Der Butler hat's gerichtet

Der britische Premierminister Anthony Blair ist wie erwartet durch die von ihm einberufene Kommission von dem Vorwurf freigesprochen worden, seine Landsleute über die Gefahren des Irak bewusst getäuscht zu haben

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Der britische Premierminister Anthony Blair dürfte gestern "very amused" gewesen sein: Eine von ihm eigens eingesetzte Untersuchungskommission hat den 51-jährigen Labour-Politiker in einem Bericht erwartungsgemäß von dem Vorwurf entlastet, seine Landsleute mit vorsätzlichen Falschinformationen von der Notwendigkeit überzeugt zu haben, den Irak im März vergangenen Jahres anzugreifen und den dortigen Machthaber Saddam Hussein zu stürzen. Zu dieser Schlussfolgerung kam die Kommission unter der Leitung des Karrierebeamten Robin Butler. Zwar sei der Regierungschef mit seinen Warnungen vor der irakischen Gefahr "hart an die Grenzen der vorhandenen Informationen" gegangen, so Butler. Trotzdem habe Blair die Öffentlichkeit "nach bestem Wissen und Gewissen" informiert.

Sichtlich entspannt nach der Absolution, die allerdings viele nicht überzeugen dürfte

Inzwischen endgültig klar geworden sein dürfte, dass der Krieg gegen Irak auf Lügen und bewussten Fehlinterpretationen basierte, folgte heute in London der "Freispruch" für dessen Initiatoren. Schon Ende vergangener Woche hatte eine entsprechende Untersuchungskommission des US-Senats den dortigen Regierungschef George W. Bush bösen Willen abgesprochen (Mediale Entlastungsmanöver für die Bush-Regierung). Auch in den USA seien die Geheimdienste fahrlässig mit vorhandenen - besser: nicht vorhandenen - Informationen umgegangen (Wurde die Bush-Regierung ein Opfer der CIA?. Die so Entlasteten gehen politisch gestärkt aus der Krise hervor, die ihnen das Irak-Dilemma beschert hat. Bei einer Wahlkampfveranstaltung im US-Bundesstaat Pennsylvania hatte Bush den Senatsbericht am vergangenen Freitag als "nützliche Bilanz der Versäumnisse der CIA" begrüßt und sich selber als Opfer dargestellt. Dem gleichen Schema folgte am heutigen Mittwoch der britische Premierminister. Blair erklärte nach der Vorstellung der Untersuchungsergebnisse, er sehe es nicht als Fehler an, Saddam Hussein gestürzt zu haben.

No-one lied. No-one made up the intelligence. No-one inserted things into the dossier against the advice of the intelligence services. Everyone genuinely tried to do their best in good faith for the country in circumstances of acute difficulty. That issue of good faith should now be at an end.

Tony Blair in seiner gestrigen Rede vor dem Parlament

Die beiden "Freisprüche" sind verheerend, weil sie einen Vorgang von der politischen Agenda nehmen, der einer völkerrechtlichen Aufarbeitung dringend bedarf: Der Irak-Krieg war unbegründet und die Aggressoren bleiben von der Justiz unberührt. Dabei geht es am wenigsten um das Saddam-Regime, vor allem aber um den Umstand an sich. Immerhin wurden in den USA wie nun in Großbritannien den offensichtlichen Vorwürfen die Urteile politischer Institutionen gegenübergestellt, die mitnichten unabhängig sind. Es dürfte daher gar nicht zur Debatte stehen, dass - bei aller berechtigten Kritik an dieser Instanz - einen wirklichen Freispruch nur das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag fällen dürfte. Allein die Idee, dass sich die beiden Staatschefs Bush und Blair vor diesem Gremium verantworten müssten, ist aber fernab jeglicher weltpolitischer Realität.

Was bleibt, ist eine Botschaft, die vor allem in der arabischen Welt mit Bitternis aufgenommen werden dürfte. Zwei westliche Staaten haben ein arabisches Land jahrelang mit tödlichen Sanktionen belegt und bombardiert, um schließlich einzumarschieren und das Regime zu stürzen. Wer glaubt, dass dies zu einer dauerhaften Stabilisierung der Region beitragen wird, ist auf dem Holzweg. Stattdessen gießen die beiden "Urteile" von Washington und London Öl auf das Feuer der arabischen Terrororganisationen, die nun erst recht vor der Gefahr der "Ungläubigen" warnen werden und damit auf die Wut und die Ohnmachtgefühle in der Bevölkerung setzen können.

Dass Bush und Blair keine Schuld tragen, weil sie ihre Geheimdienste nicht vorsätzlich unter Druck gesetzt haben, ist ein Trugschluss. Die US-amerikanische CIA und der britische MI6 haben für jeden ersichtlich die mehr oder weniger stillen oder expliziten Vorgaben ihrer jeweiligen Regierungen erfüllt, die den Krieg planten und dafür die notwendige Legitimation bei den Geheimdiensten einholten.

We have also recorded our surprise that policy-makers and the intelligence community did not, as the generally negative results of UNMOVIC inspections became increasingly apparent, re-evaluate in early 2003 the quality of the intelligence.

Aus dem Butler-Bericht, der bis auf wenige Kritikpunkte, die wie hier den politischen Zweck der zumindest so weder von Regierung noch Geheimdiensten überprüften Informationsaufbereitung deutlich machen, eine 216 Seiten lange, teilweise äußerst bemühte Weißwaschung der Verantwortlichen ist

So enthielten die Irak-Berichte des britischen MI6 ein Jahr vor der Irak-Invasion keinerlei Hinweise auf Massenvernichtungswaffen in den Händen des Saddam-Regimes. Nach und nach erst wurden die entsprechenden Dokumente mit solchen Hinweisen "angereichert" - eine Entwicklung, die in dem britischen Geheimdienst-Dossier über Irak vom September 2002 gipfelte. Darin wurde erklärt, das irakische Regime verfüge über chemische Waffen, die binnen 45 Minuten gegen westliche Staaten einsatzbereit gemacht werden könnten (Beweise jenseits allen Zweifels ...). Offenbar wollten sich die Geheimdienste mit solchen "Informationen" das Ansehen bei den politischen Entscheidungsträgern sichern (Das Theater mit den Geheimdienstinformationen über irakische Massenvernichtungswaffen). Das hatte schon der Hutton-Bericht schöngefärbt (Hutton-Bericht zieht sich aus der Affäre), während die BBC an den Pranger gestellt wurde.

Wurde CIA-Chef George Tenet in den USA zum Bauernopfer, nahm die Geschichte heute in London einen anderen Verlauf. Der verantwortliche MI6-Leiter John Scarlett ist als kommender Chef aller britischen Geheimdienste im Gespräch. Irgendwie hat er seinen Job ja auch gut gemacht.