vor allem braune Farbtöne. Sie sind eng und insofern klaustrophobisch angehaucht, es wird fortwährend eingeengt, und umgekehrt geöffnet - diese Bewegung ist wie ein Atmen der Gegenstände.

Wer zuletzt blickt, blickt am stärksten

Es gibt entsprechend in diesem Haus, wie es sich uns im Film zeigt, lauter Fenster, Türen, Fensterspalten und Schlüssellöcher, es stehen Ferngläser und es öffnen sich Gucklöcher. Es wird fortwährend beobachtet, und Beobachtung reflektiert. Die Menschen erfahren sich als Objekt, und wie in Jean Paul Sartre klassischem Kapitel über den Blick ("Sur le regard" aus "Das Sein und das Nichts") ist diese Erfahrung eine masochistische, gegen die man ich nur durch Zurückblicken zur Wehr zu setzen vermag.

Bild: © The jokers

Wer zuletzt blickt, blickt am stärksten - es geht am Ende hier um Erlangung oder Wiedererlangung der Souveränität durch die Figuren.

Park erfüllt insofern mit diesem Film alle Erwartungen an sein Kino und an das Kino überhaupt: "Die Taschendiebin" argumentiert in Bildern; dies ist ein Film der sinnlichen Gewissheiten, nicht so sehr der intellektuellen Analyse und psychologischen Triftigkeit, die auch die guten Filme europäischer und nordamerikanischer Regisseure oft im ästhetischen Würgegriff hält.

Trotzdem ist dies aber eben nicht nur Oberfläche, sondern auch ein in seiner Tiefe kluges, facettenreiches Kinokunstwerk.

Über die Titel herrscht Verwirrung. Der internationale "Handmaiden" ist pragmatisch wie ein Nietzsche-Leser es erwarten dürfte, der französische "Mademoiselle" der schönste, der deutsche "Taschendiebin" der hölzernste. Der koreanische Titel dagegen bedeutet in wörtlicher Übersetzung übrigens "unverheiratete Frau", und bezieht sich insofern im Gegensatz zum internationalen und deutschen Titel auf Hideko - oder zumindest auf beide Hauptfiguren. Dies ist nur ein zusätzlicher Beleg dafür, dass in dieser Art Kino alles im Auge des Betrachters liegt.