Der Internationale Strafgerichtshof zerfällt und düpiert die Arroganz des Westens
Kurz nacheinander sind drei afrikanischen Staaten ausgetreten, da sie den ICC als neokoloniale Instanz zur Verfolgung und Demütigung der Schwarzen sehen
Der Internationale Strafgerichtshof (ICC), mit dem die Verantwortlichen für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen oder "Verbrechen der Aggression" bestraft werden sollten, war ein Produkt der Zeit nach dem Ende des Kalten Kriegs und eröffnete die Aussicht einer globalen Innenpolitik unter einer starken Führung der Vereinten Nationen als einer Art Weltregierung (Die Stunde des Internationalen Strafgerichtshofes?). 1998 wurde er durch das Römische Statut geschaffen, trat 2002 in Kraft und nahm 2003 seine Tätigkeit an seinem Sitz in Den Haag auf, nachdem die erforderlichen 60 Mitglieder gefunden wurden (Startschuss für den Internationalen Strafgerichtshof).
Von großen Hoffnungen begleitet (Der Internationale Strafgerichtshof nimmt seine Arbeit auf), hat er allerdings von Anfang an auf wackeligen Beinen gestanden, da viele Staaten wie die USA, Russland, China, Afghanistan, Israel oder Iran ihm nicht beigetreten sind. Am schärfsten war die Reaktion aus den USA, wo man zwar weltweit für die Durchsetzung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten eintritt, aber berechtigte Sorge hatte, wegen der zahlreichen militärischen Interventionen und der Art der Kriegsführung angeklagt zu werden. Das ist zwar unwahrscheinlich, weil nur Fälle von dem Gericht bearbeitet werden, wenn ein Land Anklagen wegen Völkerrechtsvergehen nicht verfolgt oder nicht verfolgen kann. Der ICC kann sich auch dann nicht einschalten, wenn der betreffende Staat den Fall untersucht, aber beschlossen hat, ihn nicht zu verfolgen.
US-Präsident Clinton hatte das Rom-Statut zwar noch 2000 unterschrieben, Präsident George W. Bush ratifizierte es aber nicht und stimmte zusammen mit wenigen Staaten, u.a. mit dem "Schurkenstaat" Irak, gegen das Statut (US-Regierung zieht Unterschrift unter das Statut von Rom zurück). Zudem versuchte die US-Regierung Länder unter Druck zu setzen, den Internationalen Strafgerichtshof nicht anzuerkennen (US-Regierung droht der EU wegen des Internationalen Strafgerichtshofs, Konflikt um den Internationalen Strafgerichtshof)). Im US-Senat wurde sogar noch 2001 ein Gesetz, der American Servicemembers' Protection Act, mit großer Mehrheit gebilligt, der aber im Repräsentantenhaus nicht vorankam und daher klammheimlich in der Schublade verschwand. Gleichwohl zeigte er den Geist der Bush-Regierung, die die USA als die globale Supermacht betrachtete (Das Neue Rom) und sich über das Völkerrecht ebenso wie über die Vereinten Nationen selbstherrlich hinwegsetzte.
Nach dem Gesetz hätte der US-Präsident denn das Recht gehabt, US-Regierungsangestellte und Verbündete auch mit militärischer Gewalt zu befreien, wenn sie vor den ICC gebracht werden sollen (US-Bürger und Alliierte sollen auch mit Gewalt vor dem Zugriff des Internationalen Gerichtshofs geschützt werden): "The President is authorized to use all means necessary and appropriate to bring about the release from captivity of any person described in subsection (b) who is being detained or imprisoned against that person's will by or on behalf of the International Criminal Court."
Das Problem des ICC war seine offenkundige Einseitigkeit. Bislang wurden Ermittlungen außer in Georgien nur in afrikanischen Staaten durchgeführt, Vorermittlungen gab es auch in anderen Staaten. Zuletzt wurde Ahmad al-Faqi al-Mahdi von der Islamistengruppe Ansar Dine in Mali verurteilt, was Aufsehen erregte. Ihm wurden keine Verbrechen gegen Menschen vorgeworfen, sondern die Zerstörung von neun Mausoleen und eines Teils der Sidi-Yahia-Moschee Timbuktu (Ist die Zerstörung alter Kulturdenkmäler ein Verbrechen?). Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und der Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda sind unabhängig vom ICC arbeitende Instanzen, die vom UN-Sicherheitsrat eingesetzt wurden.
Der Widerstand in Afrika wächst angesichts der Einseitigkeit zunehmend an und könnte dazu führen, dass der ICC zerbricht. Vorgeworfen wird ihm, Instrument der ehemaligen Kolonialländer zu sein, die weiter ihre Überlegenheit ausspielen und mit zweierlei Maß messen. Südafrika hat vor kurzem den ersten Schritt gemacht und seinen Austritt erklärt, nachdem der ICC gefordert hatte, den sudanesischen Präsidenten Umar al-Baschir bei einem Besuch zu verhaften. Gegen al-Bashir hat der ICC einen Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ausgestellt, bislang ohne Erfolg. Südafrikas Regierung begründete den Austritt damit, dass das Land mit einer Verhaftung den eigenen Gesetzen zuwiderhandeln würde, die Staatsoberhäuptern anderer Staaten diplomatische Immunität zusichern.
Gambia schloss sich daraufhin Burundi und Südafrika an. Hier wurde schon deutlicher gesprochen. Dem ICC wird "Verfolgung und Demütigung von Menschen mit dunkler Hautfarbe, insbesondere von Afrikanern" vorgeworfen, während die "Kriegsverbrechen" westlicher Politiker nicht verfolgt würden. So habe sich das Gericht geweigert, Tony Blair wegen des Irak-Kriegs anzuklagen. 30 westliche Staaten hätten Kriegsverbrechen begangen, keines sei verfolgt worden.
Der Austritt ist besonders problematisch, weil die derzeitige Chefanklägerin des ICC, Fatou Bensouda, aus Gambia kommt. Sie hatte noch stolz vor kurzem gesagt, dass Afrika nun die Führung bei der internationalen Strafjustiz übernommen habe.
Amnesty beklagt den Schritt Gambias, der "ein Schlag gegen Millionen von Opfern auf der ganzen Welt" sei. Für viele Afrikaner sei der ICC der einzige Weg zur Gerechtigkeit. Auch die Mernschenrechtsorganisation HRW kritisiert die Entscheidungen und fordert dazu auf, die Zuständigkeit des ICC zu erweitern, anstatt auszutreten. Ausgerechnet die USA geben sich besorgt, die sich selbst der Gerichtsbarkeit nicht unterwerfen. John Kirby, der Sprecher des US-Außenministeriums, sagte, der ICC habe "wertvolle Beiträge" für die Verantwortungszuschreibung geleistet. Aber das betraf ja andere.