Der Blick aus fremden Augen: verpönt, aber nötig

Seite 4: Anderes Denken üben

Es hat den Anschein, dass sich heute die ganzen westlichen Gesellschaften in einem psychopathischen Zustand erhöhter Angst und Unsicherheit befinden (Die Seuche Unsicherheit). So wie der Einzelne seine Fähigkeit zur Theory of Mind verliert, wenn er verängstigt ist, so ergeht es gerade der ganzen Bevölkerung. Es ist, als läge unser kollektives Ruhezustandsnetzwerk brach, weil wir uns alle in einem Dauerzustand erhöhter Erregung befinden.

Das könnte – und wenn auch nur in Analogie – auch erklären, weshalb es mit der gesellschaftlichen Kreativität so düster aussieht, denn auch diese speist sich aus dem Ruhezustandsnetzwerk (Ideen aus dem neuronalen Untergrund). Aber das nur nebenbei.

Die ständige neurotische Unruhe der Menge führt zu aggressiver Unduldsamkeit gegenüber Außenseitern, Gleichschaltung des Denkens, trotziger Selbstbehauptung selbst noch auf dem diplomatischen Parkett.

Es gibt wenig Hoffnung, dass sich das ändern wird. Immerhin zeigt die Wissenschaft, dass wir dem autoritären Denken nicht wehrlos ausgeliefert sind. Bei geeigneter Anregung kann jeder in die Lage versetzt werden, fremde Perspektiven einzunehmen. Schon das Lesen anspruchsvoller literarischer Texte, in welchen es um das Innenleben der Protagonisten geht, soll die Theory of Mind verbessern.

In einem anderen Versuch versetzten Forscher ihre Probanden mittels verschiedener Denkaufgaben in entweder ein "objektives" oder ein "perspektivübernehmendes" Mindset. Dann beobachteten sie Menschen ihrer eigenen oder einer anderen gesellschaftlichen Gruppe (Rasse), während diese Bewegungen ausführten.

Ein EEG maß derweil die Aktivität derjenigen Hirngebiete, in denen auch beim Menschen Spiegelneuronen vermutet werden. Die Übung im Perspektivwechsel verstärkte merklich die sensomotorische Resonanz mit der fremden Gruppe. Wer ein objektives Mindset hatte, schwang nur mit der eigenen Gruppe.

Wir sollten also alle – und Baerbock und Blinken insbesondere – mehr Conrad und Dostojewski lesen, und uns immer erinnern, dass es noch Welten außerhalb unseres Kopfes gibt. Das geht sogar unter Druck.

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