"Der Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung!"
Kapitalismus-Ideologe Friedrich Merz (CDU) verklärt die freie Marktwirtschaft in einem neuen Buch, das in der Finanzkrise wohl zur Unzeit erscheint
Friedrich Merz war einst der neoliberale Star der CDU. Das ist schon lange her, ebenso wie der Vorschlag, die Steuererklärung so zu vereinfachen, dass sie auf einen Bierdeckel passt. Der CDU-Politiker, der sich vermutlich eine neue Heimat in der FDP schaffen will, war sich auch nicht zu schade, die Chemnitzer-Studie zu verteidigen und zu sagen, dass ein Hartz-IV-Regelsatz von 132 Euro doch genug sein müsste. Weniger geht immer, wenn man nicht selbst betroffen ist. Auf dem FDP-Parteitag verkündete er kürzlich, dass Weniger mehr sei (damit meint er aber sicher nicht sein Einkommen), was dann wohl auch die "moralische Überlegenheit unserer Wirtschaftsordnung" belegen soll, gemeint sind der Kapitalismus und ein möglichst kleiner Sozialstaat.
Ausgerechnet jetzt, mitten in der Finanzkrise, bringt der Piper Verlag ein neues Buch des Kapitalismus-Ideologen heraus. Der Titel ist schon Programm: "Mehr Kapitalismus wagen". Merz werde sich darin nach der Ankündigung des Verlags gegen den Zeitgeist stellen. Das lässt selbst die FAZ unken: "Wie sehr sie hier ins Schwarze treffen, haben sie bei Piper nicht ahnen können: Bei seinem waghalsigen Kampf für mehr Kapitalismus hat Merz inzwischen ja sogar Josef Ackermann gegen sich." FAZ-Autor Jörg Thomann mutmaßt, dass das Buch, auf dem besten Weg, direkt zur Resterampe zu gelangen, vielleicht von Merz, der sich bislang mit Kommentaren zur Finanzkrise lieber zurückgehalten hat, gerade noch einmal umgeschrieben werden könnte.
Das Buch dürfte zeigen, wie schnell Ideologien zerfallen können, wenn sie auf die Wirklichkeit stoßen. "Marktwirtschaft ist in sich sozial, und wer Demokratie will, muss den Kapitalismus als Wirtschaftsform wollen", heißt es in der Ankündigung des Buches. "Der neue Friedrich Merz ist der alte: Bestechend klar und schnörkellos bringt er die Lage auf den Punkt." Die als Religionsersatz verklärte Ideologie der freien Marktwirtschaft ist im Kern ein völlig irrationaler Glaube daran, dass das freie Spiel der Kräfte die beste und für Merz auch noch die gerechteste Gesellschaftsordnung schaffen wird, obwohl nur alle ihr schnödes individuelles Interesse verfolgen.
Solch ein Vertrauen in die "unsichtbare Hand", die letztlich schon alles richten wird, wenn man das freie Spiel nur möglichst wenig reguliert und am besten sich selbst überlässt, ist für die Macher, so lange sie Erfolg haben, sicherlich ein moralisches Ruhekissen, schließlich sind dann die Kapitalisten die eigentlichen Wohltäter der Menschheit, die das bloß nicht recht verstehen kann.
"Marktwirtschaft ist aus sich selbst heraus sozial!" oder "Der Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung!", verkündet Merz und will damit den weiteren Abbau von Regulierungen und gesellschaftlicher Solidarität legitimieren und durch das Prinzip Hoffnung ersetzen, das den rational Handelnden durch den gläubigen Raffer ersetzt, der sich für die moralische Avantgarde hält. Jeder ist für sich selbst verantwortlich, wer in der besten aller möglichen Welten des freien Kapitalismus keinen Erfolg hat, ist halt selbst schuld, darf aber nach den Kapitalismus-Priestern hoffen, dass es irgendwann schon anders werden wird, wenn man nur schön ruhig bleibt, keine Veränderung einklagt und die freie Marktwirtschaft nicht einschränkt. Man darf wohl annehmen, dass solche Erbauungsbücher nur für die eigene Klasse geschrieben werden. Die aber ruft nun nach dem Staat, um das Vertrauen herzustellen, das der wildgewordene Kapitalismus zerstört hat, und nach den staatlichen Geldern, die die Banken und das Finanzvermögen schützen sollen.