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Rassismus, Recht und Rache: Claudine Gay, die erste schwarze Harvard-Präsidentin trat jetzt zurück. Das ist auch ein Zeichen für Europa, meint unser Autor.
Noch am Ende ihres tiefen Sturzes gestand Claudine Gay keinerlei Fehlverhalten ein. Stattdessen spielte die nunmehr ehemalige Harvard Präsidentin in ihrer Rücktrittserklärung wie auch in einem Gastbeitrag in der New York Times am Tag nach ihrem Rücktritt ein weiteres Mal die Rassenkarte aus, der sie doch ihren rasanten Aufstieg verdankte, und behauptete, sie sei das Opfer des "rassischen Ressentiments".
Gay beschuldigte ihre Ankläger, sie stilisierte sich selbst als Opfer und flüchtete sich in Pauschalvorwürfe: "Persönliche Angriffe" seien zu beklagen, wo Gay doch Kollegen um ihr Urheberrecht bestohlen hatte, "Rassismus", wo doch sie mehrfach Antisemitismus und Verharmlosung von Judenhass Raum gegeben hatte, "eine wohl-installierte Falle" sei ihr gestellt worden, wo es doch tatsächlich an einem Mindestmaß an politischer Klugheit ebenso mangelte wie an moralischer Integrität.
Oder wie anders ist zu erklären, dass Gay in einer Anhörung vor dem US-Kongress Anfang Dezember öffentlich auf die Frage, ob ein Aufruf zum Genozid an Juden gegen die Verhaltensregeln von Harvard verstoße, erklärt hatte, das komme "auf den Kontext" an.
Wirklich eine wohlgestellte Falle? Oder vielleicht doch eher eine abstoßende Instinktlosigkeit. Patrick Bahners kommentierte den Kongress-Auftritt in der FAZ süffisant, aber treffend:
"...die denkbar schlechteste Reklame für eine Universität, die Führungskraft, also die Fähigkeit zur Einschätzung von Risiken für eine Organisation und zur klärenden Artikulation dieser Einschätzung, als eigenes, von Wissen und Mitredefähigkeit zu unterscheidendes Ergebnis ihrer pädagogischen Bemühungen anpreist".
Was ist schon normal an US-amerikanischen Universitäten?
Erst eine kurz darauf publizierte Mitteilung der Harvard Corporation, des für Gay zuständigen Aufsichtsgremiums, formulierte, Gay habe "missteps" eingeräumt und dafür Verantwortung übernommen. Das kann sich nicht auf die Rücktrittserklärung beziehen.
Aber was war eigentlich geschehen?
Claudine Gay, die erst zweite Frau auf dem Präsidentenstuhl von Harvard und die erste Schwarze ist am vergangenen Dienstag von ihrem Posten zurückgetreten. Gays Amtszeit war mit einer Amtszeit von nur sechs Monaten und einem Tag die kürzeste in der 388-jährigen Geschichte der Universität. Sie endete mit knapp 50 Anschuldigungen wegen geistigen Diebstahls.
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Denn die formale Ursache war die Enthüllung mehrerer Plagiatsfälle in den ohnehin nur wenigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen der Politikwissenschaftlerin. Aber mit Einsicht hat dieser Rücktritt genauso wenig zu tun, wie mit Fairness, mit Antisemitismus genauso wenig wie mit Rassismus.
Es war einfach die absehbare Entscheidung in einem Machtkampf, der seit Wochen an der US-Elite-Uni Harvard tobte. Der peinliche Vorgang war nur das Ende einer Kaskade von Fehlverhalten von denen jeder einzelne Vorgang eine solche Präsidentin unter normalen Umständen unhaltbar machen müsste.
Aber was ist schon normal an US-amerikanischen Universitäten der letzten Jahrzehnte?
"Die Tatsache, dass Gay schwarz ist, lässt die Sache besonders schlimm aussehen"
Es war nicht zufällig ein anderer schwarzer Wissenschaftler, der Linguist und Columbia Professor John McWhorter, der Gay in der New York Times den entscheidenden Schlag versetzte, zu dem weiße oder konservative Kommentatoren unter den in den USA herrschenden Verhältnissen gar nicht imstande wären.
McWorther verwies auf Harvards eindeutige Politik in Bezug auf Plagiate, die Studenten mit Strafen bis hin zum Ausschluss von der Universität auch nur für einen einzigen Fall von Plagiaten bedroht. Es sei eine Frage der wissenschaftlichen Ethik, der akademischen Ehre und vor allem der Vorbildfunktion einer Präsidentin für die Studenten.
"Die Tatsache, dass Gay schwarz ist, lässt die Sache besonders schlimm aussehen", folgerte McWhorter:
Wenn sie in ihrem Amt bleibt, wird es den Anschein haben, dass eine mittelmäßige Publikationsleistung und eine chronisch nachlässige Beachtung der Quellenangaben für eine Universitätspräsidentin irgendwie in Ordnung sind, wenn sie schwarz ist. ... Sollen wir die stillschweigende Vorstellung zulassen, dass für Schwarze Wissenschaftler und Verwaltungsbeamte die Symbolik unseres Schwarzseins, unsere "Vielfalt", das Wichtigste an uns ist?
Mir ist nicht klar, wo hier der "black pride" (oder Antirassismus) liegt. ... Wenn es Mobbing ist, schwarze Persönlichkeiten mit Einfluss aufzufordern, sich an die Standards zu halten, die für andere gelten, dann sind wir bei einer ziemlich mysteriösen Version von Antirassismus angelangt. ...
John McWhorter, New York Times
Das Symbol eines dysfunktionalen Systems
A.O. Scott erkannte ebenfalls in der New York Times grundsätzliche Probleme und "den neuesten Beleg für eine tiefe Krise in der US-amerikanischen Wissenschaft". Die akademische Welt, so Scott weiter, scheine sich in einer mehrdimensionalen Krise zu befinden, weit über politische Positionen und den Ort Harvard hinausgehe:
Die Hochschulbildung leidet unter einer undurchsichtigen Zulassungspolitik, ausufernden Studiengebühren, einer aufgeblähten Verwaltung, einer Inflation von Noten, Helikopter-Eltern und unter der Cancel-Culture.
A.O. Scott, New York Times
Gay wirkte in diesem Zusammenhang wie das Symbol eines dysfunktionalen Systems, das mit akademischer Freiheit nichts mehr zu tun hat. Bei einer Umfrage unter 55.000 US-Studenten zum Zustand der Redefreiheit an 254 Unis landete ausgerechnet Harvard ganz unten mit null Punkten auf Platz 248.
Noch grundsätzlicher wurde, ebenfalls in der New York Times der Kommentator Bret Stephens:
Wie konnte jemand mit einer so dürftigen wissenschaftlichen Bilanz wie der ihren an die Spitze der amerikanischen Wissenschaft gelangen?
Die Antwort lautet meines Erachtens wie folgt: Wo früher eine Spitze war, ist jetzt ein Krater. Er entstand, als das Modell der sozialen Gerechtigkeit in der Hochschulbildung, das sich gegenwärtig auf Vielfalt, Gleichberechtigung und Eingliederung konzentriert und stark in die Verwaltung der Universität investiert, das Modell der Exzellenz sprengte, das sich auf das Ideal der intellektuellen Leistung konzentrierte und sich hauptsächlich mit Wissen, Entdeckungen und dem freien und lebhaften Wettbewerb der Ideen befasste.
Bret Stephens, New York Times
Stephens zielt hier grundsätzlich auf die Politik der "Positiven Diskriminierung" (affirmative action), die die US-Universitätsszene seit über 40 Jahren immer stärker bestimmt. Der Autor verweist auf die Bakke-Entscheidung von 1978, mit der nicht allein Vielfalt bei Zulassungsentscheidungen gesetzlich festgeschrieben wurde.
Das Problem liegt darin, dass die Universitätsverwaltung eine Erlaubnis in eine Anforderung umgewandelt hat, so dass eine Art Rassenmischung nun fast jeden Aspekt des akademischen Lebens durchdringt, von Zulassungsentscheidungen über die Ernennung von Lehrkräften bis hin zur rassischen Zusammensetzung der Autoren von Aufsatzsammlungen.
Bret Stephens, New York Times
Stephens erkennt einen "vergifteten Teich": Personen würden zu Symbolen ihrer Identitätsblase, Entmenschlichung sei die Folge solcher sozialtechnischer Erwägungen. Die Universitäten sollten aufhören, Utopien zu entwerfen und institutionell umzusetzen, und einfach exzellente wissenschaftliche Arbeit leisten.