Der Bundestag öffnet sich für Freie Software
Mit der symbolträchtigen Kür der neuen IT-Infrastruktur des Parlaments erringen sowohl Bill Gates als auch Tux einen Sitz im Reichstag
Die Würfel sind gefallen: Vom heutigen Donnerstag an werden sowohl bei Microsoft Deutschland wie auch im Linux-Lager rund um IBM und den Nürnberger Distributor SuSE einige Manager, Lobbyisten und Strategen wieder ruhiger schlafen. Denn Tux, das putzige Linux-Maskottchen, wird zwar zum Bundestux geschlagen. Allerdings hat sich der Pinguin "nur" einen Sitz auf den etwa 150 Servern des Bundestags erstritten, während die rund 5.000 Arbeitsrechner weiter mit Windows-Software auskommen sollen. Ein typisch parlamentarischer Kompromiss, der für Friede, Freude und Eierkuchen steht. Doch die Weichen sind klar in Richtung Open Source gestellt.
Die Entbindung erfolgte per Kaiserschnitt: Nachdem die von heftigem Lobbygetöse begleitete Entscheidung über die neue informationstechnologische Landschaft des Bundestags eigentlich bereits vergangene Woche weit gehend gefallen zu sein schien, plädierten in der den Ausschlag gebenden Kommission für Informations- und Kommunikationstechnologien Mitglieder von CDU und FDP am heutigen Donnerstag noch einmal für eine Vertagung der gesamten Angelegenheit.
Doch nach einer einjährigen Debatte und der Produktion von insgesamt gut tausend Seiten an Gutachten, Testberichten und Protokollmitschriften führten die Abgeordneten der Regierungskoalition eine für die kleine IuK-Kommission eher untypische Mehrheitsentscheidung herbei, bei der sich die PDS und Teile der CDU enthielten: Linux wird demnach vom nächsten Jahr an für rund 90 Prozent der Serverdienste zuständig sein. Auch für den Verzeichnisdienst, der in Zukunft Email-Adressen und weitere Kenn-Nummern der Abgeordneten zentral verwalten soll, wird mit OpenLDAP eine Open-Source-Software eingesetzt. Microsofts Active Directory muss dagegen draußen bleiben. Dafür wird Bill Gates aber weiterhin über die Desktops der Abgeordneten herrschen, auf denen Windows XP installiert werden soll. Als Standard für Browser und Email wird dort weiterhin Netscape genutzt.
Netzpolitiker aller Fraktionen, die sich Ende Januar zur Initiative Bundestux zusammengeschlossen hatten und von rund 26.000 Surfern per Mausklick in ihrer Petition unterstützt wurden, hätten Linux gern auch auf ihrem Schreibtisch Asyl gewährt. Doch vor dem abrupten Wechsel schreckten letztlich auch viele Abgeordnete zurück, die eine Umstellung auf Open Source aus kosten- und wettbewerbspolitischen Gründen heraus befürworteten. Das Linux-Lager hatte es nicht überall geschafft, Unsicherheiten gemäß dem Motto "Gibt es dafür überhaupt einen Browser?" abzubauen. Auch die vom Bundesrechnungshof errechneten Einsparpotenziale für die gesamte Bundesverwaltung bei der Umrüstung auf das frei kopierbare Linux und Open-Source-Office-Pakete im Büro in Höhe von über 100 Millionen Euro zogen da nicht mehr.
Signalwirkung für ganz Deutschland?
Die Entscheidung hat für Uwe Küster, dem Vorsitzenden der IuK-Kommission, durchaus strategische Bedeutung für ganz Deutschland. Der SPD-Politiker erhofft sich eine "Beispielswirkung" für andere Verwaltungen und Unternehmen. Die nun gewählte Variante schlage aufgrund höherer Administrations- und Schulungskosten zwar mit rund 80.000 Euro mehr zu Buche als die in einer Studie des Berliner Beratungshauses Infora bevorzugte Lösung. Doch durch den Verzicht auf Active Directory erkaufe sich der Bundestag den "strategischen Vorteil", in Bälde zügig und problemlos noch stärker auf Open Source zu setzen. "Wir sind jetzt nicht mehr alleine von einem großen Hersteller dieser Welt abhängig", freut sich Küster, der als Linux-Befürworter bekannt ist. Aber auch die Frage der Sicherheit habe bei dem Beschluss eine "bedeutende Rolle" gespielt.
Der Großteil der Medienpolitiker hat in ersten Stellungnahmen ebenfalls begrüßt, dass Freie Software nun einen Fuß im Bundestags hat. Jörg Tauss, der Beauftragte für Neue Medien der SPD-Fraktion, spricht von einem "Durchbruch". Der Beschluss weise insgesamt "in Richtung einer modernen, leistungsfähigen und vor allem sicheren IT-Infrastruktur." Seine Idee, den Bundestag im Rahmen der geplanten Betriebssystem-Umstellung zur "Microsoft-freien Zone" erklären zu wollen, stellt Tauss dabei erst mal hinter den "guten Kompromiss" zurück. Auch für Martina Krogmann, die Internet-Beauftragte der CDU/CSU-Fraktion, hat die teilweise Migration des Bundestags nach Linux eine "große Bedeutung für Wettbewerb und Markt". Das Signal sei deutlich erkennbar und werde dem Fortschritt im Bereich der Betriebssysteme dienen.
StarOffice begehrt, aber als Zusatzlösung teuer
Bei den Bündnisgrünen wollen sich die parlamentarische Geschäftsführerin Steffi Lemke und die medienpolitische Sprecherin Grietje Bettin nun für den Einsatz von Open-Source-Software gemäß einer der IuK-Kommission heute vorgelegten Empfehlung des Bundesrechnungshofs auch in "weiteren Systemen des Bundestages" wie dem Bürobereich stark machen. Dabei geht es vor allem um die bei Rot-Grün wiederholt nachgefragte Möglichkeit, auf Basis von Windows XP alternative Office-Software wie Suns StarOffice einzusetzen.
Doch ob die Offenheit auf den Desktops so weit gehen darf, ist zum neuen Zankapfel für den Ältestenrat des Bundestags und seine IuK-Kommission geworden. Dagegen stemmt sich vor allem Hans-Joachim Otto, medienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, der den Bundestag seit langem für "ideologische Schaukämpfe" auf Systemebene nicht geeignet sieht. Futter liefert ihm eine Telepolis vorliegende Schätzung der Bundestagsverwaltung, demnach sich die Bereitstellung von StarOffice auf zusätzliche Fixkosten von rund 190.000 Euro sowie weitere Supportgebühren im sechsstelligen Bereich pro Jahr beläuft.
Doch derlei Belastungen hält Oliver Zendel, Vorsitzender des Linux-Tages, letztlich für vertretbar. Der Open-Source-Advokat warnt davor, dass das Datenaustauschformat von Microsoft Office proprietär und damit vollkommen undurchsichtig ist. "Da weiß man nicht, was noch alles zusätzlich mit abgespeichert wird und ob man an die Daten auch in ein paar Jahren noch herankommt."
Weiter gestritten werden darf in großem Stil zudem in gut fünf Jahren, schätzt der IuK-Kommissions-Vorsitzende Küster. Dann stehe wohl der Wechsel auf ein neues Betriebssystem auf den Deskops an. Doch zumindest könne man sich dann frei am Markt bedienen und sei noch weniger als jetzt von Microsoft abhängig.