"Der Islam hat kein grünes Licht zum Töten gegeben"
Vor dem Militärgericht in Guantanamo hat Khalid Scheich Mohammed neben den Anschlägen vom 11.9. für zahlreiche weitere die Verantwortung übernommen und sieht al-Qaida und die USA im Krieg, bei dem es wie in jedem anderen auch Opfer gebe
Mit der ersten Vernehmung von Khalid Scheich Mohammed in Guantanamo haben die von der Bush-Regierung angekündigten Prozesse gegen 14 mutmaßlich führende al-Qaida-Angehörige vor Militärgerichten in Guantanamo unter Ausschluss der Öffentlichkeit begonnen. Schon am 9. März gab es eine erste Anhörung von Ramsi Binalshibh und Abu Faraj al-Libi, die aber nicht vor Gericht erscheinen wollten. Letztes Jahr konnte die Regierung die Einrichtung der Militärgerichte im Kongress noch durchsetzen (Kongress legitimiert das von Bush eingeführte Unrechtssystem). Die Prozesse sind, wie Bürgerrechts- und Menschenrechtsorganisationen kritisieren, eine scheinlegale Farce, da die Angeklagten praktisch keine Rechte haben und der Willkür Tür und Tor offensteht. Für die Bush-Regierung geht es darum, mit der Aburteilung wenigstens einiger Terrorverantwortlichen das nach dem 11.9. geschaffene Willkürsystem von rechtlosen "feindlichen Kämpfern", Lagern wie Guantanamo, Verschleppungen und Geheimgefängnissen ein wenig aus der Kritik zu rücken. Zugleich soll demonstriert werden, dass wenigstens einige derjenigen, die den Anlass für den "globalen Krieg gegen den Terrorismus" in Afghanistan, im Irak und anderswo geschaffen haben, zu Rechenschaft gezogen werden.
Khalid Scheich Mohammed gilt als "Architekt" oder "Chefplaner" von al-Qaida und als Hauptverantwortlicher oder "Mastermind" für die Anschläge vom 11.9. Er wurde angeblich im März 2003 in Pakistan verhaftet (Deutschland und die irakischen Massenvernichtungswaffen). Seine Festnahme galt als großer Erfolg, da man ihn nach Osama bin Laden und Aiman al-Sawahiri als drittwichtigsten in einer vermuteten al-Qaida-Hierarchie einordnete. Allerdings hat seine Festnahme al-Qaida nicht geschwächt, offenbar konnten ihm auch keine besonders schwerwiegenden Informationen entlockt werden, auch wenn er in den Geheimgefängnissen ausgiebig mit den von Bush so genannten "kreativen Methoden" verhört und gefoltert wurde. Es heißt, Khalid Scheich Mohammed sei schwer zu brechen gewesen. Nach Medienberichten sollen auch seine zwei kleinen Söhne inhaftiert worden sein, um Druck auf ihn auszuüben.
Nun also hat Khalid Scheich Mohammed auch vor dem Militärgericht am 10. März gestanden, dass er die Anschläge vom 11.9. von "A bis Z" geplant und organisiert hatte. Gleichzeitig will er, nach dem veröffentlichten, aber überarbeiteten Protokoll der geheimen Verhandlung, für Dutzende weiterer Anschläge und Anschlagspläne verantwortlich gewesen sein. Mit dem seit drei Jahren, meist an unbekannten Orten, in Haft befindlichen "Chefplaner" könnte man so, den Eindruck erweckt alles, die wichtigsten Taten abdecken und damit einen Schuldigen gefunden haben.
Andere wie die noch in Freiheit befindlichen bin Laden oder al-Suwahiri rutschen so in den Hintergrund, wenn der Scheich vom ersten Anschlag auf das World Trade Center im Jahr 1993 oder die Planung für die Operation Bojinka (1994) über die Anschläge in Bali (2002) und Kenia (2002), den Mord an Daniel Pearl oder den angeblichen Anschlagsversuch des "Schuhbombers" Richard Reid bis hin zu den noch diffuseren Anschlagsplänen auf London (Flughafen, Big Ben …) oder auf Ziele in den USA verantwortlich gewesen sein soll. Man hat den Eindruck, dass man ihm nun alles zuschiebt, um einen Hauptschuldigen präsentieren zu können. Ob er freiwillig oder unter Druck das Geständnis in der Form der Liste abgelegt hat, lässt sich nicht sagen. Die von der US-Regierung durchgesetzte Form der Prozessführung nährt zumindest den Verdacht, dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht.
Der Scheich äußerte sich über seinen "persönlichen Vertreter" in der Anhörung, so muss man dem Protokoll entnehmen, über so entscheidende Dinge wie der richtigen Schreibung von Scheich (shaikh oder sheikh, aber nicht shaykh) oder die Behauptung, er habe in einem Interview mit einem al-Dschasira-Journalisten 2002 in Pakistan gesagt, er sei der Militärchef von al-Qaida gewesen. Das sei nicht wahr. Das Gericht sah das als unbedeutend an und verweigerte deswegen die Hinzuziehung des Zeugen Ramzi Binalshibh, der bei dem Gespräch mit anwesend gewesen sein soll. Der Scheich wollte auch einen weiteren Zeugen einberufen, um die Darstellung seiner Gefangennahme und die Behauptung zu bestreiten, dass eine Festplatte ihm gehörte, von der viele Dokumente als Beweismittel gegen ihn stammen. Auch das wurde abgelehnt. Es sei egal, wem eine Festplatte gehöre, wichtig sei, wer sie benutze. Scheich Mohammed wehrte sich gegen diese Willkür, der Richter beharrte, das sei nicht wichtig, weswegen dieser Punkt erledigt sei.
Scheich Mohammed, der nach der Abschrift ein wenig verwirrt zu sein schien und gelegentlich kaum verständlich gesprochen hat, was auch an der Übersetzung liegen kann, behauptete überdies, er habe falsche Aussagen aufgrund von Folter gemacht. Er fordert vom Richter, mit den Menschen fair umzugehen. Viele der Menschen, die in Afghanistan festgenommen wurden, seien nicht einmal Taliban gewesen.
Keine religiöse Rechtfertigung für den al-Qaida-Terrorismus?
Der persönliche Berater verlas am Ende des nichtgeheimen Teils der Anhörung eine vorgefertigte Liste mit den 31 Bekenntnissen von Scheich Mohammed. Dieser erklärte, für Osama bin Laden als "operational director" und als militärischer Kommandeur für alle Einsätze im Ausland gearbeitet, die Anschläge vom 11.9. geplant, eine Zelle zur Herstellung von biologischen Waffen geleitet, Anschläge mit schmutzigen Bomben in den USA geplant zu haben usw. bis hin zu Anschlagsplänen auf den Papst, Kissinger oder Clinton, auf Atomkraftwerke in den USA. Scheich Mohammed bestätigte gegenüber dem Gericht, dass die Aufzählung von ihm stamme. In seinen Anmerkungen wird das aber schon wieder weniger deutlich. Er wolle sich mit den Bekenntnissen zu keinem Helden machen.
Man habe wie Präsident George Washington einen Krieg gegen die Amerikaner geführt, die die Muslime unterdrücken. Daher werde er im Gegensatz zu vielen anderen Gefangenen zu Recht als feindlicher Kämpfer bezeichnet. Allerdings hätten die Amerikaner ihn und al-Qaida unterstützt, als man gegen die Russen denselben Krieg geführt habe wie den jetzt gegen die Amerikaner. Die CIA wisse gar nicht, wie man Taliban oder al-Qaida klassifizieren könne. Viele Afghanen oder Pakistani hätten mit den Taliban oder al-Qaida nichts zu tun, sie würden einfach nur anderen Muslims helfen und verstünden von Politik nichts. Und auch die meisten Taliban hätten al-Qaida in Afghanistan abgelehnt und deren Anschläge nicht gebilligt.
Scheich Mohammed erklärte, Usama bin Laden habe den USA den Krieg erklärt, al-Qaida und die USA würden seitdem einen Krieg führen, bei dem Menschen getötet werden. Die US-Regierung täusche die Menschen, wenn sie al-Qaida als Terroristen bezeichnet. Beim Krieg gebe es immer Opfer. Er bedaure die Toten der Anschläge vom 11.9. und sei traurig, dass auch Kinder gestorben seien. Der Islam habe ihm kein "grünes Licht" für das Töten gegeben. Das sei für Muslime ebenso wie für Juden oder Christen verboten. Nach ihm gibt es also keine religiöse Begründung für den Krieg oder für die Anschläge. Aber es gebe Ausnahmen, die sich die Amerikaner auch im Irak nehmen, um dort Menschen zu töten, weil es erforderlich sei. Wenn im Krieg Gegner gefangen genommen würden, bezeichne man diese eben als feindliche Kämpfer, Terroristen oder was auch immer. Wenn George Washington von den Briten gefangen genommen wäre, hätte man ihn vielleicht auch als feindlichen Kämpfer bezeichnet. Jetzt aber gilt er als Held. Die USA würden von den Menschenrechten sprechen, aber die Amerikaner hätten immer Ausnahmen von der Verfassung geschaffen und beispielsweise Muslime gefoltert. Es sei eben Pech, wenn man unter diese Ausnahmen der amerikanischen Gesetze falle.
Im Krieg müsse getötet werden. Wenn US-Militärs wissen würden, dass Usama bin Laden sich in einem Haus aufhalte, würden sie dies bombardieren, egal ob sich darin auch Frauen und Kinder aufhalten. Die Amerikaner hätten auch seine Kinder gefangen genommen und für einige Monate misshandelt. Bei al-Qaida hätte man militärische, wirtschaftliche und politische Ziele für Angriffe ausgesucht. Seit Adam habe es immer Kriege gegeben, seien immer Menschen getötet worden. Der Krieg werde niemals enden. Das sei das Leben. Zweifelhaft oder der Willkür überlassen aber bleibe, wer ein feindlicher Kämpfer ist und wer nicht. Für sich anerkennt Scheich Mohammed die Bezeichnung als "feindlicher Kämpfer", da er sich als militärischer Gegner der USA versteht. Und er kokettiert damit, dass er als "Revolutionär" durchaus auch einmal als Held erscheinen könnte.
Bei der Anhörung vor dem Kriegsgericht geht es nicht primär darum, ob und für welche Anschläge Scheich Mohammed verantwortlich ist, sondern um die Beurteilung, ob er als "feindlicher Kämpfer" einzustufen wäre und weiter als gefährlich für die USA gelten müsse. Sollte er wider Erwarten nicht als "feindlicher Kämpfer" eingestuft werden, würde er, wie der Richter pro forma sagte, in sein Heimatland frei gelassen werden.