Der Kampf um den Kaktus
Südafrikanische Buschleute werfen internationalen Großkonzernen Bio-Piraterie vor
Für die Ureinwohner des südlichen Afrika ist die Sache ganz einfach. Seit Jahrhunderten nutzen die Khoisans den Kaktus Hoodia gegen Husten und Erkältungskrankheiten. Aber ganz besonders schätzen sie ihn als Hungerbremse. Ohne den natürlichen Appetitzügler wäre die Versuchung, sich während der tagelangen Jagdausflüge an der gefangenen Beute zu vergreifen, allzu groß. Doch die Jäger und Sammler drohen nun selbst Opfer eines übermächtigen Gegners zu werden. Der amerikanische Pharmagigant Pfizer will den Hoodia-Kaktus in Schlankheitspillen verwandeln - und die südafrikanischen Entdecker möglichst leer ausgehen lassen.
Pfizer hat für seine neue Wunderwaffe bislang eine beträchtliche zweistellige Millionensumme investiert. Gut 20 Millionen gingen - als Lizenzgebühr für den aus dem Hootia-Kaktus gewonnenen Wirkstoff "P57" - allein an das britische Unternehmen Phytopharm, das eine entsprechende klinische Studie noch gar nicht abgeschlossen hat. Gleichwohl rechnet Phytopharm mit geradezu sensationellen Ergebnissen. Ratten hätten durch "P57" deutlich an Gewicht verloren, ohne deshalb untergewichtig zu werden. Auch erste Tests an Freiwilligen seien positiv verlaufen. Man könne deshalb hoffen, der Lösung eines dramatischen Problems ein großes Stück näher gekommen zu sein.
Immerhin gehen Schätzungen von weltweit über 100 Millionen Übergewichtigen aus. Allein in den Vereinigten Staaten rechnen die von Phytopharm und Pfizer favorisierten Experten mit 35 bis 65 Millionen Betroffenen. Und das könnte für beide Unternehmen richtig interessant werden: "Der potentielle US-Markt für verschreibungspflichtige Medikamente, mit denen Übergewicht behandelt werden könnte, liegt bei bis zu drei Milliarden Dollar."
Gut für Phytopharm und Pfizer, aber gar nicht so gut für die Buschleute, die erst vor kurzem von dem seit Jahren angebahnten Deal der Großkonzerne erfuhren. Der Rechtsanwalt Roger Chennells vertritt rund 100.000 Khoisans, die heute in Südafrika, Botswana, Namibia und Angola leben. In einem Interview mit dem "Observer" klärte er die Weltöffentlichkeit schon Mitte Juni über die Stimmungslage der Ureinwohner auf:
"Sie sind sehr enttäuscht. Es ist, als ob jemand das Familiensilber gestohlen hätte und daraus nun massiv Profit schlagen wollte. Die Buschleute würden nie jemandem verbieten, aus ihrem Wissen eine Arznei zu gewinnen, aber sie wollen zuerst mit den Pharmaunternehmen verhandeln und eine Einigung erzielen."
Chennells will diese Firmen "in die moralische Pflicht nehmen, denjenigen eine angemessene Entschädigung zu zahlen, deren Entdeckung kommerziell ausgenutzt werden soll."
Alex Wijeratna, Mitglied der Hilfsorganisation ActionAid wurde gegenüber dem Observer noch sehr viel deutlicher:
"Das ist ein ganz großer Fall von Bio-Piraterie. Konzerne durchstöbern den Erdball, um sich das uralte Wissen der ärmsten Völker dieser Erde anzueignen. Eine Entschädigung wird so gut wie nie gezahlt. Das Patentsystem muss dringend geändert werden, um die Entdeckungen zu schützen, die seit Generationen von Gruppen wie den afrikanischen Buschleuten weitergegeben werden."
Das verlangt schon das "Übereinkommen über die biologische Vielfalt", das auf der Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 unterschrieben wurde. Doch die Biodiversitätskonvention enthält zu viele Schlupflöcher. Beispiel Schweiz: Hier ist die Bio-Piraterie verboten, die Patentierung von Erfindungen und Produkten, die infolge unrechtmäßiger Aneignungen zustande gekommen sind, gilt aber als vollkommen legal.
Im Auftrag der Organisationen Erklärung von Bern, der SWISSAID und dem Blauen-Institut hat Prof. Dr. Fritz Dolder von der Universität Basel deshalb ein umfassendes Rechtsgutachten erstellt. Es zeigt auf, welche Änderungen in das Patentgesetz eingebracht werden müssten, um Biopiraterie deutlich zu erschweren und damit auch den Verpflichtungen der Biodiversitätskonvention näher zu kommen.
Dolder schlägt darin vor, die Herkunftsländer und diejenigen, die mit ihren Kenntnissen zum Erfolg eines neuen Produktes beigetragen haben, in jedem Fall am Patent beziehungsweise am wirtschaftlichen Ertrag zu beteiligen. Das könne durch die Festlegung von patentgesetzlichen Ansprüchen auf gemeinschaftliches Eigentum, von Entgeltungsansprüchen oder von Ansprüchen aus der Verarbeitung garantiert werden. Um das illegale Treiben der Biopiraten weiter zu erschweren, plädiert Dolder auch dafür, dass die Herkunft des Ausgangsmaterials bei der Patentanmeldung offengelegt werden muss.
Derweil macht sich auf der Gegenseite blankes Entsetzen breit. Denn der Ärger um den Hoodia-Kaktus wird immer mehr zum Image-Problem. Schließlich hatte Phylopharm-Chef Richard Dixey bislang immer betont, die Unterstützung von Ureinwohnern und Naturvölkern bei der Ausnutzung ihrer natürlichen Ressourcen sei geradezu Bestandteil der Unternehmensphilosophie. In der aktuellen Situation schiebt Dixey dem "South African Council for Scientific and Industrial Research" (CSIR) den schwarzen Peter zu. Dort habe man ihm versichert, die Ureinwohner seien bereits ausgestorben. Das CSIR will dagegen schon mit ein paar 100 Buschleuten gerechnet haben. Aber die seien ziemlich schwer zu erreichen gewesen ...
Schön, dass es trotzdem geklappt hat! Denn andernfalls hätte Richard Dixey dem erstaunten Mitarbeiter des "Oberserver" gar nicht sagen können, wie begeistert er ist, dass "diese Buschleute noch leben" und wie überaus glücklich er sich schätzt, "mit ihnen Gespräche aufnehmen zu können".
Für die Ureinwohner des südlichen Afrika könnte dieser Fall von Biopiraterie zu guter Letzt noch positiv ausgehen. Um sie und andere Naturvölker dauerhaft vor der skrupellosen Ausbeutung durch die 1. Welt zu schützen, müssen schnell strengere gesetzliche Regelungen verabschiedet werden.