Der Fall der Öko-Maut

Mit der Einführung der Lkw-Maut versprach sich die rot-grüne Bundesregierung auch eine ökologische Lenkungsfunktion. Durch erzwungene Einsparungen wegen fehlender Mauteinnahmen ist das Projekt gefährdet

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Als ein gewichtiger Punkt auf der Öko-Agenda der Koalition sollte mit der Lkw-Maut nicht nur eine zusätzliche Finanzquelle angebohrt, sondern auch der Verkehr auf den Autobahnen reduziert werden. Aus diesem Grund ist die Verwendung des größten Teils der noch nicht geflossenen Einnahmen gesetzlich festgeschrieben. Unter anderem sollen damit in Zukunft Anti-Stau-Programme finanziert werden, um den Schadstoffausstoß durch die Verbesserung des Verkehrsflusses zu minimieren. Parallel dazu erhoffte sich die Deutsche Bahn zusätzliche Investitionszuschüsse, um einen größeren Teil des Güterkraftverkehrs von der Straße auf die Schiene zu bekommen. Diese Verlagerung wird zwar schon seit Jahren versucht, funktioniert hat es allerdings nie, und mit dem Maut-Desaster ist dies auch nicht wahrscheinlicher geworden. Anstatt mehr, bekommt die Bahn nämlich immer weniger Geld, und an dieser Entwicklung scheint sich in nächster Zeit auch nichts zu ändern.

Die größte Herausforderung der Verkehrspolitik liegt in der Bewältigung der Zunahme des Lkw-Verkehrs. Bis zum Jahr 2015 - zum gleichen Zeitpunkt wird auch der Betreibervertrag mit Toll Collect auslaufen - prognostizieren Verkehrsexperten eine Zunahme des Straßengüterverkehrs um ca. 65 %, der Transitgüterverkehr soll sich mehr als verdoppeln. Der politische Verteilungsschlüssel der Mauteinnahmen beruht daher auf der Hoffnung, durch eine intensivere Vernetzung die jeweiligen Stärken von Straße, Schiene und Wasser besser nutzen zu können.

Offensichtlich mit genau diesem Ziel hat sich die Bahn AG fast unmerklich zum Großspediteur gemausert, indem sie sich die Stinnes-Logistikgruppe einverleibte. Die Bundesvereinigung Logistik e.V. beklagte diese Ausdehnung der Geschäftsfelder der Bahn. Weil auch die Deutsche Post AG sich mit der Übernahme der Firma Danzas ein Stück vom expansiven Logistikkuchen abschnitt, wird dies als massive Wettbewerbsverzerrung durch ehemalige Staatsmonopolisten gewertet. Bei der Bahn besteht zudem noch eine weitere Gefahr: Die beiden Geschäftsfelder könnten sich gegenseitig Konkurrenz machen. Spürbare Erhöhungen der Gütertransporte auf der Schiene, als positiver Effekt der Vernetzung mit der eigenen Lkw-Sparte, sind bisher jedenfalls ausgeblieben.

Wie viel kann tatsächlich auf die Schiene verlagert werden?

Das Hauptproblem für die Rad-Schiene-Technik, um sich in der europäischen Zukunft gegen die Konkurrenz der Straße behaupten zu können, liegt gerade nicht wie oft vermutet in der Kostenfrage. Der Faktor Geschwindigkeit ist der Makel des Schienenverkehrs. Während nämlich die Kontrollen für den grenzüberschreitenden Warenverkehr auf der Straße längst abgeschafft wurden, müssen sich Transporte auf der Schiene mit inkompatiblen Bahnsystemen im Grenzgebiet der Nationalstaaten herumschlagen. Im Zeitalter der minutengenauen Anlieferung von Produkten und einem effizienten Supply-Chain-Management keine gute Ausgangsposition für die Bahn im europäischen Wettbewerb.

Paradoxerweise hilft gerade die deutsche LKW-Maut den Vorsprung der Straße gegenüber der Bahn zu verringern, denn der Flickenteppich der Mautsysteme in Europa wird erst einmal größer werden. Doch diese Probleme sind als Hemmnisse des europäischen Binnenmarktes längst wahrgenommen worden. Deshalb ist der Wettlauf der Vereinheitlichung der beiden Verkehrstechniken schon vorprogrammiert.

Die Frage ist also die nach einer europaweiten Standardisierung: Welche Lösung, die zur Erfassung und Abrechnung von Mautstrecken oder die der Rad-Schiene-Technik, wird als erstes durch ein einheitliches System abgelöst. Der Sieger dieses Wettlaufes wird einen nicht unerheblichen Vorteil im Duell "Straße gegen Schiene" haben. Aus der Perspektive der Bahn besteht natürlich die Gefahr, dass die Ungleichbehandlung noch zunimmt. Dadurch würde auch der ökologische Aspekt geschwächt werden.

Verkehrsverdrängung statt Verkehrsverhinderung

Ob die Lkw-Maut auch als ein ökologisches Instrument wirken kann, hängt also vor allem vom politischen Willen der Verantwortlichen ab. Wenn der Fall eintreten sollte, dass die Maut-Gebühren stetig erhöht werden ohne dass eine Alternative auf Grundlage der Rad-Schiene-Technik verwirklicht wird, werden auch die Speditionen die Lkw-Maut zunehmend als Kostenfaktor zu vermeiden suchen. Die einfachste Strategie dazu: Die Autobahn verlassen und wo immer möglich auf der Landstraße fahren. Der dadurch entstehende "Verdrängungseffekt" fließt schon im Vorfeld einer Planungsmaßnahme als Faktor in die Mautberechnung mit ein, um die verbleibenden Einnahmen abschätzen zu können. Die Höhe der Maut ist dadurch auch an die Verkehrsverdrängung gekoppelt und umgekehrt.

Aber auch Lebensqualität ist ein ökologischer Faktor. Eigentlich müssten deshalb die Folgen der Verkehrsverdrängung für die direkt Betroffenen und ihre Infrastruktur mitberücksichtigt werden. Beispiele aus Maut-Ländern wie Frankreich, Österreich und Italien belegen, wie gravierend diese Folgen sein können, aber auch wie wenig bisher darauf geachtet wurde. Aufgrund des erhöhten Verkehrsaufkommens kommt es nicht nur zu Schäden an Landstraßen und Erosionen der Bausubstanz innerhalb von bewohntem Gebiet. Durch die Zunahme von Unfällen, Verkehrstoten und Luftverschmutzung sinkt die Lebensqualität so rapide, dass es sogar zu Bevölkerungsverdrängungen kommt. Bei einem lokalen Autobahnmautprojekt im Ruhrgebiet im Jahre 2003 ging das Bundesverkehrsministerium von einer Verdrängungsrate von ca. 40 % aus. Je nach Planzahlen kann diese Mehrbelastung an Verkehr mehrere zehntausend Fahrzeuge pro Tag ausmachen.

Sollte es in Deutschland zu unerwünschten Verdrängungseffekten kommen, ist die Ausweitung der Lkw-Maut auf Bundesstraßen geplant. Dies ist nach EU-Recht erlaubt, aber nur aus Sicherheitsgründen. Der Bund und die Länder beraten sich ständig über die Folgewirkungen der Lkw-Maut, so das Bundesverkehrsministerium. Grundsätzlich schätzt man dort die Gefahr einer Verlagerung auf das nachgeordnete Straßennetz allerdings als gering ein.

Doch es gibt auch andere Gegenstrategien. Als gute Präventionsmaßnahme wird eine geringe Mauthöhe angesehen, weil bei geringen Kosten ein Umfahren der Mautstrecke nicht mehr lohnenswert erscheint. Leider aber ist das Betriebssystem von Toll Collect das Teuerste in Europa. Auch verkehrsberuhigende Eingriffe in den Straßenverkehr sind ein Mittel, um das Ausweichen auf Nebenstrecken so unattraktiv wie möglich zu machen. Eine mögliche Ausarbeitung und Koordination dieser unterschiedlichen Maßnahmen dürfte angesichts des riesigen deutschen Autobahnnetzes (12.000 km) durchaus mit der Komplexität des Maut-Systems von Toll Collect vergleichbar sein.