Der Iranische Frühling kommt

Seite 3: Was sind die Unterschiede zu den Protesten von 2009?

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Anders als die bisherigen Revolten und Proteste, die von der Hauptstadt ausgingen, war diesmal die Provinz außerhalb Teherans federführend. Von der Existenz der kleinen Städte wie Izeh, Dorud, Toysirkan, Ghahdrijan und Karisang wussten nicht viele Iraner. Sie verzeichnen die meisten Toten bei den Unruhen.

In diesen Städten beträgt die Arbeitslosigkeit bis zu 30% und es gibt eine auffällig hohe Suizide-Rate. Die Revolten finden im ganzen Land statt, weshalb es den Sicherheitskräften eine ganze Zeit lang schwerer als früher fiel, die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Die Proteste zeigen auch den Mut der Demonstranten, denn in Kleinstädten riskieren die Protestierenden, schneller, erkannt und verhaftet zu werden.

Zum ersten Mal seit Bestehen der Islamischen Republik wurde auch öffentlich Sympathie für das Schah-Regime bekundet.

Die Demonstrationen von 2009 richteten sich gar nicht gegen die sogenannten Reformer, ihre Anführer waren frühere Vertreter des Regimes wie Ex-Premier Mir-Hossein Moussavi und Ex-Parlamentspräsident Mehdi Karrubi, die heute immer noch unter Arrest stehen. Die Slogans waren nicht gegen die Spitze des Regimes und Ayatollah Khamenei gerichtet.

Der Hauptslogan war "Wo ist meine Stimme?". Heute geht es buchstäblich um die Abschaffung der Islamischen Republik. Das ganze Regime, sowohl die Konservativen und Hardliner wie auch die Reformer, haben die Geduld der Iraner zu sehr strapaziert. Hassan Rohanis erneute Wahl zum Präsidenten des Iran war die letzte Chance für die Reformer, ihrem vermeintlichen Hauptanliegen, ökonomischen und politische Reformen, Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Es besteht kein Zweifel daran, dass viele unter den Demonstranten jene waren, die Rohanis Wahlversprechungen glaubten und ihre Stimme für ihn abgegeben haben. Die Angst, dass mit dem Hardliner Ebrahim Raisi als Präsident alles schlimmer würde, trieb die meisten der 24 Millionen Wähler Rohanis an die Wahlurne.

Die Bevölkerung muss konstatieren, dass alles, was sie im Falle eines Wahlsiegs Raisis befürchtete, nun eingetreten ist: Innenpolitisch zeigt sich eine desaströse ökonomische Lage, grassierende Korruption und Vetternwirtschaft, hohe Arbeitslosigkeit, eine alarmierende Wasser- und Umweltkrise sowie die weiterhin bestehende politische Unterdrückung.

Außenpolitisch war Iran nie zuvor derart massiv in regionalen Konflikten involviert. Das Land gibt Milliarden US-Dollar für Assads Syrien, die Hisbollah im Libanon, die Hamas in Gaza, schiitische Milizen im Irak und etliche andere terroristische Gruppen und Grüppchen aus.

Dass die Iraner jetzt ihren Zorn mit ihren Slogans gegen diese internationale Abenteuer kundtun, führen die Argumente des Regimes nach dem Motto "und was macht Saudi-Arabien oder Amerika und Israel?" ad absurdum. In mehreren Artikel an dieser Stelle hat der Autor dieser Zeilen gezeigt, dass die Islamische Republik Urheber der Unruhe und Instabilität im Nahen Osten ist und nicht Israel oder Saudi-Arabien.

Der Autor der vorliegenden Einschätzung hegt keine Sympathie für das saudische Königshaus und israelische Siedlungspolitik, aber man muss die Kirche im Dorf lassen (siehe Säbelrasseln zwischen USA und Iran).