Der Fall Safia S.: Fehleinschätzungen gegenüber dem extremistischen Islam

Unkenntlich gemachtes Polizeibild

Die jugendliche Attentäterin, die einen Polizisten mit dem Messer attackiert hatte, wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. Es zeigt sich, dass man in Deutschland schlecht auf solche Fälle vorbereitet ist

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Fehleinschätzungen sind auffällig mit dabei, wenn es um IS-Anschläge in Deutschland geht, so zum Beispiel im Fall des Attentäters des Berliner Anschlags, Anis Amri, wie auch bei Safia S.. Das Mädchen stach am 26. Februar im Hauptbahnhof Hannover bei einer Personenkontrolle einem Bundespolizisten ein Messer in den Hals und verletzte ihn lebensgefährlich.

Noch drei Tage nach der Tat geht die Polizei davon aus, dass eine islamistisch motivierte Tat "nach bisheriger Kenntnis ausscheide". In dieser Zeit müsste die Polizei längst Kenntnis davon erlangt haben, wie tief die Fünfzehnjährige von einem religiösen Radikalismus erfasst war.

Auffällige islamistische Ansichten

Safia S. fiel in der Schule mit ihren "islamistischen Ansichten" auf, wie die Zeit berichtet. Der Schulleiter habe Polizei und Staatsschutz darüber informiert. "Noch am Vormittag vor der Tat wurden Polizisten nach Hinweisen aus der Schule an Safias Gymnasium vorstellig", heißt es in dem Zeitungsbericht.

Es sieht ganz danach aus, dass die Ermittler Schwierigkeiten hatten, die Vorgeschichte von Safia S. mit der Tat zu verbinden. Zur Vorgeschichte ihrer Verwicklung in salafistische Strömungen und Kreise gehört, dass sie schon als Grundschülerin in einem Video von Pierre Vogel als Koran-Vorleserin im Hijab zu sehen ist ("cooles Outfit"(!), Pierre Vogel).

Gestern wurde die mittlerweile 16-Jährige vom Oberlandesgericht Celle zu sechs Jahren Jugendhaft verurteilt. Das Urteil zog einige Aufmerksamkeit auf sich, weil Safia S. Verbindungen zum IS gehabt haben soll, wie Auswertungen ihres Smartphones ergaben. Ihr Verteidiger hält die Nachweise für nicht überzeugend genug und das Strafmaß für überzogen. Er will in Revision gehen.

Verbindungen zum IS

Selbst wenn man in Zweifel zieht, ob der Kontakt mit dem IS verlässlich nachgewiesen ist - das Gericht gelangte aber eindeutig zu dieser Auffassung -, geht aus den Chats, die auf dem Smartphone gefunden wurden, gleich an mehreren Stellen hervor, dass das Mädchen deutliche Sympathie für den IS bekundete. Sie freute sich über die Attentäter in Frankreich ("Allah segne unsere Löwen, die gestern in Paris im Einsatz waren"). Darüberhinaus sollen Belege dafür gefunden worden sein, "dass sie mit ihrer Tat den IS habe unterstützen wollen".

Sicher ist auch, dass sie vor ihrer Messerattacke, Ende Januar, in die Türkei gereist ist. Nach Aussage ihrer Mutter mit dem Ziel, sich dem IS anzuschließen. Die Mutter, die als strenggläubig geschildert wird und auch ihre Tochter in diesem Geist erzogen hat, warnt die Polizei. Zuvor hatte schon die Großmutter Alarm bei der Polizei geschlagen. Ihre Enkelin Safia würde sich radikalisieren.

Bekannt wird zudem, dass sie in einem Chat einen Bekannten wissen ließ, das ihr "hohe Angestellte des IS" die Rückkehr nach Deutschland befohlen hätten, um den "Ungläubigen eine Überraschung" zu bereiten. Dies alles gehört zur Vorgeschichte des Angriffs des fanatisierten jungen Mädchens auf den Bundespolizisten, der durch eine Notoperation gerettet wurde.

Regelmäßige Treffen in der Salafistenmoschee "Deutschsprachiger Islamkreis"

Dazu kommt noch, dass sich Safia in einem Kreis bewegt hat, der laut FAZ als "Hannoversche Terrorzelle" bezeichnet wird. Dazu gehören ihr Bruder, ein Mitwisser der Tat Safias und ein Asylbewerber, der 2011 aus Afghanistan nach Deutschland kam. Sie sollen sich regelmäßig in der Salafistenmoschee "Deutschsprachiger Islamkreis" (DIK) in Hannover getroffen haben.

An all dem ist abzulesen, dass es bei Safia S., wie im Fall des Berliner Attentäters Amri, Signale in Hülle und Fülle gab, die auf eine alarmierende Radikalisierung hinweisen, dass die Ermittlungsbehörden aber anscheinend ihr Radarsystem auf diese Bedrohung noch nicht richtig eingestellt hatten. Der Informationsfluss war auch in diesem Fall "äußerst träge", kommentiert die FAZ.

Phlegma allerorten

Das Phlegma der behördlichen Arbeit und einer Politik des Gewährenlassens, sprich bloßen Beobachtens dubioser Treffpunkte, wird ergänzt durch eine Zurückhaltung - oder soll man es Abschottung nennen - der muslimischen Verbände in der Diskussion über die radikalen Strömungen .

Zwar äußert sich Aiman Mazyek sehr eindeutig zur Sache Safia S. Er verurteilt die Tat, findet das abschreckende Urteil richtig - "Diese harte Strafe ist durchaus angebracht" - und er sieht auch die Notwendigkeit für Islamverbände und Moscheengemeinden hier präventiv zu arbeiten, was auch schon gemacht werde.

Seine Äußerungen sind von einer gewissen defensiven Haltung geprägt. Er wehrt sich verständlicherweise gegen Pauschalurteile gegen Moscheengemeinden und Gleichsetzungen, die damit einhergehen. Die Frage ist allerdings, ob das reicht. Es gibt bis dato keine sichere Präventionsmethode, wie es auch, zu sehen in Frankreich, keine sicheren Deradikalisierungsprogramme für Dschihadisten gibt.

Aber wie es zum Beispiel die Publikumserfolge der Rechten zeigen, gibt es durchaus eine Öffentlichkeitsarbeit, die Wirkung zeigt. Es sieht so aus, als ob die Dachverbände, die einen Glauben vertreten wollen, der Hand in Hand mit demokratischen Werten geht, sich hier noch in alte Behaglichkeiten und Abschottungen einigeln. Soziale Netzwerke, öffentliche Diskussionen im Netz, Debatten, die in der Aufmerksamkeit stehen, sind anscheinend Terrain, das man scheut.

Um der extremistischen Erzählung aus Memen, Bildern, Reden, Versprechen usw. zu kontern, genügt diese Haltung nicht. Der islamische Diskurs, der sich gegen Vorurteile, er sei anti-demokratisch, auf eine Parallelwelt aus, altvordern usf. wehren will, muss sich aussetzen. Er muss für seine Werte - "Wir sind eine friedliche Religion" - streiten.