Der Entzauberer des Liberalismus
Seite 2: Einer der wichtigsten Intellektuellen Italiens
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Einen ganz anderen Weg schlug Domenico Losurdo ein. Er hielt an der kommunistischen Orientierung fest, auch wenn er sich nicht wieder der KPI anschloss, da er deren Eurokommunismus sowie ihr Werben gegenüber den Christdemokraten um einen "historischen Kompromiss" ablehnte.
Die Entwicklung der Volksrepublik China verfolgte er auch nach der Propagierung einer sozialistischen Marktwirtschaft unter Deng Xiao Ping 1978 mit großer Sympathie. In zahlreichen Artikeln, Broschüren und Büchern sollte er auch in Zukunft stets den Weg des Landes verteidigen. Später bedauerte er, dass er zum besseren Verständnis des Landes nicht Chinesisch gelernt hatte.
Ab Anfang der Achtzigerjahre widmete er sich wieder verstärkt seiner wissenschaftlichen Arbeit und nun auch dem Publizieren. 1983, mit 42 Jahren und damit für einen Wissenschaftler sehr spät, veröffentlichte er sein erstes Buch.
Das Werk mit dem Titel Hegel, questione nazionale, Restaurazione. Presupposti e sviluppi di una battaglia politica erschien nur auf Italienisch. Aber bereits sein zweites Buch Tra Hegel e Bismarck. La rivoluzione del 1848 e la crisi della cultura tedesca wurde ins Deutsche übersetzt, wenn auch mit einer Verzögerung von zehn Jahren. Es erschien 1993 unter dem Titel Zwischen Hegel und Bismarck – die achtundvierziger Revolution und die Krise der deutschen Kultur im Berliner Akademie-Verlag.
Weitere Bücher über den großen deutschen Philosophen sollten folgen. Losurdo befasste sich aber auch mit Immanuel Kant, Johann Gottlieb Fichte und Martin Heidegger, vor allem aber mit Friedrich Nietzsche. Der Doppelband "Nietzsche - der aristokratische Rebell. Intellektuelle Biografie und kritische Bilanz" begründete seinen Ruf als weltweit führender Nietzsche-Forscher.
In Italien wurde er schnell zu einem der wichtigsten Intellektuellen des Landes. Seine Bücher veröffentlichte der landesweit bedeutende Verlag Editori Laterza & Figli, dort wo schon die Werke von Benedetto Croce erschienen waren.
Lediglich das Buch Stalin - Geschichte und Kritik einer schwarzen Legende lehnte Laterza 2008 ab. Es erschien deshalb im kleinen linken Verlag Carocci. Mit bisher fünf Auflagen wurde es aber dennoch das erfolgreichste Buch Losurdos in seinem Land, was zeigt, dass es großes Interesse an einer objektiven Darstellung Stalins in der Geschichte gibt, an einer Bewertung, die sowohl dessen Leistungen wie auch seine Verbrechen nicht verschweigt.
Nach dem Ende des europäischen Sozialismus 1989/91 konzentrierte sich Domenico Losurdo in seinen Büchern und Artikeln auf die Analyse der Niederlage sowie auf die Frage, welche Schlussfolgerungen eine sich erneuernde Linke aus ihr zu ziehen hat. Es ging ihm vor allem darum, sich und zugleich den vielen enttäuschten bzw. zweifelnden Linken Klarheit über den Gang der Geschichte und über die weitere Perspektive des Sozialismus zu verschaffen.
Die Freiheit als Privileg
Als sein wichtigstes politisches Buch bezeichnete Losurdo stets das 2005 auf Italienisch und 2010 auf Deutsch erschienene Werk Freiheit als Privileg - Eine Gegengeschichte des Liberalismus. Darin widerlegt er all jene Mythen, mit denen sich der Liberalismus von Beginn an umgibt, und die bis heute seinen hegemonialen Einfluss begründen.
Da sich nach der Niederlage von 1989/91 unzählige frühere Linke zu Liberalen wandelten, lieferte Losurdo hier quasi das Gegengift gegen diese sich rasant ausbreitende Weltanschauung und gegen eine Anpassung an die alte und neue Ideologie des Bürgertums.
Das Buch wurde in zwölf Sprachen übersetzt: Arabisch, Chinesisch, Deutsch, Englisch, Finnisch, Französisch, Niederländisch, Portugiesisch, Rumänisch, Spanisch, Schwedisch und Türkisch. Es wurde sein international erfolgreichstes Buch.
In den Jahren seines publizistischen Wirkens von 1983 bis 2021erschienen von ihm nicht weniger als 32 Bücher, seine Bibliografie weist zudem für diese Zeit 200 Essays und Artikel auf. Überdies hat er Beiträge für 31 Bücher anderer Autoren verfasst.
In Deutschland publizierte er in verschiedenen Verlagen. Anfang der neunziger Jahre waren es der Berliner Akademie-Verlag und Pahl-Rugenstein, später dann vor allem der Kölner Verlag PapyRossa, der bis heute die meisten seiner Werke in der Bundesrepublik Deutschland herausbrachte.
Losurdo veröffentlichte aber auch im VSA-Verlag (Der Marxismus des Antonio Gramsci) und im Argument-Verlag, in dem 2009 mit den beiden Bänden Nietzsche der aristokratische Rebell - Intellektuelle Biografie und kritische Bilanz eines seiner philosophischen Hauptwerke erschien. Später folgte in diesem Verlag das Buch Gewaltlosigkeit - eine Gegengeschichte.
Er schrieb Artikel für die Marxistischen Blätter und für die Zeitschrift marxistische Erneuerung- Z. und veröffentlichte in der Tageszeitung Junge Welt sowie in der Wochenzeitung Unsere Zeit. Von 1993 bis 2011 gab er zusammen mit dem Philosophen Hans Heinz Holz die Zeitschrift Topos - Internationale Beiträge zur dialektischen Theorie heraus, von der 36 Ausgaben erschienen.
Losurdos Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, vor allem ins Deutsche, Englische, Französische, Portugiesische und Spanische. Insbesondere die englischen Ausgaben sind von großer Bedeutung, fungiert doch Englisch als Relaissprache, d.h. aus ihr wird in andere Sprachen übersetzt.
Direkte Übertragungen aus dem Italienischen sind hingegen für viele Verlage nur schwer zu realisieren. Mit dem Buch Die Deutschen - Sonderweg eines unverbesserlichen Volkes? von 2010 gibt es aber auch ein Buch das nur auf Deutsch erschien.
Für die große, weltweite Verbreitung seiner Bücher lassen sich vor allem zwei Gründe nennen: Zum einen gibt es in vielen Ländern weiterhin ein großes Interesse an deutscher Philosophie, an Hegel, Kant, Fichte, Nietzsche und Heidegger. Losurdo hat vor allem mit seinen Arbeiten über Hegel und Nietzsche viel zu deren Verständnis beigetragen.
Zum anderen entsprach er mit seinen Büchern über Geschichte und Perspektive des Sozialismus dem weltweit großen Bedürfnis, nach dem Fall der Berliner Mauer Klarheit darüber zu erhalten, wie diese Niederlage möglich war, und welche Perspektive die am Sozialismus festhaltenden Länder haben. Losurdo beschränkte sich dabei nicht auf die Darstellung der Entwicklung in seinem Land Italien. Er hatte die ganze Welt im Blick.
Es gelang ihm so, den traditionell engen eurozentristischen Horizont europäischer Marxisten zu überwinden. Geschichte und Gegenwart des globalen Südens waren in seinem Denken und in seinen Arbeiten stets präsent. Und so kann es nicht verwundern, dass er in einem der Länder des Südens, in Brasilien, besonders intensiv studiert wird.
Nirgendwo sonst werden so viele Bücher von ihm verkauft. Regelmäßig konkurrieren hier gleich mehrere Verlage darum, seine Werke zu verlegen. Selbst die umfangreiche Nietzsche-Biografie wurde in Brasilien veröffentlicht. Immer wieder wurde er auch dorthin eingeladen, zu seinen Vorträgen kamen dann auch schon mal Tausende.
Sein außerordentlicher Erfolg in Brasilien basiert auf einer dort starken gewerkschaftlichen und politischen Linken, nicht zuletzt auf der großen Bedeutung der brasilianischen kommunistischen Partei, die nicht weniger als 420.000 Mitglieder zählt.