Der Drachenmensch aus dem Fluss
Seite 2: Forscherstreit und Nationalismus
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Es ist sehr viel in Bewegung im menschlichen Stammbaum. In den letzten Jahrzehnten kamen viele neue Äste dazu und es zeigte sich, dass lokale Weiterentwicklungen des Homo erectus wie der Neandertaler oder der immer noch sehr rätselhafte Denisova-Mensch mit dem Homo sapiens gemeinsame Nachkommen zeugten. Neben neuen Funden hat vor allem die Paläo-Genetik viele gängige Vorstellungen revidiert.
Allerdings hat gerade die zunehmende Möglichkeit der Analyse von Erbgut die out-of-Africa-Theorie bestätigt. Die DNS beweist es: Auch die heute lebender Chinesinnen und Chinesen stammen fast vollständig vom prähistorischen modernen Menschen aus Afrika ab.
Diese Erkenntnisse haben die Diskussion mit den chinesischen Forschern allerdings bislang nicht beendet. Viele westliche Experten und Expertinnen für Paläoanthropologie belächeln inzwischen die Hartnäckigkeit, mit der die China-Fraktion ihre höchst eigenen Abstammungstheorien verteidigt. Es wird dabei durchaus unterstellt, die chinesische Wissenschaft habe ein Nationalismus-Problem.
Chris Stringer ist einer der wenigen, die zumindest in Teilen seit Jahren die fernöstlichen Thesen unterstützt. Eine Debatte mit festgefahrenen Fronten, die immer wieder in den wichtigen Wissenschaftsjournalen auftaucht.
Eine längere Zusammenfassung dazu aus Nature: How China is rewriting the book on human origins.
Entsprechend fallen die ersten internationalen Reaktionen auf den aktuell präsentierten Drachenmenschen eher vorsichtig bis kritisch aus. Die Klassifizierung des Homo longi als neue menschliche Art wird in ersten Reaktionen von allen Fachkollegen abgelehnt.
Eine der Möglichkeiten, die von den chinesischen Forschern zwar erwähnt, aber nicht vertieft wird, ist dass es sich um einen Denisova-Menschen handeln könnte, der nachweislich einst im mittelasiatischen Altaigebirge und in Tibet lebte.
Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie ist nicht der einzige, der den Harbin-Schädel für den Kopf eines Denisovaners hält (Neue, längst bekannte Menschenform?).
Dieser Einschätzung schließen sich auch verschiedene amerikanische und englische Paläoanthropologinnen an - selbst Chris Stringer hält das auf Nachfrage des Deutschlandfunks für möglich:
Eine der offenen Fragen ist die Beziehung des Harbin-Schädels und der Gruppe ähnlicher Fossilien zu den Denisova-Menschen. Von den Denisovan-Menschen aus Ostasien kennen wir sehr gut die Genetik. Von der anderen Linie rund um Homo longi kennen wir jetzt die Schädelanatomie sehr gut. Ist das vielleicht ein und dieselbe Linie? Es wäre toll, das zu wissen. Aber natürlich können wir erst sicher sein, wenn wir einen vollständigen Schädel mit einem Denisova-Genom haben. Ich denke aber, dass es sich bei diesem Exemplar wahrscheinlich um den eines Denisova-Menschen handelt.
Wenn sich das bewahrheiten würde, bekäme der Denisova-Mensch im wahrsten Sinn des Wortes endlich ein Gesicht. Dazu wäre auf jeden Fall eine genetische Analyse nötig. Das chinesische Team hat bereits verkündet, diese Möglichkeit aktuell zu prüfen, es müsse aber sorgfältig abgewogen werden, da für die Untersuchung ein kleiner Teil des Schädels geopfert werden müsse.