Der Entzauberer des Liberalismus

Domenico Losurdo (1941-2018). Bild: domenicolosurdo.blogspot.com

Wie Domenico Losurdo zu einem führenden europäischen Theoretiker des Marxismus wurde, dem Werdegang vieler Linker widerstand und weshalb er Freiheit als Privileg sah

Am 14. November 1941 wurde Domenico Losurdo in San Nicandro Garganico, einer kleinen Stadt in der italienischen Provinz Foggia, Region Apulien, geboren. Aufgewachsen ist er zusammen mit sechs Geschwistern, von denen später drei Lehrerinnen und drei Bankangestellte wurden.

Domenicos Vater Giovanni war Steuerbeamter und aus dem ersten Weltkrieg als Kriegsinvalide zurückgekehrt. Politisch blieb er Zeit seines Lebens Monarchist. Neben dem Gehalt des Vaters verfügte die Familie über Einkünfte aus verpachtetem Kleingrundbesitz.

Es war vorwiegend seine Mutter Laura, die Wert auf die Bildung ihrer sieben Kindern legte, die deshalb bereits früh zu Hause unterrichtet wurden. Domenico Losurdo sprach stets mit großer Hochachtung von seiner Mutter. Sie war eine tolerante und weltoffene Frau.

Ihr sozial- und bildungspolitisches Engagement entsprang dem aufgeklärten Glauben einer Katholikin, der vordergründig auf die Erziehung zu selbständigem Denken ausgerichtet war. Ihrer deutschen Schwiegertochter Erdmute Brielmayer, Losurdos Ehefrau, begegnete sie von Beginn an mit großer Sympathie.

Domenico und seine Geschwister wurden so von ihrer Mutter früh mit Büchern vertraut gemacht. Dies sollte sein Leben prägen. Er wurde ein großer Sammler von Büchern in den verschiedensten Sprachen. So wuchs seine Bibliothek zeitlebens. Am Ende waren es wohl mehr als zehntausend Bände, die das Haus der Losurdos füllten.

Das Gymnasium besuchte Domenico in Bari, der Hauptstadt der Region Apulien, etwa 135 Kilometer von der Stadt seiner Kindheit entfernt. Auch Luciano Canfora, der bekannte Historiker und Marxist, mit dem er später immer wieder zusammenarbeitete, besuchte zu jener Zeit diese Schule – eine Klassenstufe über ihm.

Dort erlernte Domenico sein exzellentes Französisch – damals war in den italienischen Schulen noch Französisch erste Fremdsprache, erst in den Achtzigerjahren trat Englisch an dessen Stelle. Später kam auch Deutsch hinzu, das er während seines Studiums in Tübingen erlernte und dann perfekt sprach.

Englisch kam im Selbststudium hinzu, sodass er seine Vorträge schließlich mühelos in vier Sprachen halten konnte. Wegen seiner außergewöhnlich schnellen Auffassungsgabe – er galt in der Schule als Wunderkind – übersprang er eine Klasse. Das Abitur legte er bereits mit 18 Jahren ab.

Zum Studium der Philosophie und Geschichte ging Domenico Losurdo an die Universität Urbino in der italienischen Region Marken. Bereits 1963, im Alter von 22 Jahren, beendete er es erfolgreich. Seine Dissertation schrieb er über den Hegel-Schüler Karl Rosenkranz.

Diese ging später in das Buch "Hegel und das deutsche Erbe" ein, das 1989 als eines seiner ersten auf Deutsch veröffentlichten Bücher erschien. Bis heute ist es ein Standardwerk über den deutschen Vormärz, jener Epoche, die der Revolution von 1848 vorausging.

Die Dissertation weckte sein Interesse an Hegel selbst. Nach seinen Worten wollte er nicht einsehen, weshalb er sich nur mit einem Schüler Hegels und nicht mit diesem selbst beschäftigen sollte. So wurde er zum Hegel-Forscher und zu einem der weltweit bekanntesten Hegelianer.

Nach Abschluss seiner Doktorarbeit unterrichtete Domenico Losurdo von 1966 bis 1967 als Studienrat am Gymnasium in Urbino. 1967 ging er zum weiteren Studium und zum Erlernen der deutschen Sprache nach Tübingen.

Der Deutsche Akademische Austauschdienst hatte ihm diesen Aufenthalt mit einem Stipendium ermöglicht. Nach seiner Rückkehr aus Deutschland wurde er 1969 Assistent im Fach Philosophie an der Universität Urbino. 1985 wurde er dort Ordinarius und blieb es bis zu seiner Emeritierung 2013. Eine Zeit lang war er Dekan der Universität.

"Den ganzen Nietzsche in- und auswendig"

In Tübingen lernte er Erdmute Brielmayer kennen, die dort Psychologie studierte und 1967 in diesem Fach diplomiert wurde. Geboren 1943 stammt sie aus Tegernsee in Bayern. Ihre Schwester Christa Harrer gehörte als Mitglied der SPD zwanzig Jahre dem Bayerischen Landtag an. Nach Abschluss ihres Studiums arbeitete Erdmute an einem Institut für Markt- und Meinungsforschung in Frankfurt am Main.

Nach ihrer Heirat mit Domenico und ihrem gemeinsamen Umzug nach Italien im Jahr 1969 wurde sie Dotoressa (Doktorin) der Pädagogik. Über mehrere Jahre erteilte sie in ihrer neuen Heimat Deutschunterricht. Sie selbst hatte Italienisch in nur einem Jahr erlernt. Erdmute Brielmayer übersetzte in den folgenden Jahrzehnten fast alle der zahlreichen Bücher Domenicos ins Deutsche.

Als seine Mitarbeiterin las sie seine Texte Korrektur, kümmerte sich um Zitate und besorgte notwendige Literatur. Durch diese Arbeit wurde sie selbst in vielen philosophischen und politischen Fragen zur Expertin – etwa während der fast zweijährigen Übersetzung des Doppelbandes "Nietzsche – der aristokratische Rebell". Am Ende kannte sie, so ihre Worte, "den ganzen Nietzsche in- und auswendig".

Gemeinsam war das Paar auch politisch aktiv. Sie war dabei seine wichtigste Beraterin und erledigte zugleich die Zuhause anfallenden täglichen Dinge, wodurch sie ihm den Rücken freihielt. Nur deshalb war es Domenico möglich, wissenschaftlich und publizistisch so produktiv sein.

1978 wurde ihr Sohn Federico geboren. Wie sein Vater studierte er an der Universität Urbino, allerdings nicht wie Domenico Geschichte und Philosophie, sondern Rechtswissenschaft. In Urbino erhielt er in diesem Fach eine Professur.

Von 1972 bis 1987 lebte die Familie in Pesaro, einer Hafenstadt an der Adria, zwischen Rimini und Ancona gelegen. Doch die Wohnung wurde allmählich zu klein für die Familie, vor allem aber für die vielen Bücher. 1987 zogen die Losurdos deshalb in ein geräumiges Haus in Colbordolo, ein kleiner Ort auf einem Hügel gelegen, von dem man einen weiten Blick bis zu den Höhen des Apennin hat. Von hier aus war auch der Weg zur Universität von Urbino kürzer. Vor allem aber bot das neue Haus endlich genügend Platz für die stetig wachsende Bibliothek.

Domenico Losurdo interessierte sich bereits sehr früh für Politik. Als Gymnasiast konnte er auf einer Veranstaltung der Kommunistischen Partei Italiens (KPI) deren legendären Parteiführer Palmiro Togliatti erleben, von dessen Art zu sprechen – jedes einzelne Wort genau überlegt und mit leiser Stimme vorgetragen – er sofort fasziniert war. 1960, mit neunzehn Jahren, wurde er Mitglied der KPI.

In der Studentenbewegung Ende der Sechzigerjahre durchlief er wie viele andere linke Intellektuelle eine Phase der Radikalisierung. Der KPI warf er nun vor, sich der neuen, revolutionären Unruhe nicht öffnen zu wollen. 1969, nach seiner Rückkehr aus Deutschland, verließ er deshalb die Partei.

Er schloss sich einer Organisation an, die den traditionellen Namen der italienischen Sektion der III. kommunistischen Internationale von 1919 – der Partito Comunista d’Italia (PCd’I) – führte. Für deren Zeitung Novo Unita schrieb er fortan wöchentlich Kommentare, Analysen und Berichte.

Bald kamen Artikel in der seit 1971 erscheinenden Tageszeitung Il Manifesto hinzu. Die PCd’I verfolgte einen an China orientierten Kurs. Auch Erdmute Brielmayer war in dieser Partei aktiv. In einer Delegation von Frauen der PCd’I bereiste sie auf Einladung der KP Chinas die Volksrepublik.

Wie in Deutschland, so verschwanden Ende der Siebzigerjahre auch in Italien diese neuen Parteien wieder schnell. Zwar konnten dort - anders als etwa in Deutschland - diese Gruppierungen anfangs eine gewisse Anhängerschaft auch unter Lohnabhängigen gewinnen, doch wurden sie auch hier bald wieder schwächer und waren aufgrund ihrer Erfolglosigkeit Zerrüttung und Spaltungen ausgesetzt.

Aufgrund der Enttäuschung über die ihnen nicht folgen wollenden Arbeiter entdeckten in der Bundesrepublik Deutschland ehemalige Maoisten die "neuen sozialen Bewegungen", und hier vor allem die Antiatomkraftbewegung für sich.

1980 waren sie maßgeblich an der Gründung der Partei Die Grünen beteiligt. In Frankreich wandelten sich maoistische Wortführer zu "neuen Philosophen", die sich in ihrem Antikommunismus bald von Niemandem übertreffen ließen.

Einer der wichtigsten Intellektuellen Italiens

Einen ganz anderen Weg schlug Domenico Losurdo ein. Er hielt an der kommunistischen Orientierung fest, auch wenn er sich nicht wieder der KPI anschloss, da er deren Eurokommunismus sowie ihr Werben gegenüber den Christdemokraten um einen "historischen Kompromiss" ablehnte.

Die Entwicklung der Volksrepublik China verfolgte er auch nach der Propagierung einer sozialistischen Marktwirtschaft unter Deng Xiao Ping 1978 mit großer Sympathie. In zahlreichen Artikeln, Broschüren und Büchern sollte er auch in Zukunft stets den Weg des Landes verteidigen. Später bedauerte er, dass er zum besseren Verständnis des Landes nicht Chinesisch gelernt hatte.

Ab Anfang der Achtzigerjahre widmete er sich wieder verstärkt seiner wissenschaftlichen Arbeit und nun auch dem Publizieren. 1983, mit 42 Jahren und damit für einen Wissenschaftler sehr spät, veröffentlichte er sein erstes Buch.

Das Werk mit dem Titel Hegel, questione nazionale, Restaurazione. Presupposti e sviluppi di una battaglia politica erschien nur auf Italienisch. Aber bereits sein zweites Buch Tra Hegel e Bismarck. La rivoluzione del 1848 e la crisi della cultura tedesca wurde ins Deutsche übersetzt, wenn auch mit einer Verzögerung von zehn Jahren. Es erschien 1993 unter dem Titel Zwischen Hegel und Bismarck – die achtundvierziger Revolution und die Krise der deutschen Kultur im Berliner Akademie-Verlag.

Weitere Bücher über den großen deutschen Philosophen sollten folgen. Losurdo befasste sich aber auch mit Immanuel Kant, Johann Gottlieb Fichte und Martin Heidegger, vor allem aber mit Friedrich Nietzsche. Der Doppelband "Nietzsche - der aristokratische Rebell. Intellektuelle Biografie und kritische Bilanz" begründete seinen Ruf als weltweit führender Nietzsche-Forscher.

In Italien wurde er schnell zu einem der wichtigsten Intellektuellen des Landes. Seine Bücher veröffentlichte der landesweit bedeutende Verlag Editori Laterza & Figli, dort wo schon die Werke von Benedetto Croce erschienen waren.

Lediglich das Buch Stalin - Geschichte und Kritik einer schwarzen Legende lehnte Laterza 2008 ab. Es erschien deshalb im kleinen linken Verlag Carocci. Mit bisher fünf Auflagen wurde es aber dennoch das erfolgreichste Buch Losurdos in seinem Land, was zeigt, dass es großes Interesse an einer objektiven Darstellung Stalins in der Geschichte gibt, an einer Bewertung, die sowohl dessen Leistungen wie auch seine Verbrechen nicht verschweigt.

Nach dem Ende des europäischen Sozialismus 1989/91 konzentrierte sich Domenico Losurdo in seinen Büchern und Artikeln auf die Analyse der Niederlage sowie auf die Frage, welche Schlussfolgerungen eine sich erneuernde Linke aus ihr zu ziehen hat. Es ging ihm vor allem darum, sich und zugleich den vielen enttäuschten bzw. zweifelnden Linken Klarheit über den Gang der Geschichte und über die weitere Perspektive des Sozialismus zu verschaffen.

Die Freiheit als Privileg

Als sein wichtigstes politisches Buch bezeichnete Losurdo stets das 2005 auf Italienisch und 2010 auf Deutsch erschienene Werk Freiheit als Privileg - Eine Gegengeschichte des Liberalismus. Darin widerlegt er all jene Mythen, mit denen sich der Liberalismus von Beginn an umgibt, und die bis heute seinen hegemonialen Einfluss begründen.

Da sich nach der Niederlage von 1989/91 unzählige frühere Linke zu Liberalen wandelten, lieferte Losurdo hier quasi das Gegengift gegen diese sich rasant ausbreitende Weltanschauung und gegen eine Anpassung an die alte und neue Ideologie des Bürgertums.

Das Buch wurde in zwölf Sprachen übersetzt: Arabisch, Chinesisch, Deutsch, Englisch, Finnisch, Französisch, Niederländisch, Portugiesisch, Rumänisch, Spanisch, Schwedisch und Türkisch. Es wurde sein international erfolgreichstes Buch.

In den Jahren seines publizistischen Wirkens von 1983 bis 2021erschienen von ihm nicht weniger als 32 Bücher, seine Bibliografie weist zudem für diese Zeit 200 Essays und Artikel auf. Überdies hat er Beiträge für 31 Bücher anderer Autoren verfasst.

In Deutschland publizierte er in verschiedenen Verlagen. Anfang der neunziger Jahre waren es der Berliner Akademie-Verlag und Pahl-Rugenstein, später dann vor allem der Kölner Verlag PapyRossa, der bis heute die meisten seiner Werke in der Bundesrepublik Deutschland herausbrachte.

Losurdo veröffentlichte aber auch im VSA-Verlag (Der Marxismus des Antonio Gramsci) und im Argument-Verlag, in dem 2009 mit den beiden Bänden Nietzsche der aristokratische Rebell - Intellektuelle Biografie und kritische Bilanz eines seiner philosophischen Hauptwerke erschien. Später folgte in diesem Verlag das Buch Gewaltlosigkeit - eine Gegengeschichte.

Er schrieb Artikel für die Marxistischen Blätter und für die Zeitschrift marxistische Erneuerung- Z. und veröffentlichte in der Tageszeitung Junge Welt sowie in der Wochenzeitung Unsere Zeit. Von 1993 bis 2011 gab er zusammen mit dem Philosophen Hans Heinz Holz die Zeitschrift Topos - Internationale Beiträge zur dialektischen Theorie heraus, von der 36 Ausgaben erschienen.

Losurdos Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, vor allem ins Deutsche, Englische, Französische, Portugiesische und Spanische. Insbesondere die englischen Ausgaben sind von großer Bedeutung, fungiert doch Englisch als Relaissprache, d.h. aus ihr wird in andere Sprachen übersetzt.

Direkte Übertragungen aus dem Italienischen sind hingegen für viele Verlage nur schwer zu realisieren. Mit dem Buch Die Deutschen - Sonderweg eines unverbesserlichen Volkes? von 2010 gibt es aber auch ein Buch das nur auf Deutsch erschien.

Für die große, weltweite Verbreitung seiner Bücher lassen sich vor allem zwei Gründe nennen: Zum einen gibt es in vielen Ländern weiterhin ein großes Interesse an deutscher Philosophie, an Hegel, Kant, Fichte, Nietzsche und Heidegger. Losurdo hat vor allem mit seinen Arbeiten über Hegel und Nietzsche viel zu deren Verständnis beigetragen.

Zum anderen entsprach er mit seinen Büchern über Geschichte und Perspektive des Sozialismus dem weltweit großen Bedürfnis, nach dem Fall der Berliner Mauer Klarheit darüber zu erhalten, wie diese Niederlage möglich war, und welche Perspektive die am Sozialismus festhaltenden Länder haben. Losurdo beschränkte sich dabei nicht auf die Darstellung der Entwicklung in seinem Land Italien. Er hatte die ganze Welt im Blick.

Es gelang ihm so, den traditionell engen eurozentristischen Horizont europäischer Marxisten zu überwinden. Geschichte und Gegenwart des globalen Südens waren in seinem Denken und in seinen Arbeiten stets präsent. Und so kann es nicht verwundern, dass er in einem der Länder des Südens, in Brasilien, besonders intensiv studiert wird.

Nirgendwo sonst werden so viele Bücher von ihm verkauft. Regelmäßig konkurrieren hier gleich mehrere Verlage darum, seine Werke zu verlegen. Selbst die umfangreiche Nietzsche-Biografie wurde in Brasilien veröffentlicht. Immer wieder wurde er auch dorthin eingeladen, zu seinen Vorträgen kamen dann auch schon mal Tausende.

Sein außerordentlicher Erfolg in Brasilien basiert auf einer dort starken gewerkschaftlichen und politischen Linken, nicht zuletzt auf der großen Bedeutung der brasilianischen kommunistischen Partei, die nicht weniger als 420.000 Mitglieder zählt.

Auf der Seite der Massenbewegung

Domenico Losurdo verstand sich Zeit seines Lebens als Kommunist, wobei der italienische Kommunismus - anders als in der Bundesrepublik Deutschland - über Jahrzehnte eine Massenbewegung war. Es bekannten sich Millionen zur KPI, die Partei regierte in zahlreichen Städten und Regionen, man sprach vom "kommunistischen Volk".

Er hat mehrfach die Partei gewechselt, zunächst war er Mitglied der KPI, dann der PCd’I. 1991 schloss er sich der aus dem Zerfallsprozess der KPI hervorgegangenen Partito della Rifondazione Comunista (PRC), der Partei der Kommunistischen Wiedergründung, an.

Er erhoffte sich von dieser eine Renaissance des italienischen Kommunismus. Die Partei bot ihm sogar einen sicheren Platz auf ihrer Liste zu den Wahlen zur Abgeordnetenkammer, dem italienischen Parlament, an.

Nach einigem Zögern lehnte er jedoch ab, er blieb lieber Wissenschaftler und Publizist, eine Entscheidung, die er nicht bereuen sollte. Mit der Wende der PRC hin zu einer "Bewegung der Bewegungen" unter ihrem Vorsitzenden Fausto Bertinotti, nach der sich kommunistische Parteien nur noch als Organisator von Bewegungen verstehen sollen und daher ihren eigenständigen Charakter als Partei aufzugeben haben, war Losurdo ganz und gar nicht einverstanden. Zusammen mit einer starken innerparteilichen Opposition gegen diesen Kurs, die sich später als Partito dei Comunisti Italiani, PdCI, Partei der Italienischen Kommunisten, außerhalb der PRC konstituierte, verließ er die Partei.

Als die PdCI 2016 den traditionellen Namen der untergegangenen Kommunistischen Partei Italiens und deren Symbolik übernahm sowie sich zu deren historischen Parteiführern Antonio Gramsci, Palmiro Togliatti und Enrico Berlinguer bekannte, trat er dieser Partei bei.

Doch weder die wiedergegründete PCI, noch die weiter existierende PRC waren bei Wahlen erfolgreich. Im März 2018 verfehlte das Bündnis beider Parteien den Einzug in die Abgeordnetenkammer und im Juni 2019 in das Europäische Parlament. Auch auf kommunaler Ebene sind die beiden kommunistischen Parteien heute nur noch schwach vertreten.

Losurdo hatte in seinen letzten Lebensjahren keine Illusionen mehr über die Möglichkeit eines raschen Wiederaufstiegs der sozialistischen Bewegung – weder in Italien noch im übrigen Westeuropa. Er richtete seinen Blick vielmehr auf hoffnungsvolle Entwicklungen in Südamerika und vor allem in China. Von den von dort ausgehenden Impulsen erwartete er eine weltweite Wiederbelebung sozialistischer Ideen.

Seit 1988 war Domenico Losurdo Präsident der "Internationalen Gesellschaft Hegel-Marx für dialektisches Denken" und Mitglied des Wissenschaftlichen Ausschusses des italienischen Instituts für Philosophische Studien. Und er war Präsident der "Marx-Vereinigung des 21. Jahrhunderts" in Italien.

Am 28. Juni 2018 starb der weltweit bedeutende marxistische Historiker und Philosoph. 6