Der Internationale Gerichtshof fügt sich den Drohungen aus Washington
Es wird keine Anklage gegen Kriegsverbrechen in Afghanistan gegen US-Soldaten und CIA-Mitarbeiter erhoben, weil es "der Justiz nicht dient"
Massiv hatte Sicherheitsberater John Bolton bereits im letzten Jahr dem Internationalen Gerichtshof (ICC) gedroht, sollte er gegen US-Geheimdienstmitarbeiter und -Soldaten wegen Kriegsverbrechen in Afghanistan ermitteln. Die Staatsanwältin am Internationalen Strafgerichtshof, Fatou Bensouda, hatte im November 2017 den Antrag gestellt, eine Ermittlung wegen angeblicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzuleiten, die in Afghanistan seit 1. Mai 2003 begangen wurden. Beschuldigt werden die Taliban, die afghanischen Sicherheitskräfte, aber auch die CIA wegen Folter und Verschleppungen in Geheimgefängnissen. Bolton drohte: "Die USA werden alle notwendigen Mittel einsetzen, um unsere Bürger und diejenigen unserer Alliierten vor ungerechter Verfolgung durch dieses illegitime Gericht zu schützen."
Man werde "mit allen Mitteln" gegen den ICC vorgehen, warnte Bolton. Man werde, sollte der ICC die Ermittlungen aufnehmen, Richter und Staatsanwälte die Einreise in die USA verbieten, ihre in den USA befindlichen Vermögen sanktionieren und sie mit dem amerikanischen Gerichtssystem verfolgen. Zudem könnten die USA bilaterale Abkommen abschließen, um anderen Staaten zu verbieten, Amerikaner an den Gerichtshof auszuliefern (Sicherheitsberater Bolton droht dem Internationalen Strafgerichtshof).
Die USA haben seit dem Amtsantritt von George W. Bush und seiner Neocon-Regierung, der auch Bolton u.a. als Botschafter an der UN angehörte, die Einrichtung des ICC bekämpft und entsprechenden Druck auf Länder ausgeübt. Es wurde auch ein Gesetz, der als The Hague Invasion Act bezeichnet wurde, verabschiedet, das den Einsatz von militärischer Gewalt ermöglicht, wenn US-Bürger oder Bürger von alliierten Staaten vor dem ICC angeklagt oder gar verurteilt werden, um sie zu befreien.
Im März mischte sich auch US-Außenminister Pompeo ein. Der ICC greife "die Herrschaft des Gesetzes in den USA an", sagte er, während er sich hinter den Krieg Saudi-Arabiens gegen den Jemen gestellt hatte. Man werde für jeden Ausländer Visumbeschränkungen einführen, dessen Einreise in die USA oder dessen beabsichtigten Aktivitäten potentiell ernsthafte negative Folgen für die US-Außenpolitik haben können. Gemeint sind damit alle Personen, "die direkt für jede ICC-Untersuchung gegen US-Bürger verantwortlich sind". Dazu gehören auch diejenigen, die eine solche Untersuchung fordern, also auch die Opfer, die demgemäß besser ihren Mund halten sollen. Er kündigte auch weitere Maßnahmen an.
Weißes Haus: "Großer internationaler Erfolg"
Jetzt hat der ICC beschlossen, die Kriegsverbrechen in Afghanistan nicht zu verfolgen und damit den Antrag der Generalstaatsanwältin Bensouda abgelehnt. Das würden den "Interessen der Justiz nicht dienen", ist die interessante Begründung. Bensouda hatte aufgrund eines Ermittlungsberichts festgestellt, dass US-Soldaten und CIA-Mitarbeiter Folter, Vergewaltigung, sexuelle Gewalt und Verletzungen der persönlichen Würde von Gefangenen 2003 und 2004 u.a. mit den "verschärften Verhörtechniken" begangen haben. Das wurde auch in einem Bericht des US-Senats bestätigt (Bericht über die CIA-Geheim- und Foltergefängnisse, Folter und die Herrschaft des Rechts).
Die ICC-Richter begründeten ihren Beschluss letztlich damit, dass eine Anklage, obgleich der vorliegende Bericht eine solche rechtfertigen würde, keinen Sinn mache. Die Vorfälle würden schon zu lange zurückliegen, die Situation in Afghanistan habe sich verändert, die Generalstaatsanwältin habe kaum Kooperation erfahren, was noch schlimmer würde, wenn eine Anklage erhoben würde. Der ICC müsse seine Ressourcen einteilen und sich auf Fälle konzentrieren mit größeren Erfolgsaussichten. Das ist eigentlich eine Bankrotterklärung für den ICC, auch wenn es realistisch ist, dass eine Klage gegen US-Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter keine Folgen haben und nur entsprechende Reaktionen der USA bewirken würde, die zeigen, dass Macht vor Recht kommt.
Bolton feierte den Rückzug des ICC aufgrund eines Beschlusses von drei Richtern als seinen "zweitglücklichsten Tag". Der glücklichste Tag sei gewesen, als die US-Regierung unter George W. Bush die von Bill Clinton vorgenommene Unterschrift des Rom-Statuts zurückgezogen hat. Bolton scheut sich nicht, über die Maßen zu übertreiben: "Wir haben das härteste Training und die härteste Ausbildung unserer Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter aller Staaten weltweit für die Kriegsgesetze. Wir sind eine demokratische Gesellschaft. … Wir ziehen unsere Bürger für ihre Handlungen zur Rechenschaft. Kein internationaler Gerichtshof kann unter diesen Umständen verfassungsmäßig legitim sein." Gina Haspel, die CIA-Direktorin, war beteiligt am CIA-Verschleppungsprogramm und war für ein Geheimgefängnis zuständig, in dem mit den verschärften Verhörtechniken gefoltert wurde.
Zynisch auch die Mitteilung des Weißen Hauses. Dort heißt es, es sei "ein großer internationaler Sieg nicht nur für die Patrioten, sondern für die Herrschaft des Gesetzes". Die Patrioten waren Folterer, die Herrschaft des Gesetzes bestand aus einer Aufweichung der Menschenrechte durch staatliche bestellte Winkeladvokaten.
Das Weiße Haus begrüßt natürlich die Entscheidung, zumal die amerikanischen Bürger "den höchsten rechtlichen und ethischen Maßstäben" unterworfen seien. Deswegen werden dort auch Kriegsverbrechen, Entführer und Folterer kaum verfolgt, wenn überhaupt, wie etwa im Fall Abu Ghraib, nur auf der untersten Ebene. Der ICC bedrohe die nationale Souveränität der USA, also deren Position außerhalb des Rechts, und es wird weiter gewarnt: "Jeder Versuch, amerikanische, israelische oder alliierte Regierungsmitarbeiter strafrechtlich zu verfolgen, wird mit einer schnellen und starken Reaktion begegnet."
Das sagt die Regierung, die behauptet, für Demokratie und Freiheit zu stehen, die autoritäre Regime wie Saudi-Arabien und deren Kriege unterstützt, die die völkerrechtswidrige Annektion der Golanhöhen billigt, weiterhin das Guantanamo-Lager betreibt, einen Regime Change im Iran oder Venezuela anstrebt, Folterknechte und Entführer deckt, Morde durch Drohnenangriffe durchführt etc.
Der ICC steht allerdings nicht nur unter der Kritik von Washington, er hat auch einseitig Ermittlungen und Prozesse durchgeführt, vor allem gegen Machthaber afrikanischer Staaten. Das hat zu dem Vorwurf geführt, dass hier eine neokolonialistische Herrschaftspraxis weitergeführt wird:
- Der Internationale Strafgerichtshof und der Schein der Gerechtigkeit
- "Es werden zweierlei Maßstäbe angelegt, wenn es um die Mächtigen geht"
- Der Internationale Strafgerichtshof zerfällt und düpiert die Arroganz des Westens.
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